Le Corbusier und der Faschismus

Corbus Delicti

Le Corbusier gilt als einer der einflussreichsten Architekten der Moderne. Nun wird ihm Nähe zum Faschismus unterstellt.

Einige hielten ihn für einen Kommunisten. 1930 wurden seine Bücher im damaligen Deutschen Reich wegen »bolschewistischer« Tendenzen verboten und so mancher bezeichnete ihn gar als einen »Lenin der Architektur«. Seit einer Weile finden sich Kritiker, die ihn einen ausgemachten Faschisten nennen, antisemitische Passagen in seiner Privatkorrespondenz nachweisen und seine Konzeptionen für menschenverachtend halten.
Vor 50 Jahren, im August 1965, verstarb der französische Stararchitekt Charles-Edouard Jeanneret, besser bekannt unter seinem Pseudonym: Le Corbusier. Aus diesem Anlass widmete ihm das Centre Pompidou in Paris eine Ausstellung, die am kommenden Montag schließen wird.
Den Beginn der Ausstellung vor drei Monaten überschattete eine Flut von Artikeln und Gastbeiträgen, die Le Corbusiers politische Vergangenheit und Auffassungen zum Gegenstand hatten. Anlass war das Erscheinen dreier Bücher in diesem Frühjahr, die sich vor allem mit dem Verhältnis des Architekten zum Faschismus beschäftigen. Die dadurch ausgelöste Medienkontroverse, die seitdem alle paar Wochen wieder aufflammte, hielt auch in der zweiten Julihälfte noch an.
Der 1887 im schweizerischen Jura geborene »Corbu«, wie manche ihn auch kurz und knapp nennen, war vor allem durch seine baulichen Utopien bekannt, von denen einige auch umgesetzt wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte Le Corbusier das Stadtzentrum von Paris abreißen und durch quadratisch-praktische Hochhausbauten ersetzen – ein Vorhaben, das im Nachhinein nur von wenigen als gedank­liche Meisterleistung betrachtet wird. Im Gegensatz zu einer modernen Wohnsiedlung, die er zwischen 1947 und 1952 in Marseille errichtete. Insgesamt 337 auf Pfählen stehende »Wohneinheiten« in Form eines flachen Betonriegels, der zu jener Zeit futuristischen Charakter hatte, bilden dort die Cité radieuse (etwa: »Ausstrahlendes Gemeinwesen«) – der Name spielte übrigens nicht auf einen Atomunfall an.
In der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg wurden einige Wohnsiedlungen nach den Plänen Le Corbusiers errichtet: im westfranzösischen Rezé, in den ostfranzösischen Städten Briey und Firminy sowie eine fünfte, die 1957 im Berliner Westend entstand. In Indien wurde Le Corbusier in den frühen fünfziger Jahren von Präsident Nehru damit beauftragt, ein neues Verwaltungszentrum für die Provinzen Punjab und Haryana zu entwerfen, die auf einem Hochplateau zu Füßen des Himalaya errichtete Stadt Chandigarh. Daher rührte auch später die Idee des französischen Antifaschisten und Ministers André Malraux – in jungen Jahren kommunistischer Schriftsteller, später Gaullist –, den Sarg Le Corbusiers mit Wasser aus dem Ganges zu bespritzen, der Hinduisten als heilig gilt. Das Vorhaben wurde in die Tat umgesetzt. Angeblich zumindest, denn wie man später erfuhr, kam das Wasser aus dem Hahn in den Toiletten der indischen Botschaft in Paris.
In der Zeit unmittelbar nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 hatte Le Corbusier urbanistische Vorschläge unterbreitet, die darauf hinausliefen, platzsparende und räumlich konzentrierte neue Wohnviertel zu errichten. Unter anderem arbeitete er an städteplanerischen Konzepten für Rio de Janeiro, Algier und Barcelona.
Die jüngsten Publikationen haben dafür gesorgt, dass Le Corbusier im neuen Licht dasteht. Seit 1926 hatte er im Umfeld einer Gruppe um Georges Valois mitgewirkt: Le Faisceau, das Bündel, nicht zufällig abgeleitet vom lateinischen Rutenbündel, das dem italienischen Faschismus als Namensgeber diente. Die 1925 gegründete Gruppierung des ehemaligen Gewerkschafters George Valois war die erste authentisch faschistische Bewegung auf französischem Boden, die sich an Mussolinis Italien orientierte, jedoch in den Jahren ihrer Existenz nur mäßigen Erfolg hatte. Sie kam wahrscheinlich historisch zu früh und Valois war eine eigenwillige Persönlichkeit, die schließlich zur französischen Résistance ging – zu einer Zeit, als manche vormalige Linke ihrerseits zu Kollaborateuren geworden waren.
1929 gründete der Architekt zusammen mit Pierre Winter, dem Vorsitzenden einer bedeutungslosen Splitterpartei namens Parti fasciste révolutionnaire, die Zeitschrift Plans. Le Corbusier schrieb die ganzen dreißiger Jahre über Artikel für rechtsextreme und antidemokratische Zeitschriften, wenngleich seine Themen eher ästhetische oder städtebauliche Fragen aufgriffen. Zusammen mit dem Ingenieur François de Pierrefeu gründete er 1933 die Zeitschrift Prélude, die das nationalsozialistische Regime in Deutschland in Schutz nahm.
1940 bot Le Corbusier den Machthabern in Vichy seine Dienste an, auch wenn er keine nennenswerten Aufträge erhielt. In jener Zeit äußerte er sich in Privatkorrespondenzen, besonders in der, die er mit seiner Mutter führte, auch zu politisch-ideologischen Fragen. An einer Stelle schrieb er: »Die Geldsäcke, die Juden – die zum Teil schuldig sind –, die Freimaurerei, alles wird das gerechte Gesetz erleiden.« An anderer Stelle einer solchen Familienkorrespondenz heißt es, die Behandlung der Juden komme ihm hart vor, aber die Juden seien »zum Teil mitschuldig, weil sie durch das Geld das Land verdorben hatten«. Außerdem: »Adolf Hitler kann nun sein Lebenswerk mit einem grandiosen Werk krönen: der Raumordnung Europas.« Andernorts erklärte Le Corbusier hingegen, er sei dem regierenden Marschall Phil­ippe Pétain zu-, Adolf Hitler gegenüber jedoch abgeneigt. Tatsächlich durchziehen einige Sinneswandlungen die in den drei Büchern veröffentlichten Dokumente.
Der französische Architekt Paul Chemetov, der als Kommunist oder zumindest als mit kommunistischen Ideen sympathisierend gilt und den Bau des französischen Wirtschafts- und Finanzministeriums entwarf, nimmt Le Corbusier tendenziell in Schutz. In Le Monde ­erklärte er, Le Corbusier sei zwar in Vichy gewesen, aber »die Mehrzahl der französischen Architekten war damals pro Vichy«. Ferner könne man Le Corbusier nicht vorwerfen, unter Pe­tain gearbeitet zu haben, »während auch Jean-Paul Sartre und Albert Camus in der Vichy-Zeit schrieben«. Worauf Marc Perelman ebenfalls in Le Monde antwortete, die beiden Schriftsteller hätten sich aber zu keinem Zeitpunkt zugunsten des Regimes geäußert. Er hätte auch erwähnen können, dass Camus zur selben Zeit für die im Untergrund erscheinende Widerstandszeitung Combat tätig war.
Das Grundübel sieht Perelman in der Ästhetik Le Corbusiers, die er als faschistisch bezeichnet. Le Corbusier sei vom Vitalismus fasziniert gewesen, habe außerdem menschliche Körper normen und in der Masse aufgehen lassen wollen. Sei es in riesigen, geometrisch geformten Wohnblöcken, sei es im Rahmen ebenso gigantischer Sportveranstaltungen zu ihren ­Füßen. Mit dem Proportionssystem des »Modulor« habe er zudem einen standardisierten und genormten Körper zum Maß seiner Architektur gemacht. Dieser Maßeinheit lag ein ­angeblich durchschnittlicher Menschenleib mit 1, 83 Meter Körpergröße zugrunde. Le Corbusier goss dieses Konzept in eine Theorie: Wie Bienen in Waben wohnen, sollten auch Menschen sich geometrisch gleiche Grundeinheiten schaffen und diese zu Großsiedlungen zusammenschließen.
Nicholas Fox Weber, der 2009 ein Buch über Le Corbusier verfasste und sich in der vorletzten Juliwoche als einer der letzten Debattenteilnehmer in der französischen Presse zu Wort meldete, sieht dagegen in dem Architekten eine Persönlichkeit »mit mehreren Facetten«. Viele Vorwürfe seien inhaltlich richtig, zugleich verhielten die Dinge sich jedoch komplexer. So habe Le Corbusier von massiven Großsiedlungen geträumt, aber vor allem deswegen, weil er durch das Bauen in die Höhe »so vielen Menschen wie möglich Zugang zum Licht und zur möglichst weiten Aussicht verschaffen« wollte.