Podemos und die linke Debatte in Spanien

Demokratisches Dilemma

Mit Blick auf Griechenland bereitet sich Podemos auf die Parlamentswahlen Ende des Jahres vor. Die Chancen, so erfolgreiche wie bei den Regionalwahlen zu sein, stehen nicht gut. Die Partei ist zerstritten und die Kritik am Führungsstil von Generalsekretär Pablo Iglesias wird immer lauter.

Knapp 100 Tage sind seit den Gemeinderats- und Regionalwahlen im Mai vergangen, ein Zeitraum, der in Spanien Auskunft gibt über die Richtung des cambio democrático (demokratischer Wandel), den Podemos seit seiner Gründung verkündet hat. Podemos ist in wichtigen Städten direkt oder indirekt an der Regierung beteiligt, Wahlbündnisse wie »Barcelona en Comú« und »Ahora Madrid« waren nicht nur in den beiden Metropolen, sondern auch in Valencia, Zaragoza und Cádiz sehr erfolgreich. Ein neuer Wind weht in den Rathäusern und die Maßnahmen der neuen, durchaus unterschiedlichen linken Stadtregierungen, allen voran Madrid und Barcelona, kommen nicht aus den Schlagzeilen.
In Barcelona hat die neue Bürgermeisterin Ada Colau die Entfernung der Büste des ehemaligen Königs Juan Carlos, bis vor Kurzem noch Staatsoberhaupt, aus dem Rathaus angeordnet, ohne eine Büste des Nachfolgers Felipe VI. aufstellen zu lassen. In Madrid werden unter der Stadtregierung von Manuela Carmena einige der Straßen und Plätze umbenannt – es sollen noch weit über hundert sein –, die an die Franco-Diktatur erinnern. Mit den Umbenennungen wird lediglich das Ley de Memoria (Erinnerungsgesetz) umgesetzt, das bereits 2007 beschlossen wurde.
Die Podemos-Politiker bringen allerdings nicht immer die Veränderungen, die sich ihre Wählerschaft gewünscht hätte. Die Zwangsräumungen von Menschen, die ihre Hypotheken nicht bezahlen können, gehen weiter. Damit bleibt eines der für die Bewegung der Indignados dringendsten Probleme ungelöst, obwohl Podemos vor den Wahlen den Anspruch klar formulierte, Abhilfe zu schaffen. Daran ändert auch nichts, dass etwa in Cadíz ein Bürgermeister nun zu den Protestierenden gehört, wenn wieder eine Räumung von der Guardia Civil vollzogen wird.
Dass linke Politiker an Grenzen stoßen, liegt daran, dass auch eine von Podemos regierte Exekutive die Rechtsprechung und die in der Privatwirtschaft geltenden Gesetze – etwa das Klagerecht von Hausbesitzern bei Hypothekenverzug, und seien diese Eigentümer auch Banken – nicht außer Kraft setzen kann. So wird meist im Einzelfall verhandelt, um mildernde Maßnahmen zu organisieren und etwa Ausweichquartiere zur Verfügung zu stellen.

Im Wahlkampf für die Parlamentswahlen, die wahrscheinlich im November, spätestens am 20. Dezember stattfinden werden, hält das ganze politische Spanien den Blick auf Griechenland gerichtet. Aus der Sicht von Podemos ist das Einlenken der Regierung von Alexis Tsipras ernüchternd, auch wenn dies nicht offen gesagt wird. Podemos hatte zwar das »Nein« gegen die Reformvorschläge der Troika beim griechischen Referendum unterstützt, zuvor allerdings hatte die Partei, mit Rücksicht auf den möglichen Verlust von Wählerstimmen, ein mitunter taktisches Verhältnis zur Griechenland-Frage an den Tag gelegt. Hierbei spielen auch die 26 Milliarden Euro, die Griechenland Spanien schuldet, eine Rolle. So sagte Íñigo Errejón, der zumindest von den Medien als »Nummer Zwei« gehandelte Sekretär von Podemos, im Interview mit dem Programm »Salvados«, wenn man an der Regierung sei, werde man das Geld zurückfordern. Das sehen Teile der außerparlamentarischen spanischen Linken deutlich anders, wobei auch dort eine gewisse Ratlosigkeit angesichts der Entwicklungen in Griechenland vorherrscht.
Generalsekretär Pablo Iglesias hielt fest, das Gute am »Kampf von Tsipras« sei, dass nun von Umschuldung gesprochen werden könne. Nun, nach den von griechischer Seite zugesagten Reformen, schlug er flugs den Bogen zum spanischen Wahlkampf und sprach von der erneut drohenden deutschen Vorherrschaft in Europa. Er bezeichnete die Kandidaten der Sozialisten, Pedro Sánchez, und den des PP, Mariano Rajoy, als »Merkels Kandidaten«.
Hinsichtlich der Wahlen wird die Richtung der Bündnispolitik von Podemos, und insbesondere ihr Verhältnis zum linken Parteienbündnis Izquierda Unida, breit diskutiert. Iglesias hat dem Angebot von deren Vorsitzenden, Alberto Garzòn, zu einem Wahlbündnis eine herbe Abfuhr erteilt. »Sie können die rote Fahne behalten. Ich will gewinnen!«, wurde er in den Medien zitiert, auch wenn er seinen scharfen Ton später bereute. Nicht nur angesichts stagnierender Umfragewerte, sondern auch im vielleicht traditionelleren linken Verständnis einer möglichen unidad popular, stößt diese Haltung auf starke Kritik. Initiativen wie die des Regisseurs Pedro Almodóvar, doch noch eine Einigung zwischen Podemos und Izquierda Unida zu erzielen, wurden von Podemos zurückgewiesen.
Iglesias ließ auch sonst keinen Zweifel daran, die Marke Podemos ausreizen zu wollen und erklärte, seine Partei werde keiner Regierung beitreten, die einen anderen Präsidenten als ihn hätte. Dass Podemos nur mit jenen Gruppen und Initiativen Bündnisse eingeht, die den Namen Podemos im Bündnisnamen akzeptieren, basiert auf parteiinternen Abstimmungen, versicherte der Beauftragte, Pablo Echenique. Eine Ausnahme soll Katalonien bilden, wo laut Beschluss Parteibündnisse für die am 27. September anstehenden Regionalwahlen möglich sind.

Bei den Vorwahlen, die vom 3. bis 22. Juli stattfanden, wurde Iglesias als Präsidentschaftskandidat gekürt. Diese Abstimmungen ließen allerdings eine schwelende Debatte um parteiinterne Demokratie neu aufflammen. Kritisiert wird der Wahlmodus, der, wie auch schon bei den Wahlen zu Parteigremien, die Liste von Pablo Iglesias favorisiert. So scheint es eine wachsende Unzufriedenheit darüber zu geben, dass man nur für komplette Listen stimmen kann. Auf die Kritik antwortet die Parteiführung, dass dieses Modell einerseits effizienter und andererseits immer noch um ein Vielfaches demokratischer sei als bei anderen Parteien. Das Ergebnis war eindeutig: Die ersten 65 Plätze der Kandidaten sind mit denen der Liste Iglesias’ identisch. Die von Pablo Iglesias präsentierte Liste räumte zwar mit 93 Prozent ab, allerdings bei einer Wahlbeteiligung von 15,7 Prozent. Dass dies darauf hindeuten könnte, dass der Höhepunkt von Iglesias Popularität überschritten ist, scheint die Parteiführung nicht sonderlich zu beunruhigen. Die Zeiten, in denen ein Interview mit dem Generalsekretär eine ganze Nacht hindurch die höchsten Einschaltquoten im spanischen Fernsehen bedeutete, sind auf jeden Fall vorbei.
Hier zeigt sich die Schwäche der spanischen politischen Tradition, sich auf eine Führungsfigur zu stützen, so sehr dies auch unter Marketing-Aspekten Vorteile zu bringen verspricht. Zudem sinkt die Bedeutung der Círculos, der lokalen und thematischen Gruppen, die als ein Standbein des tief in der Bevölkerung verankerten »demokratischen Aufbruchs« konzipiert waren. Aus ihnen heraus sollten die Initiativen aus dem Alltag in die Parteiarbeit fließen. Ihre Funktion ist inzwischen nur noch verschwommen zu erkennen. In der politischen Praxis scheinen die Entscheidungen zentralisiert getroffen zu werden.
Dieses Problem der Basisbetiligung, für das die Parteispitze nur bedingt verantwortlich zu machen ist, gibt ebenfalls Anlass zu internen Debatten und einer gewissen Verunsicherung. Auch strategisch könnte diese Entwicklung für einen erfolgreichen Wahlkampf ein größeres Problem darstellen, als bis jetzt bekannt.