Der Kampf gegen das Absterben von Olivenbäumen in Italien

Der Xylella-Notstand

Zur Bekämpfung des Feuerbakteriums, das für das Absterben von Olivenbäumen verantwortlich gemacht wird, setzten die Planungen der italienischen Regierung auf Kahlschlag. Dagegen regt sich nunmehr Widerstand.

Mit zunächst düsterer Miene ließ sich Vytenis Andriukaitis, EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelschutz, vergangene Woche während seines Besuchs in der süditalienischen Region Apulien ein paar Schritte durch einen Olivenhain führen. In seinen Händen drehte er demonstrativ einen verdorrten Zweig. Anschließend erklärte er sichtlich zufrieden, dass endlich 52 Bäume gefällt worden seien. Auch wenn die Olivenbäume für die Region so wichtig seien wie ihre Barockkirchen, müsse zur Bekämpfung von Xylella fastidiosa die Rodung nun »ohne Verzögerung« weiter fortgesetzt werden.
Der im Deutschen als Feuerbakterium bezeichnete Pflanzenschädling wurde im Herbst 2013 erstmals in Europa entdeckt. Zuvor war er vor allem in Kalifornien und Lateinamerika aufgetreten, wo der Befall von Rebstöcken, Zitruspflanzen, aber auch Ziergewächsen wie Oleandersträuchern binnen kurzer Zeit zum Austrocknen und Absterben der Pflanzen geführt hatte. Im Salento, dem Absatz des italienischen Stiefels, war Xylella in Olivenbäumen nachgewiesen worden. Die italienischen Behörden und das zuständige EU-Kommissariat ordneten zunächst an, das betroffene Gebiet zu isolieren, um eine Ausbreitung des Krankheitserregers zu verhindern. Erst als im Frühjahr dieses Jahres offensichtlich wurde, dass inzwischen Hunderttausende der oft jahrhundertealten Bäume ausgetrocknet waren, brach Panik aus. Die Regierung in Rom rief den »Notstand« aus und bestellte einen Vertreter der apulischen Forstverwaltung zum »Sonderkommissar«. Giuseppe Silletti wurde zur Realisierung eines Notstandsplans ein »Sonderfonds« zugesichert, der sich mittlerweile auf 21 Millionen Euro beläuft. Die Kollateralschäden der im Zusammenhang mit den sogenannten Müllnotständen erprobten Ad-hoc-Politik sind hinlänglich bekannt: Die jeweiligen Sonderbeauftragten werden mit Sonderbefugnissen ausgestattet, um »unbürokratisch«, das heißt gegebenenfalls auch gegen die geltende Rechts- und Verfahrensordnung, Beschlüsse durchsetzen zu können.
Ausgangspunkt jedes Notstandsplans ist die Kartographierung des betroffenen Gebiets. Der Salento wurde entsprechend in drei Zonen unterteilt. Die gesamte Provinz Lecce gilt als »Befallszone«. An sie schließt eine zehn Kilometer breite »Pfufferzone« an, innerhalb derer jedoch rund um Oria, eine Kleinstadt in der Provinz Brindisi, ebenfalls ein Infektionsherd ausgemacht wurde. Und schließlich wurde im Mai eine dritte, etwa 30 Kilometer breite »Überwachungszone« eingerichtet, die bis an die nördliche Grenze des Salento reicht.

Der erste, im März von Silletti vorgelegte Notfallplan sah vor, alle infizierten Bäume zu roden und durch einen flächendeckenden Einsatz von Insektiziden möglichst viele Überträger des Pflanzenschädlings zu töten. Außerdem sollte durch verstärkte Kontrollen eine ordentliche Bewirtschaftung der Olivenhaine erzwungen werden. Diese geplanten Maßnahmen wurden von der EU-Kommission für unzureichend erklärt. Sie forderte zum Schutz der europäischen Landwirtschaft weiterreichende »Tilgungsmaßnahmen«. Nicht nur ausgetrocknete Bäume sollten zerstört werden, sondern auch alle übrigen, in einem Radius von 100 Meter befindlichen möglichen Wirtspflanzen, und zwar »unabhängig von ihrem Gesundheitszustand«. Apulien schien ein Kahlschlag »biblischen Ausmaßes« bevorzustehen. Der Berliner Tagesspiegel meldete, es würden »mehr als eine Million« Olivenbäume gefällt. Zahlreiche deutschsprachige Medien wiederholten im April diese apokalyptische Zahl.
Doch in Italien war Sillettis Plan durch Klagen vor dem Verwaltungsgericht rasch blockiert worden. 26 Biobetriebe hatten mit ihrem Einspruch gegen den erzwungenen Einsatz von Pestiziden Erfolg. Darüber hinaus protestierte der Verband zur Bekämpfung von Tumorkrankheiten in einem offenen Brief gegen den Einsatz gesundheitsschädlicher Mittel. Auch über die Rechtmäßigkeit der angeordneten Tilgungsmaßnahmen laufen gerichtliche Auseinandersetzungen. Zwar wurde das nationale Gesetz, das die Rodung von Olivenbäumen verbietet beziehungsweise nur in besonderen Ausnahmefällen erlaubt, in den vergangenen Jahren bereits durch regionale Gesetzgebungen aufgeweicht, dennoch scheint die in der Notstandsverordnung formulierte Abweichung von den bestehenden gesetzlichen Vorgaben zu weitreichend. Von den zahlreichen, mit einem roten X zur Rodung bestimmten Bäumen wurden bisher auf Anordnung Sillettis nur die von Andriukaitis erwähnten Bäume in Oria gefällt.
Allerdings lässt sich nicht genau bestimmen, wie viele Olivenbäume bereits vor Ausrufung der Notstandspolitik unter Berufung auf das Bakterium gerodet wurden, und ob die bereits gefällten Bäume wirklich infiziert waren, da die jeweiligen Erhebungs- und Analysemethoden strittig sind. Landwirtschaftsminister Maurizio Martina sprach vorvergangene Woche von 100 000 Bäumen, die in den vergangenen drei Jahren zerstört worden seien.
Bauern- und Umweltschutzverbände, die den Besuch der EU-Delegation mit Protesten begleiteten, warnen seit Monaten vor Spekulationsgeschäften. Marilù Mastrogiovanni, Autorin der investigativen Recherche »Xylella-Report«, wertet die Anti-Xylella-Politik als gezielten »Angriff« auf die Olivenhaine zur Durchsetzung unterschiedlichster Geschäftsinteressen und Bauvorhaben. Anfang Juni wurden beispielsweise mit Genehmigung der Regionalregierung in Trepuzzi, einer kleinen Gemeinde innerhalb der »Befallszone«, 40 gesunde Bäume für den Ausbau einer Schnellstraße entwurzelt und aufgrund der aktuellen Notverordnung zerstört, statt andernorts neu verpflanzt. Auch die von Silletti in Aussicht gestellten Entschädigungszahlungen für jeden gefällten Baum könnten für manche Besitzer, die ihre Olivenhaine ohnehin nicht landwirtschaftlich nutzen und seit Jahren verkommen lassen, ein lukratives Geschäft werden.

Der Widerstand gegen die Kahlschlagpolitik gründet vor allem darin, dass längst nicht wissenschaftlich zweifelsfrei erwiesen ist, ob Xylella überhaupt für das Massensterben der Olivenbäume verantwortlich ist. Anfang Juli veröffentlichte das italienische Landwirtschaftsministerium Zahlen, wonach bei knapp 27 000 untersuchten Bäumen nur in rund 600 das Feuerbakterium gefunden wurde, das heißt weniger als drei Prozent der analysierten Pflanzen waren tatsächlich mit Xylella infiziert. Auch über die Herkunft und Ausbreitung des in Apulien identifizierten Erregers gibt es keine hinreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse. Da der in Italien nachgewiesene Erregerstamm identisch sein soll mit dem in Costa Rica auf Kaffeepflanzen verbreiteten Erreger, lautet eine Hypothese des italienischen Instituts für agronomische Studien im Mittelmeerraum (IAM), Xylella fastidiosa sei über die Einfuhr von Zierpflanzen aus Costa Rica ins Land gekommen. Cosimo Lacirignola, der Direktor des IAM, behauptet in Interviews mit der Lokalpresse, der Befall sei eine »Auswirkungen der Globalisierung«, Touristen würden sich fremde Zierpflanzen aus dem Urlaub mitbringen und damit Quarantäneschädlinge einschleppen. Seit April rät die EU ihren Mitgliedstaaten, die Einfuhr von Coffea-Pflanzen aus Costa Rica und Honduras zu verbieten.
Auch gibt es keine verlässlichen Angaben dazu, warum in Apulien ausgerechnet die Olivenbäume befallen werden und ob der Erreger, wie von EU-Kommissar Andriukaitis befürchtet, auch für die übrige mediterrane Vegetation und letztlich für die europäische Landwirtschaft zur Gefahr werden kann. Frankreich hat vorsorglich seit Monaten die Einfuhr von Pflanzen aus Apulien untersagt, die von Xylella befallen sein könnten. Zumal bisher kein Pflanzenschutzmittel bekannt ist, das direkt gegen das Bakterium einsetzbar wäre. Xylella kann derzeit nur indirekt über den Vektor, den Insektenüberträger, bekämpft werden. In Apulien wurde die Wiesenschaumzikade als Überträgerin ausgemacht.
Die dürftigen wissenschaftlichen Erkenntnisse lassen Raum für verschwörungstheoretisch anmutende Spekulationen: Xylella sei bereits 2010 anlässlich eines Forschungskongresses aus Kalifornien nach Bari gebracht worden, deshalb seien die Wissenschaftler des IAM selbst für die Verbreitung des Bakteriums verantwortlich. Der Vorwurf wurde von der italienischen scientific community mit dem Hinweis zurückgewiesen, der seinerzeit untersuchte Erregerstamm stimme nicht mit dem in den Olivenbäumen nachgewiesenen überein. Die Staatsanwaltschaft in Lecce hat dennoch eine Untersuchung wegen fahrlässiger Verbreitung von Krankheitserregern eingeleitet und in Einrichtungen des Nationalen Forschungsrats (CNR) Computer und externe Speichermedien beschlagnahmt.

Bereits seit März drängt die italienische NGO Peacelink die Brüsseler EU-Kommission dazu, wissenschaftliche Studien der Universität Foggia in Betracht zu ziehen, wonach zum einen nicht Xylella, sondern ein Pilz für die Austrocknung der Bäume verantwortlich sein soll und zum anderen natürliche Methoden zur Eindämmung des Phänomens nachweislich Wirkung zeigten. Unterstützung erfährt der Peacelink-Vorschlag, die EU-Kommission möge eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung zum Olivenbaumsterben in Auftrag geben, von der italienischen Vizepräsidentin der Europäischen Grünen, Monica Frassoni. Der grüne Europaabgeordnete José Bové traf sich allerdings bei seinem Besuch im Salento Ende Juni, sehr zum Unmut der örtlichen Umweltverbände, nur mit Vertretern der Notstandspolitik. In den Augen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gibt es bisher keine ausreichenden Hinweise, die die Hypothese, ein Pilz sei Ursache des Olivenbaumsterbens, stützen könnten. Sie empfahl die Fortsetzung und Intensivierung der Forschungsarbeiten in Hinblick auf den Xylella-Erreger, um »bestehende Unsicherheiten« zu reduzieren und das Risiko sowie die Maßnahmen zur Risikobekämpfung verlässlicher bewerten zu können. Eine Antwort auf die Frage, warum die EU-Kommission, trotz der von der EFSA eingestandenen »Unsicherheiten«, an ihrer Forderung nach einer uneingeschränkten Zerstörung von Zehntausenden von Hektar Olivenbäumen festhält, blieb Andriukaitis bei seinem Besuch in Apulien schuldig.