Europa und der linke Populismus

German Angst

Die deutsche Furcht vor Syriza und ­Podemos.

Als Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig vorige Woche mit der Wortmeldung ins Sommerloch pieselte, die SPD könne 2017 auf ­einen eigenen Kanzlerkandidaten verzichten, da Angela Merkel ihre Sache doch »ganz ausgezeichnet« mache und wichtig nur sei, dass die SPD weiterhin ein paar Ministerinnen stelle, brachte er damit das ganze postdemokratische Elend der europäischen Sozialdemokratien auf den Punkt. Nichts ist mehr wichtig außer dem persönlichen Zugang zu den Futtertrögen, zu ­deren Befüllung aus den Taschen der Proleten man noch die letzten linken Spurenelemente zu beseitigen bereit ist. Was die SPD mit Hartz IV ­erledigte, holen die österreichischen Sozialdemokraten nun mit bereits diskutierten Ideen wie der Einführung von Essensmarken und Zwangsarbeit für Sozialhilfebezieher sowie mit regio­nalen Koalitionen mit der rechtsextremen FPÖ nach, nämlich endgültig noch das letzte Argument, diese Parteien zu wählen, zu entwerten. SPD und SPÖ sind für Lohnabhängige nicht mal mehr das geringere Übel, sie sind einfach nur Teil des Problems, technische Verwalterinnen der politischen Entmachtung der Arbeiterklasse ­zugunsten der Exportindustrie, die sich dem Kapital dank ihres immer noch bestehenden Einflusses auf Gewerkschaften als verlässliche Partner im von oben nach unten geführten Klassenkampf andienen. Kein Wunder, dass Linke, die sich mit dem Ende der Beteiligung der Kapital­losen an der innerkapitalistischen Demokratie nicht abfinden wollen, hoffnungsvoll oder wenigstens interessiert nach Griechenland und Spanien blicken. Dort sind mit Syriza und Podemos neue politische Parteien entstanden, die dem Kapitalismus noch ein bisschen Leben abtrotzen wollen und sich mit der Erzählung, es gebe halt leider keine Alternative dazu, dass die Mittel- und Unterschicht immer ärmer und die Oberschicht immer reicher wird, nicht abfinden mögen. Aber ist eine innerkapitalistische Reform­politik in Europa überhaupt noch möglich oder haben jene recht, die Syriza und Podemos allenfalls als Karikatur linker Politik charakterisieren?
Was Syriza und Podemos für die grauen Herren und Damen des deutsch-europäischen Establishments so unheimlich und schwer berechenbar macht, sind drei »P«: Sie sind postmarxistisch, postmodern und populistisch. Das Arsenal, das man sich für den Kampf gegen klassische linke Parteien zugelegt hat und das von Kriminalisierung über Korrumpierung bis zu Krieg reicht, will bei Gruppierungen, die sich ganz nach Laclau und Gramsci mehr dem Kampf um Definitionsmacht und einer horizontalen Transforma­tion verschrieben haben, statt nach Ministerposten und vertikaler Machtausübung zu streben, nicht so recht wirken. Wir reden hier vor allem von der Theorie. Dass zum Beispiel Pablo Iglesias und seine Vertrauten die von ihnen so stark betonte Basisdemokratie durch geschicktes Platzieren von Kandidaten und die ihnen dienliche Terminfestlegung für Abstimmungen so manipulieren, dass die Resultate sehr wahrscheinlich in ihrem Sinne ausfallen, ist ebenso bekannt wie der kaum noch auszuhaltende Widerspruch zwischen Ansage und Realität in der Syriza und Podemos nahe verwandten regierenden lateinamerikanischen Linken, die zwischen realsozialistischen Experimenten, nicht nachhaltiger Umverteilung, autoritären Entgleisungen und Korruptionsskandalen unsicher schwankt und, auch das ein Problem populistisch verkürzender Kapitalismuskritik, in Bedrängnis gerne auf antisemitische Regression zurückgreift.
Deutschland und die ihm hörigen, vornehmlich nord- und osteuropäischen Regierungen betrachten Syriza und Podemos vor allem als Störfaktoren bei der Umgestaltung Europas nach deutschem Gusto und verhalten sich ganz ähnlich wie in den achtziger Jahren die USA in Lateinamerika: Die neuen linken Bewegungen sollen um jeden Preis eingedämmt werden. Die Bilder von griechischen Rentnern, die weinend in langen Warteschlangen vor Bankautomaten standen, haben ihre beabsichtigte Wirkung nicht verfehlt. Jüngsten Umfragen zufolge ist die spanische ­Podemos auf 15 bis 18 Prozent abgestürzt und damit wieder weit davon entfernt, die regierenden Konservativen ernsthaft herauszufordern. Die nahezu obsessive Kompromisslosigkeit, mit der Deutschland die griechische Regierung zur Fortsetzung und Forcierung des desaströsen Austeritätskurses zwingt, hat ja auch den Sinn, die spanische Bevölkerung einzuschüchtern und sie davon abzuhalten, die Linkspopulisten zu wählen. Angela Merkel und Wolfgang Schäuble wissen, dass der ökonomische Zwerg Griechenland ebenso einfach zu retten wäre, wie er auch gemaßregelt werden kann. Bei Spanien, immerhin die dreizehntgrößte Nationalökonomie der Erde, sehen die Machtverhältnisse und die möglichen wirtschaftlichen und europapolitischen Auswirkungen schon anders aus.
Es könnte aber sein, dass die Niederhaltung links­populistischer Parteien in »Lateineuropa« die immer stärkere Unzufriedenheit in diesen Ländern mit der deutschen Hegemonialpolitik, die die Wirtschaft dieser Staaten an die Wand drückt und die Lebensqualität immer weiter senkt, nicht neutralisiert. Sie könnte auch den Weg frei machen für rechtsextreme protektionistische Parteien wie den Front National, die mit einer wahrhaft europafeindlichen Agenda antreten. Am Ende würde dann nicht die unbestrittene deutsche Herrschaft über den Kontinent stehen, sondern eine nationalistische Politik, die, nachdem die zu erwartenden rassistischen und antisemitischen Sündenbockjagden nichts an den ökonomischen Fakten geändert haben, zu militärischen Mitteln greifen könnte.