Stolpersteine haben wenig mit respektvollem Gedenken zu tun

Das Gedenken mit Füßen treten

Dass ausgerechnet die Deutschen ihre Stolpersteine so sehr schätzen, ist kein Zufall. Das Gedenken auf der Straße ist unkompliziert, dezent und platzsparend.

Jan Böhmermann, seines Zeichens Comedyheld einiger deutscher Bauchlinker, kommentierte die Entscheidung des Münchener Stadtrats auf Twitter unter anderem mit dem Tweet: »Und dann noch ernsthaft Gedanken wie ›Jaha, aber ›die Juden‹ wollen die Stolpersteine auch nicht‹ in die Debatte zu werfen. Furchtbar.« Was jedoch tatsächlich furchtbar ist, ist die deutsche Herangehensweise an die Debatte um die Stolpersteine.
Was zunächst nach einer guten Idee klingen mag, das Erinnern an die einzelnen Opfer, die Einbindung des Gedenkens in den Alltag und die Erforschung der Lebensläufe durch lokale Gruppen, hat auf den zweiten Blick wenig mit respektvollem Gedenken zu tun. Ein Stein im Boden lädt nicht nur, wie gewünscht, zum Innehalten ein, sondern meistens vor allem dazu, darauf zu treten. Mit Recht weisen gerade Überlebende selbst auf die Entwürdigung hin, diedas mit sich bringt. Während der NS-Zeit wurden deutsche Straßen mit jüdischen Grabsteinen gepflastert, Jüdinnen und Juden wurden gezwungen, diese Straßen auf Knien und teils nur mit ihren Händen sauber zu machen – und heute sollen Pflastersteine an eben diese Opfer erinnern, denen sowieso schon das Grab und die Würde im Tod genommen wurden.

Dass dem für die Stolpersteine verantwortlichen Künstler, Gunter Demnig, die Würde derjenigen egal ist, an die eigentlich erinnert werden sollte, zeigt er auch an anderer Stelle deutlich. So werden Menschen, die im Nationalsozialismus als sogenannte »Asoziale« verfolgt wurden, auch weiterhin als »Gewohnheitsverbrecherin«, als »Volksschädling« oder als »Rassenschänder« bezeichnet – Begrifflichkeiten, die Demnig nur durch simple Anführungszeichen als NS-Jargon kenntlich macht. Auch der Einspruch von Angehörigen galt zunächst als irrelevant, der Ersatz für den entsprechenden Stein musste erst wieder neu finanziert werden. Doch nicht nur beim Kopf des »Kunstwerkes« stellt man sich die Frage nach der eigentlichen Motivation. Auch in lokalen Initia­tiven tummeln sich Menschen, die viel im Sinne haben, aber nicht das würdige Erinnern an die Opfer. Ulrich Restat etwa, ein Mitgründer von »Stolpersteine in Kassel«, erklärte bei einer antisemitischen Demonstration 2014, dass »der Tod heute ein Meister aus Israel« sei und wünschte sich Stolpersteine auch für von Israel ermordete Palästinenser. Auch in München zeigten Mitinitiatoren schon offen ihren Antizionismus, weshalb man sich über die fehlende Distanzierung von dieser Täter-Opfer-Umkehr auf den Steinen nicht zu wundern braucht.
So tiefgehend beschäftigen sich jedoch die wenigsten mit der Initiative. Die Stolpersteine erscheinen als bequeme, dezente Art des Gedenkens, man hat etwas getan und muss dafür nicht mal eine große Fläche opfern. Mit wenig Aufwand – schließlich ist schon die Suche nach Angehörigen häufig zu anstrengend – kann man sein eigenes Gewissen beruhigen. Ein Jan Böhmermann will natürlich nicht wissen, wie Vertreter der Opfergruppen dazu stehen, damit würde er schließlich über die eigene Schuldabwehr hinausgehen.

Dass Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens, schon seit Jahren eine der vehementesten Gegnerinnen der Stolpersteine ist, dient einigen der Stolperstein-Fans dann übrigens gleich zur Vorführung ihres kruden Gedankenguts. Da wird behauptet, dass Knobloch im Münchner Stadtrat ihre Fäden gezogen und den Stadträten ihre Argumentation aufgezwungen habe, oder ob allgemein über sie als »machtverliebten und verbohrten Menschen« gesprochen wird, die charakterlich scheinbar so verdorben ist, dass sie aus Böswilligkeit den Deutschen das Gedenken kaputtmachen wolle. Die antisemitischen Stereotype der machtgie­rigen und verschwörerischen Juden werden, ob bewusst oder nicht, hinreichend bedient.
Es wird sich nie eine Art des Gedenkens finden, die der Shoah in irgendeiner Art und Weise gerecht wird, das Grauen ist schlicht nicht fassbar. Gerade im postnazistischen Deutschland ist es jedoch enorm wichtig, dem Vergessen, aber auch dem Missbrauch der deutschen Vergangenheit entgegenzuwirken. Tagtägliche und individuelle Erinnerungen an jedes einzelne Opfer sind dabei eigentlich ein starker Ansatz. Jedoch ist kein Gedenken, dass auf Widerstand unter den Opfergruppen oder unter Angehörigen stößt, etwas wert. Nur gemeinsam mit ihnen kann eine würdige Erinnerung geschaffen werden, eine, die sich nicht des NS-Jargons bedienen muss oder die Namen der Opfer der Rücksichtslosigkeit der Straße aussetzen.
Gleichzeitig sollte jedoch auch klar sein, dass, egal was für eine Form des Gedenkens gefunden wird, die Geschichte damit kein Ende findet. Das Erinnern und das Gedenken muss immer eingebettet sein in eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Ursachen der Shoah und den daraus folgenden Konsequenzen für die heutige Gesellschaft.