Die Ermittlungen gegen Netzpolitik.org

»Was ist Landesverrat?«

Die Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft gegen Netzpolitik.org erinnern an die Spiegel-Affäre und den Weltbühne-Prozess.

Falls der Generalbundesanwalt nicht wusste, was ein Shitstorm ist, hat er seit Donnerstag voriger Woche wohl hinzugelernt. Denn da veröffentlichten die Macher des Blogs Netzpolitik.org einen Brief, in dem ihnen von der Generalbundesanwaltschaft offiziell mitgeteilt wurde, dass gegen sie wegen Verdachts auf Landesverrat ermittelt werde. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte Anzeige erstattet, nachdem Netzpolitik.org Auszüge aus BfV-Dokumenten veröffentlicht hatte, in denen es um den Ausbau der Internetüberwachung ging. Diese Schriftstücke waren mit »Verschlusssache vertraulich« gestempelt, der zweitniedrigsten von vier Geheimhaltungsstufen, die in der Bundesrepublik verwendet werden. Was es damit auf sich hat, wird im Amtsdeutsch so beschrieben: »Die Kenntnisnahme durch Unbefugte kann für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein.« Zum üblichen Shitstorm kamen diesmal allerdings auch eindeutige Statements der Journalistenverbände, denn unter dem Vorwurf des Landesverrats wurden hierzulande schon immer missliebige Publikationen vor Gericht gezerrt.

»Was ist Landesverrat?« fragte der Frankfurter Oberstaatsanwalt Fritz Bauer, der maßgeblich für das Zustandekommen des ersten Auschwitz-Prozesses gesorgt hatte, 1962 in einem Spiegel-Artikel. Er erschien rund zehn Tage nachdem die Bundesanwaltschaft am 26. Oktober 1962 Redaktionsräume des Hamburger Magazins durchsuchen und mehrere Mitarbeiter verhaften ließ. Die sogenannte Spiegel-Affäre hatte auch deswegen für öffentliche Empörung gesorgt, weil sie an den Prozess gegen die Zeitschrift Weltbühne im Jahr 1931 erinnerte. Zwei Jahre zuvor war dort unter dem Titel »Windiges aus der deutschen Luftfahrt« ein Artikel erschienen, der nachwies, dass Reichswehr und deutsche Luftfahrtindustrie gemeinsam am – durch den Versailler Vertrag verbotenen – Aufbau der Luftwaffe arbeiteten. Dass Regierung und Militär die Vertragsbestimmungen unter anderem mit Hilfe paramilitärischer Verbände und illegaler Waffenlager unterliefen, war ein offenes Geheimnis. Der Prozess gegen den Weltbühne-Herausgeber Carl von Ossietzky und den, wie man ihn heute nennen würde, Whistle­blower Walter Kreiser endete mit einer Verurteilung zu je 18 Monaten Gefängnis wegen Verrats militärischer Geheimnisse.

Die »Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat« wurde anlässlich des Reichstagsbrand-Prozesses geschaffen, sie erklärte unter anderem »landesverräterische Fälschung« zum Straftatbestand. Der entsprechende Paragraph, so Fritz Bauer, wurde 1951 von der Bundesregierung »brav adaptiert« – 1946 hatte der Kontrollrat alle Landesverratsbestimmungen außer Kraft gesetzt. Dass der Vorwurf des Landesverrats bevorzugt politische Gegner und missliebige Publikationen traf, liegt, so Bauer 1962, daran, dass der dazugehörige Tatbestand nicht klar definiert ist: »Das Delikt ›Landesverrat‹ bezieht sich auf den Verrat von ›Staatsgeheimnissen‹. Was aber als ›Staatsgeheimnis‹ zu gelten hat, steht nicht fest, sondern wird von Fall zu Fall durch den Staat, der sich geschädigt fühlt, dekretiert.« Staatliche Sachverständige, also zum Beispiel Beamte der jeweiligen Ministerien, bestimmten, ob Geheimnisverrat vorliege. Heute wie damals sei damit Landesverrat »der einzige Straftatbestand unserer Rechtsordnung, bei dem der aus ideellen Gründen handelnde Täter ein kaum kalkulierbares Risiko« trage.