Jihadismus in Mali

Die Galaxie der Jihadisten

In Mali konkurrieren mehrere jihadistische Organisationen miteinander und verübten erneut Anschläge.

Knapp zwei Monate nach dem Friedensabkommen vom 20. Juni, das damals feierlich in der Hauptstadt Bamako unterzeichnet wurde und die Vereinbarung von Algier vom 15. Mai bestätigte (Jungle World 26/2015), kommt Mali nicht zur Ruhe. Man wusste, dass das Abkommen zwar die Tuareg-Rebellenverbände einbinden konnte, aber nicht die jihadistischen Milizen und Organisationen, die zwischen Kooperation mit jenen und ihrer Bekämpfung wechseln. Das Ausmaß jedoch, in dem die Jihadisten ihre Aktivitäten in den vergangenen Wochen steigerten, war wohl von den wenigsten Beobachtern erwartet worden. Die »Nationale Bewegung zur Befreiung von Azawad« (MNLA) als zentrale Organisation der Tuareg-Rebellion, die in der ersten Jahreshälfte 2012 zusammen mit Jihadisten die gesamte Nordhälfte Malis erobert hatte, von ihnen jedoch ein halbes Jahr später bekämpft wurde, kommentierte die jüngsten Attacken im Norden und im Zentrum Malis bislang nicht.

Am Freitag vergangener Woche wurde das Hotel »Byblos« in Sévaré, rund 620 Kilometer nördlich von Bamako, von bewaffneten Jihadisten angegriffen, dies war der vorläufige Höhepunkt der jüngsten Anschlagserie. Das libanesischen Geschäftsleuten gehörende Hotel wurde unter anderem von – überwiegend zivilen – Mitarbeitern der UN-Truppe zur Stabilisierung Malis (Minusma) bewohnt. Der Angriff mündete in eine Geiselnahme, die erst nach über 24 Stunden beendet wurde. Die Angreifer wurden schließlich nach dem Eintreffen der Eliteeinheit der malischen Gendarmerie, des GIGN, sowie von französischen Spezialeinheiten der »Opération Barkhane«, die im gesamten westlichen und zentralen Sahel-Gebiet stationiert sind, zurückgeschlagen. Im Laufe der Geiselnahme und der Kämpfe starben insgesamt 17 Personen. Unter ihnen waren neun Zivilisten, darunter fünf Angestellte von Minusma: ein malischer Chauffeur, ein südafrikanischer Feuerwehrmann, ein Nepalese und zwei Ukrainer. Weitere Angehörige des zivilen Personals der UN-Truppe wurden nach Bamako gebracht. Ferner starben vier malische Soldaten und vier der Geiselnehmer.
Es war nicht die einzige jihadistische Operation 13 malische Soldaten bei einem Angriff in Gourma-Rharous im Raum Timbuktu. Und in der Nacht von Freitag auf Samstag erfolgte ein Angriff auf einen Gendarmerieposten in Baguinéda. Damit rückten die Attacken auf rund 50 Kilometer an Bamako heran.

Als verantwortlich für die Angriffe, zu denen sich zunächst niemand bekannte, galt den meisten Beobachtern anfangs die Jihadistenbewegung Ansar Dine. Diese hatte sich in den vergangenen Wochen durch eine Vielzahl von Angriffen bis in den äußersten Süden des Landes als wichtigste bewaffnete Opposition gegen die malische Zentralregierung zu profilieren versucht. So war bereits im Juni ein Posten der Sicherheitskräfte in Misseni an der Grenze zum südlichen Nachbarland Côte d’Ivoire attackiert worden. Im Laufe des vergangenen Wochenendes kam auch eine lokale bewaffnete Organisation, die »Befreiungsfront von Macina«, als mögliche Urheberin des Angriffs in Sévaré ins Gespräch. Diese kooperiert eng mit Ansar Dine und ist in deren Koordinationsstrukturen eingebunden.
Doch am Montag bekannte sich dann eine andere, rivalisierende Gruppe zu dem Terrorangriff: al-Mourabitoun, benannt nach der früheren nordafrikanischen Kalifendynastie der Almoraviden. Die Organisation entstand vor einigen Monaten durch die Fusion der im Sahara-Raum aktiven Gruppe der »Unterzeichner mit dem Blut« von Mokhtar Belmokhtar, deren Mitglieder überwiegend aus Algerien stammen, mit der »Westafrikanischen Bewegung für die Einheit und den Jihad« (Mujao), der vorwiegend Westafrikaner angehören.
Im Unterschied zu diesen Organisationen besteht Ansar Dine weitestgehend aus Staatsbürgern Malis und die Organisation beginnt, bedeutenden Einfluss auf diverse gesellschaftliche Bereiche zu nehmen, auch wenn ihre Ideologie gesamtgesellschaftlich randständig bleibt. Ihr Anführer ist Iyad Ag-Ghali, ein reicher Geschäftsmann, Politunternehmer und Warlord, der seine Karriere als Vertrauensmann des ehemaligen Präsidenten Amadou Toumani Touré begann, ab 2003 als dessen Botschafter in Saudi-Arabien diente und dann immer stärkere Verbindungen mit wahhabitischen Kreisen sowie katarischen Interessen unterhielt. Erst Ende Juli hatte Ag-Ghali die Verantwortung für eine Serie jihadistischer Attacken in fast allen Landesteilen übernommen und neue angekündigt.
Zugleich hatte Ansar Dine am Montag voriger Woche eine wichtige indirekte Anerkennung erfahren, als das Regime des Nachbarlands Mauretanien ohne nähere Angaben von Gründen ihren Anführer Sanda Ould Boumama freiließ. Im Mai 2013, während Frankreich die militärische »Opération Serval« in Nordmali durchführte und einen Großteil der dort ansässigen Jihadisten – vorübergehend – vertrieb oder tötete, hatte dieser sich den mauretanischen Regierungstruppen ergeben. Er besitzt auch die Staatsbürgerschaft Mauretaniens. Dessen Regierung hatte ihn seitdem zwei Jahre lang in Gefangenschaft gehalten, jedoch nie Anklage gegen ihn erhoben.

Sanda Ould Boumama soll den Befehl für die Zerstörung von historischen Mausoleen und anderer Kulturdenkmälern in Timbuktu 2012 gegeben haben und ist auch für andere mit der Sharia gerechtfertigte Taten verantwortlich. Seine Freilassung rief in Mali heftige Kritik hervor. Der 2009 offiziell zum Präsidenten Mauretaniens gewählte Mohamed Ould Abdelaziz, der bereits seit dem Putsch von 2008, der eine zwei Jahre zuvor eingeleitete Demokratisierung rückgängig machte, die Macht innehatte, unterstützte bereits in der Vergangenheit indirekt Jihadisten im In- und Ausland. Die malische Zeitung La Sentille, die ihn dafür heftig kritisierte, erinnert an seine Äußerung von 2014, derzufolge »der Islam über allem, über Menschenrechten und Demokratie steht«. Der militärische Machthaber ist kein ideologischer Islamist, doch versucht er, die erstarkende islamistische Oppositionsbewegung Tawassul in seine Machtausübung einzubinden. Mauretanien weigerte sich bereits in den vergangenen Monaten, die Grenze nach Mali zu schließen, um die Einreise von Jihadisten zu unterbinden. Im Gegenzug verkündete Ansar Dine erst Anfang August, Angriffe auf mauretanischem Staatsgebiet seien nicht vorgesehen.
Faktisch verfügt die Organisation also über mindestens einen regionalen Verbündeten. Aber auch innenpolitisch kann Ansar Dine inzwischen relativ großen Einfluss ausüben. Da die Gruppe sich als entschlossenste bewaffnete Widersacherin der Regierung einen Namen machen konnte, hat sie in jüngerer Zeit Unterstützer und Verbündete aus unterschiedlichen Kreisen gewonnen. Dazu gehören junge Offiziere und Militärangehörige, die 2012 am linksnationalistischen Putsch gegen Präsident Touré teilgenommen und deswegen aus der Armee entlassen wurden. Aber auch Tahirou Bah – »der Globalisierungsgegner, der zum Jihadisten wurde«, wie ihn eine malische Zeitung im Juni vorstellte – mit seiner »Volksbewegung für die Befreiung Malis« (MPLM) arbeitet heute als militärischer Verbündeter von Ansar Dine im Südosten des Landes. Bah, der über eine gute Bildung verfügt und auf Fotos im Internet mit einem Bierglas posiert, war bis vor fünf Jahren die Nummer zwei in der links und sozial ausgerichteten »Bewegung der Stimmenlosen«, die etwa landlose Bauern zu organisieren versucht. Wegen seines putschistischen Drangs zu Aktionen auf egal welcher inhaltlichen Grundlage trennte die Bewegung sich jedoch von ihm.