In Italien sollen Flüchtlinge unentgeltlich die Straßen reinigen

Im kollektiven Putzwahn

Italienische Regierungsvertreter verkaufen unentlohnte Arbeit von Flüchtlingen als Integrationsmaßnahme. Die Lega Nord fordert gleich deren Ausweisung.

Der Vorschlag war nicht neu, die Gelegenheit zur publikumswirksamen Realisierung günstig. Nachdem in der Nacht zum 1. August heftige Unwetter über der Toskana vor allem in Florenz zu Überschwemmungen und Sturmschäden geführt hatten, beschlossen Stadt und Region, Asylsuchende auf freiwilliger Basis und unentgeltlich für Aufräumarbeiten einzusetzen. Zusammen mit dem Zivilschutz halfen einige Dutzend Flüchtlinge an der Flusspromenade und in städtischen Grünanlagen, umgestürzte Bäume, abgebrochen Äste und angeschwemmten Schmutz zu beseitigen. Eine »schwachsinnige Idee«, schimpfte Matteo Salvini, Vorsitzender der rechtspopulistischen Lega Nord, man dürfe die »Illegalen« nicht arbeiten lassen, sondern müsse sie ausweisen.
Bereits im Frühjahr, als Innenminister Angelino Alfano von der kleinen rechten Regierungspartei Nuovo Centro Destra (NCD) gefordert hatte, Flüchtlinge sollten zu gemeinnützigen Arbeiten herangezogen werden, schalt Salvini seinen ehemaligen Bündnispartner einen »Sklavenhalter«. Anstatt die Schlepper zu bekämpfen und die Einreise von Flüchtlingen zu verhindern, beute er sie lieber aus. Eine Sprecherin der Forza Italia twitterte damals, gratis arbeitende Flüchtlinge würden die Arbeitslosigkeit unter Italienern erhöhen. An Stellen zum unentgeltlichen Engagement herrscht jedoch kein Mangel. Einige Kommunalverwaltungen verwiesen lediglich auf gesetzliche Regelungen, wonach öffentliche Arbeiten nicht unentgeltlich vergeben werden dürften, und auf ungeklärte Arbeitsschutzfragen. Dennoch wurden seit diesem Frühjahr in zahlreichen Städten Flüchtlinge zu freiwilligen Reinigungsarbeiten an Stränden und in Parks angeworben.
Wie jüngst in Florenz wiesen Regierungsvertreter des Partito Democratico (PD) den Vorwurf der Ausbeutung zurück, die gemeinnützige, unentgeltliche Arbeit sei eine »lobenswerte Methode« zur Integration. Die Flüchtlinge würden ihre Umgebung und die Bürgerschaft kennenlernen, wechselseitige Vorurteile könnten abgebaut und die Sprachkenntnisse verbessert werden. Linke Stimmen, die das propagierte bürgerschaftliche Engagement als scheinheilig kritisieren, solange den Flüchtlingen grundlegende Rechte verwehrt bleiben, sind nur vereinzelt zu hören. Schließlich engagieren sich inzwischen viele, die einst zur linksautonomen Szene um die verschiedenen centri sociali gehörten, selbst in zivilgesellschaftlich orientierten Stadtteilkomitees. In den südlichen Vororten Roms ist es vornehmlich lokalen Initiativen zu verdanken, dass brachliegende, verwahrloste Flächen wieder als Grünanlagen genutzt werden können.

Allerdings zeigt sich in diesem Sommer auch die Kehrseite der weitgehend entpolitisierten zivilgesellschaftlichen Bewegungen. Nachdem wochenlang zuerst nur in der nationalen, dann auch in der internationalen Presse der »Niedergang« Roms, das Versinken der Ewigen Stadt in Müll und Schmutz beklagt wurde, lancierte Ende Juli der römische Schauspieler Alessandro Gassmann den Hashtag »Rom bin ich«, mit dem er die Stadtbevölkerung aufforderte, selbst Hand anzulegen, damit Rom wieder in seiner kinematographischen grande bellezza erstrahle. Zahllose »Retake«-Initiativen in den Stadtteilen griffen den Vorschlag auf. Seither werden in den sozialen Medien weniger überfüllte Mülltonnen gepostet, dafür mehr Selfies, die den persönlichen Dienst an der Allgemeinheit dokumentieren.
Im kollektiven Putzwahn verliert die politische Analyse an Bedeutung. Problematisiert werden weder die verheerenden Konsequenzen der Austeritäts- noch die der Migrationspolitik. Doch der lokalpatriotische Aufruf schürt nicht nur antipolitische Ressentiments, er suggeriert gleichzeitig, dass für den »Verfall« jene verantwortlich seien, die nicht zu Rom gehören: Einwanderer und Flüchtlinge. Dringlicher als die Neuordnung der durch Korruption und Klientelpolitik abgewirtschafteten Müll- und Verkehrsbetriebe erschien der Stadtverwaltung Roms das Verbot der von Migranten betriebenen mobilen Bars und ambulanten Verkaufstische im touristischen Zentrum der Stadt. Oberbürgermeister Ignazio Marino (PD) begrüßte die Initiative Gassmanns ebenso wie Matteo Salvini, der versprach, notfalls selbst mitzuhelfen, um die von der Lega Nord traditionell als Moloch beschimpfte Hauptstadt zu säubern.
Eine ähnliche Querfront war erstmals Anfang Mai mobilisiert worden, nachdem es anlässlich der Mayday-Parade gegen die Eröffnung der Weltausstellung Expo zu Randale gekommen war. Mit dem Twitter-Aufruf »Hände weg von Mailand« sollte gegen die »Idioten« und »Vandalen« der antagonistischen Bewegung ein »Zeichen für Zivilität und Demokratie« gesetzt werden. Tausende von Freiwilligen sammelten damals auf, was zu Bruch gegangen war, schrubbten Graffiti von Häuserwänden und sangen dabei abwechselnd das Partisanenlied »Bella Ciao« und die Nationalhymne. Das stolze Wir-Gefühl, mit dem Mailand wieder auf Hochglanz poliert wurde, sollte zum Vorbild für das ganze Land werden.

Derzeit demonstrieren die PD-geführten Stadtverwaltungen in Rom und Florenz, wie sich das zivilgesellschaftliche Engagement für die eigene neoliberale Politik vereinnahmen lässt. Fehlende oder abgebaute staatliche Strukturen sollen durch bürgerschaftliche Initiativen ersetzt werden. Wer dazugehören will, muss sich freiwillig und unentgeltlich einbringen, seine Nützlichkeit unter Beweis stellen. Das rechte Lager hat zwar grundsätzlich nichts gegen diese Form der Subsidiarität, will aber die lokalen Gemeinden »rein« halten und lehnt deshalb jeden Arbeitseinsatz von Flüchtlingen ab. Eine antirassistische Linke, der es um die Rechte von Flüchtlingen geht, sollte nicht nur Salvini bekämpfen, sie müsste auch den Bluff mit der zivilgesellschaftlichen Integration entlarven.