Nur ein richtiges Skateboard kann progressiv sein

Longboards sind Wrongboards

Es gibt kein richtiges Skaten auf dem falschen Board.

Stellt euch einen übergewichtigen Mittdreißiger vor, der sich auf einem Longboard den Weg durch eine überfüllte Straße schlängelt, während er sein mit Indianerfedern behangenes Didgeridoo als Paddel benutzt. Er trägt Zehenschuhe, eine Wraparound-Sonnenbrille und übergroße Kopfhörer, hinter denen seine Dreadlocks strömen wie der Kondensstreifen eines Düsenjets. Sein selbstgefälliges Grinsen, in dessen Winkel eine Zigarette baumelt, kündigt an: »Seht her: Das ist die tragische Erscheinung der Endstation eines langen evolutionären Prozesses mühevoll kuratierter Nonkonformisten – der gegenwärtige Longboarder.« Kaum etwas irritiert echte Skateboarder mehr, als mit Longboardern in ein und derselben Kategorie gruppiert zu werden. Wie wenn man einem gestandenen Linken sagt, Nazis seien doch irgendwie auch Sozialisten. Erstens sind Longboards objektiv regressiv. Sie kehren der progressiven Evolution des Skateboards den Rücken, sind sozusagen der Heideg­ger der Skateboard-Welt. Wie die Vorfahren der Landlebewesen selbst kroch das Skateboarden wortwörtlich amphibisch aus dem Meer, als Surfer die Griffe von den Rollwägen von Milchkisten absägten, um zu Übungszwecken das Gefühl von Wellenreiten auf dem Land, das carving, also Wendungen bis zu 360 Grad auf einer Welle, zu simulieren. Diese primitive Technologie spiegelte diesen Zweck wieder und zwang zu vielerlei Einschränkungen – die Boards waren klein, flach und aus schwerem Holz oder unflexiblem Metall. Ohne tails war ihre Lenkbarkeit darauf beschränkt, sich nach links oder rechts zu lehnen – carving eben. Die Räder waren ursprünglich sehr klein und aus Ton oder Kohlenstoffstahl, was dazu führte, dass sie entweder zerkrümelten oder den Fahrer beim kleinsten Kieselsteinchen oder Riss in der Fahrbahn durch die Luft schleuderten.

Wie bei einer ungewöhnlichen Evolution wuchsen die kleinen Schwanzstumpfe der Skateboards mit der Zeit und winkelten sich nach oben, was die materiellen Vorbedingungen für einen evolutionären Durchbruch schuf – Flugfähigkeit. Der Ollie, der handlose Sprung im Skateboarden, wurde 1979 erfunden und zunächst auf Rampen und in den eigens zu diesem Zweck künstlich angelegten Skatebowls vollführt, aber schnell auch für den flachen Untergrund adaptiert. Dieser elementare, aber zugleich komplizierte Move markiert den Big Bang des modernen Skateboardens, der dem Vertikalskaten den Schub zu neuen Höhen lieferte und die Entwicklung des Straßenskatens antrieb. Der Ollie erlaubte Skatern über Bordsteine und andere Hindernisse zu springen, ohne ihre Boards aufheben zu müssen. Von dort verwandelte er sich in 1 000 stilistische Varianten und wurde die Grundlage von fast jedem heutigen Skatetrick.
Longboards geben diesen hart verdienten Fortschritt auf. Länge, niedriges Gravitationszentrum, große Räder und fehlendes tail sind einzig und allein darauf angelegt, schnell von A nach B zu gelangen. Länge und Gewicht erlauben Longboards Schwung zu generieren, aber die weichen Räder verunmöglichen das powersliden – jenes coolste Bremsmanöver beim Sklateboardfahren durch eine Seitwärtsdrehung in voller Fahrt. Folglich sind Longboarder Gefangene ihres eigenen Momentum. Wie ein unerfahrener Reiter, der auf dem Rücken eines Pferdes erst im Galopp merkt, dass er nicht weiß, wie er das Tier anhalten soll, beschleunigen sie bis zum panikartigen ungraziösen Absprung. Das Design des Longboards macht seine Fahrer erdgebunden und unfähig zum erhabenen Abheben.

Die Unmöglichkeit, einen Ollie zu machen, reduziert das Skaten zu einer Form der instrumentellen Vernunft – entwertet zu einer bloßen Form des Transports, zu einem von seiner eigenen groben Schwungkraft versklavten Werkzeug. Im Gegensatz dazu erlaubt das Skateboard im höheren Entwicklungsstadium die kreative Reinterpretation des urbanen Raums. Vorsprünge, Bänke, Geländerstangen und Bordsteine werden aus ihrer trägen Funktionalität gerissen und zu unwilligen Komplizen in der kreativen Zerstörung von Privatbesitz verwandelt. Während das Longboarden nur den Maßstab brutaler Geschwindigkeit kennt, ist das Skateboarden eine Kunstform, die auf einem Stil basiert, der sich dem objektiv Messbaren entzieht. Skateboarden ist daher die einzige nennenswerte Form prefigurativer Politik. All ihrer augenscheinlichen Funktionalität zum Trotz sind Longboards in erster Linie Fashion-Accessoires. Ihre gegenwärtige Ubiquität repräsentiert lediglich ein weiteres Exemplar einer langen Serie kultureller Produkte, die in der Vermarktung darauf abzielen, das verbreitete Bedürfnis nach dem symbolischen kulturellen Kapital von »alternativen« oder gar »extremen« Lebensstilen zu befriedigen. Wie im eingangs geschilderten Bild stellen sie die neueste Ausstattung im Outfit eines rebel consumer dar, das, wenn überhaupt, nur tangentiell mit Skateboarden oder Gegenkultur etwas zu tun hat. Tatsächlich sieht man häufiger ein getragenes als ein gefahrenes Longboard. Während Longboarder sich gern als die Cadillac-Fahrer der Skatewelt wähnen, wäre der angemessenere Vergleich der mit einem Segway. Falls einer auf die Bewunderung der Leichtgläubigen hofft, wenn er auf einem dieser Monstren vor dem Spätkauf nebenan vorfährt, dann ist das sein Problem. Aber verwechselt das niemals mit Skateboarden.

Aus dem Englischen von Carl Melchers