Mehl im Kopf

Der Verfasser dieser Zeilen ist ausgewiesener Freund des Winters. Nicht nur macht er viele eklige Insekten und Allergene tot, er zwingt die Menschen auch zur Zurückhaltung, zur Milde, zur Demut; jeder Schritt vors Haus will wohlüberlegt sein, jeder Dreher am Heizungsradl bedarf sorgfältiger ökonomischer Kalkulation. Der Winter konfrontiert sie mit ihrer Endlichkeit; zwingt ihnen Solidarität und gemeinschaftlich erzeugte Wärme auf, wo sie sich am liebsten an die Gurgel gingen; bläst den Eisodem der Vernunft zum Schornstein hinein. Im Sommer hingegen schießen die Lebenskräfte über, die ganze Natur atmet Überfluss, sinnlos strömen die Energien, und die Leute bauen nach Herzenslust Mist. Bestes Argument gegen diesen Sommer oder überhaupt alle Sommer war das Foto zweier Einfaltspinsel, die rotgesichtig und feuchtglänzend in einer Berliner Bar aneinanderpappten, als hätten sie gerade nach zwei kleinen Pils die Weltformel auf einem Bierdeckel notiert – links der mal Pegida, mal den Homo-Aufknüpfern im Iran zujubelnde Gabriel, rechts der mittlerweile nur noch in Gutturallauten und Verbalausfällen kommunizierende Schweiger. Aber auch in den Redaktionsstuben brutzelt dieser Sommer die letzten Gehirnzellen weg – so etwa bei Jakob Augstein. Es geht um Merkel, die Mitte und die populistischen Bewegungen: »Noch spürt Deutschland, der schläfrige Riese im Herzen Europas, vom kommenden Sturm nur einen leisen Hauch. Aber hoffentlich bläst auch hier bald ein frischer Wind den Mehltau fort, der das politische System erstickt. Es ist der Mehltau der Mitte.« Sturm, Märchenwesen und Parasiten – bei der Hitze schmelzen halt auch die Sicherungen, die den Schriftleiter normal vor einer pfeilgrad Goebbelschen Rhetorik bewahren. Man hofft auf einen harten, niemals enden wollenden Winter.