HipHop im Senegal

Rap im Jackett

In Westafrika berichten Rapper in Versform über internationale Neuigkeiten. Den Machern des senegalesischen »Journal Rappé« ist bereits der Schritt ins Fernsehen gelungen.

Keyti hat es eilig. Es ist noch heiß im abendlichen Dakar und während er zielstrebig durch die schmal­en sandigen Straßen eilt, werden knapp die wichtigsten Fragen geklärt: »Woher kommst du? Für wen arbeitest du?« Für ausführliche Antworten ist im Laufschritt keine Zeit und ohnehin geht das Gespräch im Gewusel des erwachenden Viertels unter. Es ist die letzte Woche des Ramadan und nach Sonnenuntergang verwandelt sich die tagsüber verschlafen wirkende Stadt in eine unübersichtliche Metropole. Der endlos scheinende Strom an Passanten und fliegenden Händlern prägt ihr Klangbild ebenso wie die unzähligen Taxis und die am Straßenrand eng aneinandergereihten Verkaufsstände.
Fast immer ist Musik zu hören. Neben Mbalax, der im Senegal populären Mischung aus traditioneller westafrikanischer Rhythmik und westlichen Stilen, dringt abends vor allem Rap auf die Straßen. Seit seinen Anfängen Mitte der achtziger Jahre hat sich HipHop zur dominanten Jugendkultur im Senegal entwickelt. Dakar ist Geburtsort und Zentrum einer vielfältigen Szene, in der die Bling-Bling-Kultur ebenso vertreten ist wie eine spezifisch senegalesische Form des politisch engagierten Rap.
Keyti gehört zu den Protagonisten der Conscious-Rap-Szene, denen besonders an ihrer internationalen Verbreitung gelegen ist und die dafür vor allem auf Online-Plattformen wie Youtube und Facebook setzen. »Am Anfang wusste niemand, was wir da eigentlich machen«, erinnert er sich. »Jetzt werden wir aber auch von der jüngeren Generation respektiert. Unsere Show ist das erste senegalesische HipHop-Produkt, das viral gegangen ist.«
Die Rede ist vom Journal Rappé, einer komplett gereimten satirischen Nachrichtensendung, die zunächst für Youtube produziert wurde und mittlerweile in der dritten Staffel im Programm des zweitgrößten TV-Senders des Landes ausgestrahlt wird. Jede Woche verpacken die Produzenten Xuman und Keyti lokale und internationale Neuigkeiten in Versform. Xuman rappt auf Französisch und Keyti auf Wolof, der Sprache der mit etwa 40 Prozent Bevölkerungsanteil größten ethnischen Gruppe des Landes. Zusätzlich berichten wechselnde Gäste als Korrespondenten und Kommentatoren.
Das Konzept und die von Einspielern und schnellen Schnitten geprägte Ästhetik sind der australischen Youtube-Show Juice Rap News entlehnt, die seit 2009 komplexe politische Themen in aller Kürze musikalisch verhandeln will. Diesen Anspruch erheben auch die jamaikanischen Dancehall-Listen Mi News, Rap News Plus aus Vietnam oder der Kanal Rap Da News, auf dem der Berliner Rapper Blumio versucht, »ein Gegengewicht zu den Medien herzustellen«, wie er der Taz unlängst im Interview sagte.
Das Misstrauen gegenüber etablierten und staatlichen Nachrichtenformaten ist all diesen Sendungen gemein, ebenso wie die fehlende journalistische Ausbildung der Macher. »Unsere Arbeit ist schlicht notwendig«, sagt Keyti über Journal Rappé. »Wir versuchen, nützliche Informationen zu sammeln und in die Öffentlichkeit zu tragen. Was die Leute damit letztlich machen, ist ihre eigene Entscheidung.« Die Gefahr des Konzepts, Berichterstattung nur innerhalb eines abgeschlossenen Weltbildes stattfindenden zu lassen, lässt sich am Beispiel der australischen Juice Rap News nachvollziehen. Deren besonders populäre Folge »Israel vs Palestine« bietet ausreichend Anknüpfungspunkte für kübelweise Antisemitismus in den Kommentaren.
Vergleichbare Kontroversen hat die senegalesische Show bisher nicht hervorgebracht. Kritik erfuhren die Macher bisher nur für die Ausgabe anlässlich eines Besuchs von Barack Obama. Weil dieser im Senegal für die Rechte Homosexueller eintrat, wurde er im Journal Rappé von zwei Gastkommentatoren angegriffen. Was von Seiten eines BBC-Journalisten öffentliche Homophobievorwürfe einbrachte, verteidigt Keyti als Meinungsfreiheit: »Wir haben diesen Beitrag diskutiert, ihn aber in der Sendung behalten, weil wir für freie Meinungsäußerung stehen. Egal ob es in diesem Fall richtig oder falsch war, es ist wichtig, Themen wie Homosexualität überhaupt anzusprechen.«
Aber ist die Ablehnung von Homosexualität nicht ohnehin Mainstream im Senegal? »Mich persönlich kümmert die sexuelle Orientierung anderer Leute nicht, aber mir ist die Debatte wichtig. Per Anordnung wird sich hier nichts ändern, dazu sind die Verschränkungen mit religiösen und kulturellen Überzeugungen zu stark. Wer Veränderung will, muss in einen Dialog treten.«
Dass der traditionell engagierte senegalesische HipHop die Politik beeinflussen kann, zeigte sich zuletzt 2012. Die von Journalisten und Rappern gegründete Protestgruppe Y’en a Marre (»Wir haben genug«) spielte während des umstrittenen Präsidentschaftwahlkampfes eine entscheidende Rolle innerhalb der Oppositionsbewegung. Sie formulierte aus der Frustration über die Regierung und die verfassungswidrige Kandidatur des damals 85jährigen Abdoulaye Wade wütende Texte, die vor allem junge Senegalesen zur Wahlbeteiligung motivieren sollten. Auch die Macher des Journal Rappé gehörten zum Kern von Y’en a Marre, wollen heute jedoch nicht mehr unbedingt mit der erfolgreichen Bewegung in Verbindung gebracht werden. »Wir machen uns ausnahmslos über alles lustig und schauen natürlich, wo diejenigen, die damals auf der Straße protestierten, jetzt sind. Wenn Y’en a Marre kritisiert werden muss, dann tun wir das auch.«
Für die enorme Reichweite dieser Kritik ist vor allem der Sprung ins Fernsehen ein Gradmesser. Während der 19 000 Abonnenten zählende Youtube-Kanal vornehmlich von der Diaspora rezipiert wird, basiert im Senegal selbst die große Bekanntheit des Journals auf seiner wöchentlichen TV-Ausstrahlung.
»In einem Land, in dem Internetzugang und Smartphones nur für einen Teil der Bevölkerung bezahlbar sind, liegt das auf der Hand«, sagt Amadou Fall Ba. Auch er gehört zur lokalen HipHop-Szene, seit er vor zehn Jahren mit der Organisation kleiner Shows in der Nachbarschaft begann. Heute ist er Veranstalter des größten westafrikanischen HipHop-Festivals FESTA2H und leitet Africulturban, eine mehr als 1 200 Mitglieder zählende HipHop-Organisation mit eigenem Kulturzentrum. Er sieht das gesellschaftskritische Potential von satirischem HipHop nüchterner als Keyti: »Die religiöse Gemeinschaft ist hier sehr stark. Das Journal Rappé macht sich über vieles lustig, aber über den Islam könnten sie nicht ohne Konsequenzen Witze reißen.« Hinzu komme eine weit verbreitete Politikverdrossenheit: »Die Hälfte der Bevölkerung hat keine abgeschlossene Ausbildung und interessiert sich nicht für Politik.« Amadou Fall Ba strahlt dennoch eine hektische Entschlossenheit aus, in der er den News-Rappern ähnelt. Auch er treibt intensiv die Vernetzung westafrikanischer Projekte mit internationalen NGO und Kulturstiftungen voran und glaubt an das Potential von HipHop: »Wir bieten in unserem Zentrum kostenlose Kurse in Kulturmanagement, Marketing, Social Media, Fotografie und DJing an. Jugendliche Straftäter kommen für ein halbes Jahr zur Resozialisierung zu uns und werden in unterschiedlichen Fächern unterrichtet. Wir sind die einzige Einrichtung dieser Art in ganz Afrika.«
Wie essentiell er die Vermittlung von praktischen Fähigkeiten wie Videobearbeitung findet, hat zuvor auch Keyti mehrfach betont: »Wir müssen unsere eigene Geschichte erzählen, und zwar auch, wenn es darin immer wieder um Armut und Konflikte geht. Das Internet bietet dafür den perfekten Raum, weil wir ein internationales Publikum ansprechen können. Wichtig ist dabei die Professionalität. Für schlechte Qualität gibt es keine Ausreden und keine Aufmerksamkeit.«
In diesem Sinne hat für ihn momentan die Verbreitung der Erfolgsmarke Journal Rappé Priorität. Eine Version für Nigeria ist in Arbeit, zunächst aber schauen die Erfinder zur Côte d’Ivoire, wo Ende des Monats der Ableger Journal Gbayé seine TV-Premiere auf dem einzigen landesweit zu empfangenen Sender haben soll. Nachdem ein Team vor Ort von den senegalesischen Kollegen geschult wurde, produziert es bereits für Youtube wöchentliche Folgen – thematisch unabhängig vom Original und hörbar auf anderen, ivorischen Beats.
Zum Moderationsteam gehört Nash – die berühmteste Rapperin des Landes, Festivalveranstalterin und nun angehende TV-Persönlichkeit. Als wir uns in Abidjan treffen, ist ihr die Aufregung über das absehbare Ende der langen Verhandlungen mit dem Staatsfernsehen anzumerken. Einen Widerspruch zwischen dieser Zusammenarbeit und der eigenen street credibility sieht Nash nicht: »Die ivorische HipHop-Bewegung lebt vom sozialen Engagement. Wir haben uns aus den Anfängen im Untergrund weiterentwickelt und das Journal gibt uns die Möglichkeit, noch mehr Menschen direkt anzusprechen.«
Nash ist bekannt für ihre Texte in der Mischsprache Nouchi. Der in den achtziger Jahren in den Ghettos von Abidjan entstandene Soziolekt ist heute in allen Gesellschaftsschichten zu finden. Dass die vergleichsweise junge Sprache nun gleichberechtigt neben der Amts- beziehungsweise Kolonialsprache Französisch in einem TV-Format Verwendung findet, ist bemerkenswert. Zusätzlich stellt die Übertragung für die Rapperin eine künstlerische Herausforderung dar: »Es ist ein Unterschied, ob ich meine eigenen Lyrics schreibe oder für das Journal texte. Im Grunde ist es ein mehrstufiger Prozess: ich übersetze Nachrichten aus dem Französischen ins Noushi und rappe sie dann in einer für mich neuen Rolle als Journalistin im Jackett. Das ist nicht ganz einfach, macht aber Spaß. Die Texte auf meinen Alben sind sehr gesellschaftskritisch – als Nachrichtensprecherin muss ich vieles anders formulieren.«
Zurück in Dakar hat Keyti mit dieser Doppelrolle fürs Erste abgeschlossen. Ein eigenes Album ist nicht in Planung: »Das Journal ist wichtiger. Wir konnten in der aktuellen Staffel zum ersten Mal Mitarbeiter bezahlen – und wir wollen immer noch besser und größer werden.«
Wie viel am Ende vom Anspruch bleibt, Zuhörer ernsthaft für Politik zu interessieren, muss sich noch zeigen. In jedem Fall aber ist das Format beispielhaft für die Entwicklung einer Szene, die einerseits fest in der Jugend- und Protestkultur verankert bleibt und sich andererseits seit einiger Zeit bewusst erweitert: »Wenn du mit dem Internet richtig umgehst, kannst du eine Menge erreichen.«