Ananya Azad im Gespräch über islamistischen Terror in Bangladesh

»Kritik kann nicht respektlos sein«

Dieses Jahr wurden in Bangladesh bereits vier Säkularisten wegen ihrer Veröffentlichungen im Internet ermordet. Sie wurden mit Macheten zerhackt und islamistische Gruppen bekannten sich zu den Taten. Auch der Schriftsteller und Blogger Ananya Azad wurde bedroht. Ende Juni ist er in Folge mehrerer Todesdrohungen von Islamisten nach Hamburg geflohen. Azad wurde 1990 in der Hauptstadt Dhaka geboren und bloggt seit mehreren Jahren für das religionskritische und humanistische Magazin Mukto-Mona. Vor wenigen Monaten hat er ein Buch über den Mangel an Frauenrechten in Bangladesh veröffentlicht. Mit ihm sprach die Jungle World über die Drohungen gegen ihn und den islamistischen Vormarsch in Bangladesh.

Vor wenigen Wochen wurde Ihr Freund und Kollege Niloy Chakrabarti in Bangladesh mit Macheten ermordet. Wer war er und wegen welcher Überzeugungen wurde er getötet?
Niloy war ein Freidenker. Er hat viele Artikel über Frauenrechte geschrieben und ebenso verschiedene Religionen kritisiert. Er hat nicht nur über den Islam geschrieben. Er hat immer widersprüchliche Teile von Religionen aufgezeigt und dargelegt, wie die Religion Frauen zu Sklavinnen machen kann. Er hat über alle Religionen geschrieben, aber nur islamische Terroristen wurden sauer und töteten ihn. Ich habe nicht mitbekommen, dass Anhänger anderer Religionen ihn missbilligten oder ihn sogar töten wollten. Er war kein gewöhnlicher Anhänger einer Religion, der keine Fragen stellt. Kritik ist keine schlechte Sache. Kritik deckt viele ungesagte Dinge auf. Fundamentalisten begehen ihre Taten im Namen der Religion und wenn niemand Fragen stellt, können sie die Religion nutzen, wie sie wollen. Sie lassen Menschen nicht leben, die ihre Regeln und Taten problematisieren.
Die Polizei hielt den Mord zwar für »nicht akzeptabel«, allerdings dürfe alles, was »religiöse Gefühle« verletze, nicht geschrieben werden. Zudem wurde ein hartes Vorgehen gegen Religionskritiker angekündigt. Einige Täter der Bloggermorde wurden bislang nicht gefasst. Gehen die Regierung und die Sicherheitsbehörden in Bangladesh konsequent genug vor, um Säkularisten zu schützen?
Es ist schockierend, aber es ist die Realität, dass die Regierung nichts für die Blogger tun will. Sie versuchen jetzt, den Bloggern die Schuld zuzuschieben. Fundamentalisten sagen, dass man sterben muss, wenn man Negatives über ihre Religion schreibt, und die Regierung verbietet ebenfalls Kritik. Für Blasphemie kann man bis zu 14 Jahre lang ins Gefängnis kommen. Die Polizei konzentriert sich auf die Schriften der Blogger, weil sie sich selbst vor den Fanatikern fürchtet. Sie denkt, dass die Islamisten die Regierung stürzen, wenn sie bestraft werden. Niloy ist auf der Suche nach Schutz zur Polizei gegangen. Er wollte aufgrund der Todesdrohungen eine Anzeige aufgeben, die aber ohne Begründung abgelehnt wurde. Wie kann man so eine Bestrafung der Täter erwarten? Das ganze System hat Angst vor den Fundamentalisten und deshalb fordern weder die Polizei noch die Regierung Gerechtigkeit für die Blogger.
Sie bezeichnen sich ebenfalls als Freidenker, Humanisten und Feministen. Was bedeutet das für Sie?
Freidenker hinterfragen alles. Sie glauben nichts, nur weil die meisten Menschen es glauben. Ich will die Wahrheit wissen. Ich glaube an Gleichberechtigung. Und wenn ich irgendwelche Ungerechtigkeiten sehe, erhebe ich mich und stelle Fragen. Egal ob es um Religion oder andere Bereiche der Gesellschaft geht. Wenn Menschen ihre Rechte nicht zugestanden werden, werde ich protestieren und Gerechtigkeit suchen. In unserer Gesellschaft werden Frauen im Namen der Religion oder mit anderen Begründungen ihrer Rechte beraubt. Islamisten sehen Frauen nur als Sexobjekte, deren hauptsächliche Aufgabe darin besteht, ihre Ehemänner zu befriedigen und Kinder zu gebären. Aber das ist komplett ungerecht! Frauen sollten das tun können, was sie wollen. Sie haben alle Qualitäten, die Männer auch haben, doch Männer werden vom in Bangladesh herrschenden Islam zu Göttern gemacht, die ihre Frauen gefangen nehmen.
Islamistische Gruppen veröffentlichten 2013 eine Liste von 84 Bloggern, die sie der Blasphemie bezichtigen. Auch Sie stehen auf dieser Liste und haben mehrfach Morddrohungen bekommen. Was bedeutete das für Ihr Leben in Bangladesh?
Ich konnte an nichts anderes denken, außer dass heute mein letzter Tag sein könnte. Vielleicht ist dieser Moment der letzte meines Lebens. Ich hätte zu jeder Zeit getötet werden können. Ich habe mich Tag für Tag in meinem Haus verschanzt und bin nur noch mit einem Motorradhelm als Schutz nach draußen gegangen. Oftmals dachte ich daran, wie eine Machete meinen Kopf spalten würde – es ist ein schreckliches Gefühl, mit einem kontinuierlichen Todesrisiko zu leben. Ende Juni kam ich nach Deutschland. Terroristen hatten meine Ermordung für Juli geplant. Vielleicht wäre ich jetzt schon tot, wenn ich in Bangladesh geblieben wäre. Ich habe schreckliche Morddrohungen bekommen und war eines der wichtigsten Ziele für die Fundamentalisten. Die islamistische Terrororganisation Ansarullah Bangla Team erklärte mich auf ihrer Homepage zum nächsten Ziel. Ich wurde von unbekannten Personen auf meinem Heimweg verfolgt. Laut den Fundamentalisten bin ich respektlos gegenüber Allah und schreibe beleidigende Sachen über den Islam. Ich war allerdings nie respektlos gegenüber ihrer Religion, ich habe lediglich Fragen gestellt und einige widersprüchliche Dinge kritisiert. Kritik kann nicht respektlos sein. Vielmehr schreibe ich gegen islamische Fundamentalisten an und zeige das wahre Gesicht von einigen verlogenen Menschen, die die Religion für ihre Belange nutzen. Ich wurde von den Fundamentalisten ins Visier genommen, damit ich nichts mehr gegen sie schreiben kann. Vor einigen Tagen hat eine fundamentalistische Organisation namens Ittehadul Mujahideen einen Brief an Zeitungen verschickt, in dem 19 wichtige Personen genannt werden, die getötet werden sollen. Mein Name ist neben Ministern, Autoren, Lehrern, Bloggern und Aktivisten ebenfalls auf dieser Liste und einige Zeitungen haben sie veröffentlicht. Ich fühle mich so hilflos.
Mit Hilfe eines Stipendiums der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte können Sie jetzt ein Jahr lang in Deutschland leben und Ihre Arbeit hier fortsetzen. Wie haben sich Ihre Lebensumstände geändert und werden Sie danach nach Bangladesh zurückkehren müssen, wo Sie in ständiger Todesangst leben?
Momentan bin ich ein bisschen durcheinander. Es ist gut, dass ich nach Deutschland kommen konnte und unterstützt werde, vielleicht ist mein Leben jetzt sicher. Allerdings kann ich nicht glücklich sein, da ich meine Familie und Freunde zurück lassen musste und jetzt alleine leben muss. Mein Vater Humayun schrieb ebenfalls über Menschen- und Frauenrechte und religiösen Fundamentalismus und wurde 2004 bei einem Attentat von Fanatikern schwer verletzt. Wenige Monate später starb er in München, er war wegen eines Forschungsstipendiums nach Deutschland gekommen. Ich vermisse ihn. Deshalb habe ich ein bestimmtes Verhältnis zu diesem Land. Irgendwann werde ich zurück nach Bangladesh gehen, aber ich brauche Zeit.
Wie beurteilen Sie die Lage von Frauen und religiösen Minderheiten in Bangladesh?
Macht und Rechte gibt es nur für Männer, die anderen werden benachteiligt. Wenn religiöse Minderheiten von islamistischen Fanatikern attackiert werden, spricht die Regierung nicht von verletzten religiösen Gefühlen. Frauen werden in Bangladesh von einem großen Teil der Gesellschaft sehr schlecht behandelt. Belästigungen auf der Straße werden von der Polizei heruntergespielt und Frauen werden für Vergewaltigungen selbst verantwortlich gemacht. Viele sagen, dass Frauen vergewaltigt werden, weil sie keine religiöse Kleidung tragen. Was für erbärmliche und widerliche Einstellungen. Eine Frau hat das Recht anzuziehen, was sie will! Fundamentalisten haben die Gesellschaft einer cleveren Gehirnwäsche unterzogen und die Regierung tut nichts, um diese Gewalt zu beenden. Sie erhebt nur gegen freidenkerische und säkulare Blogger ihre Stimme, weil wir keine Waffen, Pistolen oder Bomben haben. Das brauchen wir nicht. Wir haben nur einen Stift, um unsere Gedanken zu veröffentlichen.
Die Morde und Attacken auf Religionskritiker haben immer wieder auch Proteste und Demonstrationen in Bangladesh ausgelöst. Was sind die Forderungen der Demonstrierenden?
Die Ermordung des Bloggers Ahmed Rajib Haider im Jahr 2013 trieb Tausende Menschen auf die Straße, auch nach den kürzlich begangenen Morden gab es Demonstrationen. Die Demonstrierenden verlangen einfach nur Gerechtigkeit. Sie wollen das System der fehlenden Verurteilungen zerstören und kämpfen für das Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit. Aber ich sehe keinerlei Wirkung, da die Regierung selbst schweigt und sich nicht dafür interessiert.