Jüdischer Terrorismus wird intensiver bekämpft 

Blass, aber gefährlich

Während des Abzugs aus Gaza räumte die israelische Armee 2005 auch einige Siedlungen im Westjordanland. Ein kleiner Teil der dort lebenden nationalreligiösen Siedler betrachtet den Staat Israel als Feind und Gewalt als legitimes Mittel.

Die Gewalttaten jüdischer Extremisten hallen nach in der israelischen und palästinensischen Gesellschaft. Anfang August zündeten Extremisten, die vermutlich aus dem Milieu der national-religiösen Siedlerjugend kommen, nachts das Haus der Familie Dawabshe im palästinensischen Dorf Duma an. Der Vater und ein Kleinkind starben. Nur einige Stunden zuvor hatte der ultraorthodoxe Yishai Schlissel mit einem Messer sechs Teilnehmer der jährlichen LGBT Pride Parade in Jerusalem verletzt. Die 16jährige Shira Banki starb drei Tage später im Krankenhaus an ihren Stichwunden.
Die Reaktion auf die Brandstiftung in der palästinensischen Gesellschaft blieb nicht aus: Am Folgetag kamen es im Westjordanland zu Zusammenstößen zwischen jungen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften. Dabei wurden zwei Jugendliche getötet. Palästinensische Politiker machen die israelische Regierung direkt für die Taten der Extremisten verantwortlich. »Die Taten sind die Konsequenz einer Kultur des Hasses, die von der israelischen Regierung angeregt und finanziert wird«, sagte der Verhandlungschef der Autonomiebehörde, Saeb Erekat. Er bezieht sich damit auf den vom israelischen Staat subventionierten nationalreligiösen Bildungssektor.

Die Gewaltwelle erschütterte weite Teile der ­israelischen Gesellschaft. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu bezeichnete den Brandanschlag von Duma als terroristischen Akt. Die Gefahr eines gewaltbereiten jüdischen Extremismus ist in der israelischen Gesellschaft zum Thema geworden und auch rechte Politiker reden nun von »jüdischem Terrorismus«. Für viele Israelis ist diese Vorstellung nach wie vor surreal. Auch wenn es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu Gewalttaten jüdischer Extremisten kam – wie die Morde der Kach-Bewegung in den achtziger Jahren und das 1994 von Baruch Goldstein verübte Massaker an 29 Menschen in Hebron –, assoziieren die meisten Israelis mit Terroristen die Attentäter unter den Palästinensern.
Staatspräsident Reuven Rivlin setzt sich zwar unmissverständlich für die Gleichberechtigung der israelischen Araber und ein friedliches Zusammenleben ein, doch als liberales Mitglied des Likud spricht er sich ebenso klar gegen eine israelische Aufgabe von Land und die Gründung eines palästinensischen Staates aus. Obwohl oder vielleicht auch gerade weil Rivlin nicht aus einem linksliberalen Milieu kommt, fand er angesichts der Gewaltserie die deutlichsten Worte: »Was wir von unseren Nachbarn fordern, von denen, die für über ein Jahrhundert unsere Feinde waren – Schluss zu machen mit dem Terrorismus –, müssen wir auch von uns selbst fordern.«

Der Präsident mahnte zudem die arabischen Israelis und die Palästinenser jenseits der Grünen Linie, sich nicht der Wut hinzugeben, sondern zusammenzuhalten und den Extremisten auf beiden Seiten gemeinsam die Stirn zu bieten. Die Anfeindungen gegen Rivlin in sozialen Medien und Foren israelischer Nationalisten reichten bis hin zu Morddrohungen gegen den Präsidenten.
Beim Blick auf den Angreifer auf der Pride Parade und die Tatverdächtigen der Brandstiftung lässt sich feststellen, dass deren Herkunftsmilieus trotz der gemeinsamen religiösen Prägung sehr unterschiedlich sind. Der ultraorthodoxe Yishai Schlissel kommt aus der Großsiedlung Modi’in Illit, die ab den späten achtziger Jahre jenseits der Grünen Linie als Wohnstadt für Ultraorthodoxe errichtet wurde. Die dem weltlichen Leben und der Politik meist abgewandten Ultraorthodoxen verweigern mehrheitlich den Wehrdienst und verbringen einen Großteil ihrer Zeit mit religiösen Studien. Weil die meisten von ihnen nicht berufstätig sind, springt der israelische Staat mit einer Grundunterstützung ein. Mit den politisch sehr aktiven, rechtskonservativ eingestellten Nationalreligiösen, für die der Anspruch auf »das ganze Land« Kern ihrer Ideologie ist, haben sie wenig gemein. Auch wenn die Nationalreligiösen ihren Anspruch auf Groß-Israel religiös begründen, ist ihr Lebensstil oft sehr pragmatisch und modern. Etliche der Nationalreligiösen haben ihren Wehrdienst in Eliteeinheiten absolviert und viele pendeln täglich von den Siedlungen im Westjordanland zur Arbeit in die IT-Firmen im Großraum Tel Aviv. Der Vorsitzende der wichtigsten Partei der Nationalreligiösen, Naftali Bennett von HaBayit HaYahudi (Jüdisches Heim), und Dani Dayan, der dem Yesha-Rat genannten Dachverband der Siedler vorsteht, sind nur zwei der bekanntesten Beispiele für nationalreligiöse Politiker, die zuvor erfolgreich Karriere als IT-Unternehmer machten.
Auch der Yesha-Rat verurteilte den Anschlag in Duma: »Gewalt ist nicht der Weg der Bürger von Judäa und Samaria.« Dies ist kaum überraschend, die Siedlerorganisation distanziert sich routinemäßig von Gewalttaten, die vom radikalen Rand der Siedlerbewegung begangen werden. Aus diesem Milieu kommen bisherigen Erkenntnissen der Ermittler zufolge auch die Täter, die das Haus der Familie Dawabshe im Dorf Duma in Brand setzten.

Etliche rechtsextreme Siedler wurden seitdem verhaftet. Fast alle waren dem Inlandsgeheimdienst Shin Beth bekannt und die meisten von ihnen wurden bereits zuvor im Zusammenhang mit Gewalttaten wie Brandstiftung in Kirchen oder palästinensischen Wohnhäusern verhört. Ein Grund, weshalb keiner der Verdächtigen vorher verhaftet wurde, ist, dass sie israelische Staatsbürger sind. Im Gegensatz zu Verdächtigen aus dem Westjordanland darf der Inlandsgeheimdienst israelische Staatsbürger nicht in sogenannte »Administrativhaft« nehmen – also auch ohne klare Beweise für einen bestimmten Zeitraum inhaftieren. Nach den Gewalttaten drängte Netanyahu darauf, den Shin Beth mit neuen Vollmachten auszustatten und die Administrativhaft auch auf israelische Terrorverdächtige auszuweiten.
Die bisherigen Erkenntnisse der Ermittler werfen ein Schlaglicht auf ein gewaltbereites Milieu von Jugendlichen und jungen Erwachsenen am rechten Rand der Siedlerbewegung, die Noar HaGva’ot (Hügeljugend). Die meisten der Verhafteten sind unter 25 Jahren, etliche von ihnen sind noch minderjährig. Viele leben in kleinen Siedlungsaußenposten, die nach israelischem Recht illegal sind, doch die meisten wechseln den Wohnort regelmäßig, um der Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst zu entgehen. Den Ermittlern zufolge hat sich dieses Milieu von gewaltbereiten jungen Siedlern im Zeitraum der vergangenen zwei Jahre radikalisiert. Die meisten unterstünden nicht mehr der Autorität eines Rabbis, sondern handelten in Kleingruppen weitgehend auf eigene Faust.
Bei einem der Verdächtigen, dem 23jährigen Moshe Orbach, wurde ein Dokument gefunden, das Ziele und Methoden beschreibt. Der Autor, vermutlich Orbach, gibt Ratschläge für Angriffe auf Palästinenser, Moscheen und Kirchen. Angestrebt wird eine jüdische Monarchie, aus deren Herrschaftsgebiet alle Nichtjuden vertrieben werden sollen.
Professor Ronen Zeidel, der an der Universität Haifa Politik unterrichtet, nennt diese Jugendlichen den »Fallout des religiösen Bildungssystems«. Er zieht eine Parallele zu den radikalisierten Jugendlichen aus der arabischen Welt und Europa, die sich dem »Islamischen Staat« anschließen. Jedoch sind die Jugendlichen, die sich der radikalen Siedlerjgend anschließen, eher die weltfremden Außenseiter, so Zeidel. Der Jihadismus ziehe »die potentiellen Gangster der arabischen Welt an«, die gewaltbereite Siedlerjugend hingegen setze eher aus »Trotteln zusammen, welche die nationalreligiösen Yeshivas abwerfen. Dünne, blasse Jugendliche mit Brille auf der Suche nach Abenteuern.«