Google wird Teil einer neuen Holding

Mit neuer Mutti die Welt erobern

Google hat sich selbst mit »Alphabet« ­einen Mutterkonzern gegeben. Unter dem Dach der neuen Holding sollen die Konzerntöchter neu strukturiert werden.
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Neuer Name, neue Struktur: Google baut um. Die Reaktionen auf die Gründung der neuen Holding namens Alphabet sind bisher verhalten. Kolumnisten loben den Schritt als eleganten Schachzug, Google-Anwender zucken eher mit den Schultern, da sich für sie kaum etwas ändert, der Ak­tienmarkt honorierte den angekündigten Umbau immerhin mit einem Kurssprung von fünf Prozent. In Deutschland tendiert man dazu, solche Umstrukturierungen als Krisenzeichen zu deuten, eine Krise ist bei Google allerdings nicht festzustellen.
Das Prinzip, nach dem Firmengründer Sergey Brin und Larry Page vorgehen, ähnelt der Vorgehensweise von Software-Entwicklern, die ein mit der Zeit zu groß gewordenes Projekt modularisieren und in handhabbare Häppchen zerlegen. Vorbild ist dabei der Großinvestor Warren Buffett, in dessen Holding, der Investment-Firma Berkshire Hathaway, hunderte von Unternehmen weitgehend autonom arbeiten. Genauso sollen die Alphabet-Töchter künftig alle als eigenständige Unternehmen agieren und ihre Gewinne an die Holding abführen – oder von ihr finanziert werden. Denn Gewinn werfen längst nicht alle Alphabet-Töchter ab.
IT-Unternehmen stehen heute vor einer unlösbaren Aufgabe, da sich die Branche rasant weiterentwickelt und Produkte schafft, die noch keiner kennt, für Märkte, die es noch gar nicht gibt. Seit der Gründung von Google vor 17 Jahren verfahren Brin und Page nach dem Prinzip »trial and error«: Ideen werden ausprobiert und irgendwann wieder verworfen, wenn sie keinen Gewinn abwerfen – es sei denn, sie sind aus strategischen Gründen wichtig. Dabei sind oft Dienste entstanden, die zunächst wie ein Spielzeug aussahen und erst Jahre später unter ganz anderen Marktbedingungen Sinn ergaben.
Das beste Beispiel dafür ist Google Maps: Der Kartendienst – am PC zu Hause nicht viel mehr als ein nettes Spielzeug – wurde mit dem Siegeszug von Smartphones zum essentiellen Bestandteil der Mobilcomputer und wird in Zukunft eine grundlegende Funktion für Googles selbstfahrende Autos darstellen.
Für Google löst Alphabet mehrere Probleme auf einmal. Beispielsweise dürfte beim Militär­roboter-Bauer Boston Robotics – der seit 2013 Google gehört – eine andere Firmenkultur herrschen als im Googleplex in Mountain View. Wenn die Tochterfirmen autonom und mit eigenem Management agieren, müsste diese gar nicht angeglichen werden. Außerdem stellt Alphabet eine Marketing-Maßnahme dar, die die Transparenz des Konzerns gleichzeitig erhöht und senkt. Transparenter wird Google für Anleger, die den Zukäufen des Konzerns mit eher gemischten Gefühlen gegenüberstehen. Undurchsichtiger wird Alphabet für die Verbraucher, die es unheimlich finden könnten, dass eines Tages ihr selbstfahrendes Auto, ihre intelligente Heizung und ihr Mobiltelefon aus der Hand dieses einen Konzerns kommen, der sowieso schon als »Datenkrake« verschrien ist. Für den Konzern wird wiederum die Vermarktung all dieser Dinge bis hin zu me­dizinischen Angeboten sicherlich einfacher sein, wenn ihnen nicht allzu offensichtlich das Label »Google« anhaftet – zugleich wird die Marke nicht mit zu vielen Produkten überfrachtet und verwässert.
Der Name ist jedenfalls Programm: Google will eine unentbehrliche Infrastruktur sein, so wie die Buchstaben die grundlegende Struktur für unsere Schriftsprache sind: »Wir mochten den Namen Alphabet, weil es die Bezeichnung für eine Ansammlung von unterschiedlichen Buchstaben ist, die eine Sprache repräsentieren. Eine der wichtigsten Errungenschaften der Menschheit und zudem der Kern, wie wir bei der Google-Suche katalogisieren«, so Page auf der Website des Konzerns.

Google ist eine Infrastruktur, auf der sich sehr große Teile des Online-Lebens von Millionen Nutzern abspielen. Die Cashcow, die den ganzen Konzern am Laufen hält, ist die Vermarktung von Online-Werbung. Das muss aber nicht so bleiben: Als Google 1998 gegründet wurde, war Microsoft unbestrittener König der IT-Welt, und als Microsoft 1981 MS-DOS an IBM lizenzierte, war letzteres Unternehmen der Platzhirsch auf dem Markt. Beide Konzerne sind immer noch groß und profitabel, mussten sich aber mehr und mehr von ihren Wurzeln entfernen. Den Takt geben mittlerweile andere vor. Das könnte auch Google jederzeit passieren, schließlich kann jeder eine andere Suchmaschine benutzen oder ein Smartphone eines anderen Herstellers kaufen. Dass eine solche Übernahme von Marktsegmenten allerdings nicht so einfach gelingt, musste Google mit dem Scheitern von Google+« selbst erfahren.
Google will sich in anderen Infrastrukturbereichen unersetzbar machen und hat dabei zwei Trends im Blick: Einerseits wird unser Alltag infolge des digitalen Wandels immer weiter durchautomatisiert werden, wobei »Big Data« eine immer größere Rolle spielen wird; andererseits wird wegen des demographischen Wandels der Anteil von alten und pflegebedürftigen Menschen in der Gesellschaft stark ansteigen. Am Schnittpunkt dieser beiden Entwicklungen arbeiten die meisten Unternehmen, die künftig unter Alphabet firmieren werden.
Das Projekt Google Driverless Car könnte mit automatischen Fahrzeugen nicht nur den den öffentlichen Nahverkehr individualisieren und nebenbei die Autoindustrie aufmischen – sie sind auch ideal für Menschen, die nicht mehr selbst Auto fahren möchten. Boston Robotics entwickelt zwar noch in erster Linie Militärroboter, allerdings werden individuelle Service-Roboter in Fabriken, in der Pflege und in Privathaushalten wahrscheinlich bald eine große Rolle spielen. Roboter könnten eines Tages Menschen bedienen, die bestimmte Handgriffe nicht mehr selbst erledigen wollen oder können. Und diese Roboter würden ihrerseits zur unverzichtbaren Infrastruktur, besonders wenn Googles Serverfarmen ihre Besitzer gut kennen – zum Beispiel nach jahrzehntelanger Nutzung der Google-Suche, von Google Mail, Android-Telefonen und anderen Diensten.

In eine ähnliche Richtung geht die Alphabet-Tochter Nest Labs bei der Automatisierung des Haushalts. Noch sind es nur Heizungsregler, die automatisch von Algorithmen gelenkt beziehungsweise vom eigenen Smartphone aus bedient werden können. Life Science wiederum ­arbeitet unter anderem an einer Kontaktlinse, die den Blutzuckerspiegel anhand der Tränenflüssigkeit messen kann. Das sind natürlich nur erste Angebote, denen weitere folgen sollen. Und schließlich forscht das 2013 von Google gegründete Biotech-Unternehmen Calico gar medizinisch an der Verlängerung des Lebens. Und wo es Staaten nicht schaffen, ihre Bevölkerung mit dem dafür nötigen schnellen Internet zu versorgen, erledigt das die Alphabet-Tochter Fiber einfach selbst. Ebenfalls aus Google ausgegliedert wird X Lab, früher Google X. In dem geheimen Forschungslabor tüfteln Wissenschaftler, Ingenieure und Informatiker an weiteren Ideen, zum Beispiel an »Wing«, einem Projekt, bei dem Drohnen künftig die Zustellung von Paketen aus Online-Shops übernehmen sollen. Das passt perfekt in eine durchautomatisierte und gealterte Gesellschaft.
Alphabet mitsamt seiner Töchter stellt eine Wette auf die Digitalisierung, Automatisierung und den demographischen Wandel dar. Dabei ist es gar nicht nötig, dass am Ende alle Pferde im Stall das Rennen machen. Es ist wohl diese Strategie, die den Ausschlag für die Namenswahl gab: Ein »alpha bet«, zu Deutsch »Alpha-Wette«, nennen Anleger im Börsenjargon eine Wette auf eine besonders erfolgreiche Aktie. Und das soll die Alphabet-Aktie natürlich bleiben.