Die Bewegung der völkischen Siedler

Die netten Nazis vom Ökohof

Seit Jahren ziehen immer mehr extreme Rechte aufs Land, treten als freundliche Nachbarn auf und versuchen, in den ­Dörfern die Hegemonie zu erringen.

Zurück aus dem Urlaub. Es war so erholsam im Heuhotel, bei der Biobäuerin auf dem Land. Doch wer hätte gedacht, dass die gar keine linksalternative Aussteigerin ist, sondern eine extrem Rechte? Eine, die sich mit ihren Gesinnungsgenossen und -genossinnen im Dorf ausbreitet, um dort Schritt für Schritt die Macht zu übernehmen?
Manch eine Urlauberin wird es vielleicht gar nicht bemerken, aber seit einigen Jahren ziehen extrem Rechte ins Grüne, um dort, jenseits größerer Städte, zu siedeln. Die Bevölkerungsdichte auf dem Land ist geringer, die Immobilienpreise sind niedriger und die Wertvorstellungen traditioneller. So finden die Siedler mit ihrem reaktionären Denken leicht Anknüpfungspunkte. Sie bauen alte Bauernhöfe wieder auf, ihre zahlreichen Kinder bringen Leben ins Dorf und mit ihren Berufen kurbeln sie die regionale Wirtschaft an. Sie arbeiten als Landwirte, Kunsthandwerkerinnen, Erzieherinnen oder Gärtner. Ihre politische Einstellung tragen sie nicht vor sich her, vielmehr treten sie als freundliche und hilfsbereite Nachbarn auf, engagieren sich in Vereinen, in der Schule oder der freiwilligen Feuerwehr.

Das Verhalten der völkischen Siedler scheint zu harmlos, um wahr zu sein. Natürlich geht es ihnen nicht um ein gutes Leben für alle, sondern um die Verbreitung ihrer Vorstellung von einer deutschen Volksgemeinschaft – einer Lebensweise, die auf der Blut-und-Boden-Ideologie beruht. »Und was meine ökologische Landwirtschaft angeht, so betreibe ich sie, weil es in einer Zeit der beabsichtigten Vergiftung der Lebensräume unseres Volkes friedlichen Widerstand gegen die Missstände darstellt«, erklärt einer der völkischen Siedler auf Facebook und führt weiter aus: »Blut und Boden funktioniert und die Menschen werden es glauben und verstehen, wenn sie es sehen.« Ganz so friedlich war sein »Widerstand« aber doch nicht, als seine Nachbarn ihn für seine rechte Gesinnung kritisierten: Er beschimpfte sie, zerstörte ihr Eigentum und verfolgte sie mit dem Knüppel in der Hand.
Wer nicht in das Weltbild der Siedler passt, wird vom Zusammenleben ausgeschlossen: Flüchtlinge, Juden, Migranten, Homosexuelle, Behinderte, Kranke und generell alle Menschen mit demokratischer Einstellung gelten als Feinde der Volksgemeinschaft und werden bekämpft. Die völkischen Siedler sind gut in der extrem rechten Szene vernetzt, ihre Kontakte reichen zu Kadern, die viel weniger darauf bedacht sind, als freundliche Öko-Nachbarn aufzutreten, aber dieselbe Ausbreitungsstrategie verfolgen wie sie.
Im mecklenburgischen Jamel beispielsweise setzt sich das Ehepaar Horst und Birgit Lohmeyer seit Jahren gegen eine Übermacht extrem Rechter zur Wehr. In der Folge wurden die beiden mit Anzeigen überzogen, tote Tiere wurden ihnen aufs Grundstück geworfen – und vor drei Wochen brannte ihre direkt neben dem Wohnhaus gelegene Scheune ab. Die Polizei geht von Brandstiftung aus.
Die Strategie, Sozialstrukturen zu besetzen – sei es durch Hilfsbereitschaft oder mit Gewalt –, propagierten schon zu Beginn der neunziger Jahre die Jungen Nationaldemokraten, die Jugendorganisation der NPD, in ihrer Zeitschrift Einheit und Kampf: »Unsere Gemeinschaften werden ihre Basen in Kleinstädten, Stadtteilen oder auf dem flachen Land haben. Ihr Ziel wird es sein, mit der rest­lichen Bevölkerung in Kontakt zu treten, ihr zu helfen, ihr positive wirtschaftliche und soziale Alternativen anzubieten.« Es gehe um »eine feste Basis in dem betroffenen Gebiet«.
Schon damals war das Siedlungskonzept nicht neu: In den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts siedelten vorwiegend junge Menschen aus der völkischen Bewegung auf dem Land. Das Aufkommen einer weltoffenen und emanzipatorischen Moderne in den Städten bedeutete für sie den Verfall deutscher Werte. Die negativen Folgen von Industrialisierung und Kapitalismus schrieben sie, dem antisemitischen Ressentiment folgend, dem »raffenden« Finanzkapital zu, während Handwerk und Bauernstand als »schaffend« fetischisiert wurden. Ihr romantisch-mythischer Naturbezug drückte sich in rassehygienischen Phantasien eines organisch aufgebauten »deutschen Volkskörpers« aus, dem sich alle Deutschen zu unterwerfen und den sie mit einer möglichst hohen Kinderzahl zu verstärken hätten. Die Arbeit auf der »deutschen Scholle« sei die wahre Bestimmung der Deutschen. Sie nannten sich »Artamanen« und fanden prominente Unterstützung durch den Reichsbauernführer Richard Walther Darré, den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß und den »Reichsführer-SS« Heinrich Himmler. Folgerichtig ging die Gruppierung 1934 in der Hitler-Jugend auf.
In den neunziger Jahren begannen die ersten völkischen Siedler, inspiriert von ihren historischen Vorläufern, wieder auf dem Land Raum einzunehmen. Auch wenn dort Zugezogene bisweilen nicht gern gesehen sind, können die Siedler über ihre vielen Kinder leicht Sozialkontakte aufbauen. Für die Nachbarn ist kaum ersichtlich, dass die hohe Geburtenrate bei den Siedlerinnen und Siedlern weniger aus Lebensfreude entsteht als aus dem Willen, die »deutsche Volks­gemeinschaft« zu erhalten. Vor allem die Frauen unter ihnen fallen kaum durch ihre eigentliche Gesinnung auf, wenn sie als engagierte Mütter in Kita und Schule ehrenamtlich Kuchen backen, Fahrgemeinschaften organisieren und in der Volkstanzgruppe die Beine schwingen. Das Klischee von der unpolitischen, friedfertigen Frau ist immer noch weit verbreitet.
Zum Teil stammen die Siedler aus alteingesessenen völkischen »Sippen«, die seit Generationen ihre menschenverachtende Weltanschauung pflegen und festigen. Dass sie Überlebenstrainings- und Wehrsportübungen absolvieren, an denen auch die Kinder teilnehmen, um politisch indoktriniert und militärisch gedrillt zu werden, wird kaum ersichtlich, wenn die entsprechenden Freizeit- und Jugendverbände als Wandervereine mit ausgeprägtem Natur- und Sportbezug auftreten.

Wenn die Siedler in bäuerlichen Trachten bei Dorffesten erscheinen, passen sie sich gut in kulturelle Traditionen ein, die auf dem Land noch eher vertreten werden als in den Städten. Sie pflegen damit ein vermeintlich germanisches Brauchtum, das sich auch in der Verwendung von Runen-Ornamenten und dem Ausrichten von Sonnenwend- oder Julfeiern ausdrückt. Das Christentum wird als internationalistisch und verweichlicht abgelehnt, die nordische Mythologie dagegen als hart und kämpferisch verehrt. Bei nicht wenigen Siedlern gibt es Überschneidungen zu einer der wichtigsten extrem rechten Glaubensgemeinschaften, der »Artgemeinschaft-Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung«. Sie hat sich der »germanischen Brauchtumspflege« verschrieben. Viele extrem rechte Kader sind Mitglied und bei den Veranstaltungen nehmen teilweise hunderte extrem Rechte teil, darunter auch viele völkische Siedlerfamilien.
In einem Strategiepapier ruft die »Artgemeinschaft« ihre Mitglieder dazu auf, »kleine Gruppen« zu bilden, die in ihrem Umfeld »infiltrativ« wirken sollten, um die eigene Weltanschauung durch »naturnahe Ansichten« zu verbreiten. Sie empfiehlt ihnen, möglichst viele Kinder zu bekommen, da auf diese Weise eine zahlenmäßige Bedeutung erlangt werden könne. Ältere Mitglieder sollten jüngere dabei nach Bedarf finanziell unterstützen. Selbst dem Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern ist dieses Vorgehen schon aufgefallen: Er stellte fest, dass sich einzelne Kleingruppen in dem Bundesland gebildet hätten, die sich – der Ideologie der »Artgemeinschaft« folgend – in der naturnahen Landwirtschaft oder im Handwerk betätigen würden.

Der starke Bezug der völkischen Siedler zum »naturgemäßen« Leben, regionalen Produktionskreisläufen und gesunder Ernährung entspricht dem gesellschaftlichen Trend zu einem ökologisch bewussten Lifestyle. Nicht selten engagieren sich die völkischen Siedler gegen Gentechnik und Massentierhaltung. Ihnen geht es aber nicht ­darum, die schädlichen Folgen der Pflanzenveränderungen und das Leiden der Tiere anzuprangern. Ihre rassistisch und antisemitisch aufgeladene Kritik richtet sich in erster Linie gegen ausländische, mit Vorliebe US-amerikanische Firmen, denen sie »volksschädigendes« Verhalten vorwerfen, während sie verschweigen, dass deutsche Unternehmen im kapitalistischen Konkurrenzkampf ebenso auf Massenproduktion setzen.
Der ganzheitliche Ansatz, der häufig ein Scharnier zwischen umweltbewusstem und esoterischen Denken darstellt, bietet den Siedlern einen weiteren Anknüpfungspunkt an den gesellschaftlichen Mainstream. Während Öko-Anhänger, Esoterikerinnen und Anthroposophen sich in der allumfassenden Verbundenheit mit allem Lebenden wähnen, bedeutet Ganzheitlichkeit für die Siedler das Ganze des Organismus der »deutschen Volksgemeinschaft«.
Mit ihrem Lebenskonzept können die Siedler an einen angesagten Öko-Lifestyle anknüpfen: Sie propagieren ihn nicht auf Demonstrationen oder als Parteiprogramm, sondern beim netten Schnack über den Gartenzaun. »Die Linken haben in den sechziger Jahren den Marsch durch die Institutionen angetreten. Wir können das nicht nachmachen, aber wir können in unseren privaten Kreisen völlig ungestört wirken«, heißt es in einer Handlungsanleitung der »Artgemeinschaft« zu diesem Konzept.