Bier sind das Volk

Brauen ist gut, Kontrolle ist besser

Wer über das Bier bestimmt, bestimmt über den Menschen. Die Braukunst ist ­politisch viel zu wichtig, um sie in die Hände ideenloser Kreativhipster zu geben.
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»Wir sind in einem Staat geboren, wo Malz und Hopfen nicht verloren. Was trink ich? Was trinkst du? Was trinken wir? Bier, Bier, Bier!« Dies stimmte für die DDR, auf die die Agitpropband Oktoberklub 1978 ihr berühmtes »Bierlied« gemünzt hatte – aber dies ist selbstverständlich auch für die Gesamtzone gültig. Es gibt schließlich Helles und Dunkelbier, also ist für beide Deutschlands etwas im Kühlschrank. Die Frage, wer dieses Bier brauen soll, ist von zentraler weltanschaulicher und politisch-strategischer Bedeutung. Schließlich handelt es sich nicht um ein x-beliebiges Produkt, sondern um Lebenssaft, gleichbedeutend wohl nur mit Öl, über dessen Verfügungsgewalt Staaten nicht umsonst besonders genau wachen. Dass es für den Fortschritt entscheidend ist, die Bierproduktion nicht der Willkür des freien Marktes und einiger Neuköllner Hipstern überlassen, deren »Projekte« gerade nicht so recht anrollen wollen und die deshalb beschließen, statt »irgendwas mit Medien« dann eben »irgendwas mit Malz« zu machen, haben jedoch nicht erst die Kommunisten begriffen. Schon im Mittelalter bestimmten Landesherren und Stadträte über die gültigen Brauordnungen. Als Augsburg 1156 das Stadtrecht erhielt, ließ Friedrich Barbarossa ins Gesetzbuch schreiben: »Wenn ein Bierschenker schlechtes Bier macht oder ungerechtes Maß gibt, soll er gestraft werden.« Später diktierte das Reinheitsgebot den Markt. Die Steuern auf Bier waren die Grundfinanzierung für die Entstehung moderner Staaten, quasi ihr Urstoff.

Auch der Kommunismus ist ohne Bier und ohne die Kontrolle über das Bier überhaupt nicht denkbar. Denn wenn das Volk herrscht, dann muss es auch trinken. Diesen Zusammenhang erklärte bereits der Oktoberklub: »Wer täglich seine Sorgen hat, weil er regiert in unserm Staat, dem geht es nicht nur um die Wurst, wer tags regiert, hat abends Durst.« So ist es! Nur angedüdelt lassen sich kleinbürgerliche Bedenken, die sich beim täglichen mühevollen Aufbau einer neuen Welt hier und da ergeben können, bewältigen: »Komm Genosse, setz dich her und trink mit uns den Humpen leer. Wir trinken bis zum Morgenrot die kleinen, falschen Zweifel tot.« (Oktoberklub) Dem Morgenrot entgegentrinken, sozusagen. Bier trinken ist eben nicht wie eine Tüte Chips essen. Bier trinken ist wie sich treffen, miteinander reden, miteinander lachen, miteinander vögeln, miteinander die Revolution machen. »Gespräch beim Bier ist produktiv und stärkt so manches Kollektiv«, resümiert der Oktoberklub seine Kritische Blauseinsforschung.

Nicht nur der Konsum von Bier muss als gesellschaftsrelevante Aufgabe anerkannt werden, auch seine Produktion, die ist schließlich Voraussetzung. Produzieren? Hier, ich, ich! rufen nun vollbärtige, aus dem harten neoliberalen Boden hipper Citylagen sprießende Mikrobrauer, die, kaum haben sie die Start-up-Förderung des 1 000-Ideen-für-Nordneukölln-Programms aus dem dafür jetzt bodentiefen Fenster geworfen, schon auf üppige EU-Subventionen lauern – denn schließlich müssen sie als tapfere, aufrechte Kleinstproduzenten gegen die brutale Dominanz der gierigen Braumultis verteidigt werden.
Im Kommunismus sind Bevölkerung und Produktionssphäre sozusagen eins. Dies nehmen zwar auch die Minibrauer mit ihren vor zwei Wochen erfundenen »Kultbieren« für sich in Anspruch, doch im Kapitalismus kann eben nicht jeder Bierbrauer sein. Im Kommunismus schon! »Ob Wernesgrün, ob Radeberg, die Brauereien sind Volkes Werk. Was daraus kommt, bestimmen wir. Ja, das ist unser aller Bier.« (Oktoberklub)
Nirgends liegt Planwirtschaft näher als in der Wirtschaft, in der man sich planmäßig besäuft. Das ist aber nicht alles: »Der Kneiper zapft am blanken Hahn. Auch sowas geht nicht ohne Plan. Trink mit, dass er und die Brauerei / den Plan ­erfüllt, wir sind dabei.« (Oktoberklub) Bier trinken und produzieren ist im Kommunismus nicht einfach eine obrigkeitsstaatliche Verordnung, sondern geradezu seine demokratische Grund­lage. Logisch: Mit weniger als drei Promille im Blut lassen sich wohl kaum sinnvolle Pläne erstellen, die mit ebenfalls drei Promille auch erfüllbar sind. Schade ist natürlich, dass der Kommunismus nicht für alle Gender-Arten gleichermaßen zu funktionieren scheint: »Das Bier mit seinen ­Kalorien erzeugt enorme Energien. Im Betrieb und auf dem Bau, leider nicht so bei der Frau.« (Oktoberklub)
Allerdings, bevor Sie hier einhaken, läuft dies im Kapitalismus nicht besser: Auch hier scheint die Zahl der Minibrauerinnen deutlich hinter der der Minibrauer zurückzufallen, was vermutlich am fehlenden Vollbart liegt. Gerechtigkeit wird ohnehin erst herrschen, wenn so viel von dem flüssigen Gold produziert wird, dass es, wie die Luft zum Atmen, dem Markt endgültig entzogen ist.