Eskalation in der Türkei

Die Eskalation

In der Türkei verschärfen sich die Kämpfe zwischen dem Militär und der PKK.

Mit großen Schritten scheint sich die Türkei einem offenen Bürgerkrieg zu nähern. Am Sonntag griffen Militante der in der Türkei verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Dağlıca, einem Dorf im bergigen Südosten des Landes nahe der Grenze zum Nordirak, mit Bomben und Schusswaffen einen Militärkonvoi an und töteten nach Armeeangaben 16 Soldaten.
Es ist der schwerste Anschlag, seit die Waffenruhe Ende Juli zusammengebrochen ist. Anschließend kam es zu schweren Gefechte zwischen der Armee und der PKK, auch Kampfflugzeuge wurden eingesetzt. Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu von der islamistischen Regierungspartei AKP sagte, er werde die PKK-Militanten in den Bergen »auslöschen«. Mehr als 50 türkische Kampfflugzeuge flogen am Montag gen Nordirak, wo sie nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu »nach ersten Ergebnissen 35 bis 40 Terroristen« töteten. Offenbar waren auch türkische Bodentruppen im Nordirak im Einsatz, einem türkischen Regierungsvertreter zufolge eine »befristete Maßnahme« im Rahmen einer »Verfolgungsjagd«. Am Dienstag kamen mindestens 14 Polizisten bei einem Bombenangriff auf einen Minibus im Südosten der Türkei ums Leben, die Behörden machen die PKK dafür verantwortlich.
Die prokurdisch-linke Partei HDP beklagte am Montagabend massenhafte Angriffe auf ihre Parteibüros im ganzen Land. Ihr Co-Vorsitzender Selahattin Demirtaş brach wegen der »schmerzhaften Entwicklungen« in der Türkei seinen Deutschland-Besuch ab und sprach sich dafür aus, »gemeinsam Wege zu finden, diesen katastrophalen Kreislauf zu durchbrechen«.
Was sich jenseits der spektakulären Angriffe und Gegenangriffe tatsächlich in den kurdischen Gebieten der Türkei abspielt, ist schwierig zu ermessen. Nicht zuletzt, weil die Berichterstattung unter immer größeren Druck gerät. In der vorvergangenen Woche wurden zwei britische Journalisten von Vice News und ihr Übersetzer in Diyarbakır verhaftet, wegen angeblicher Verwicklung in »terroristische Aktivitäten« der Jihadistenorganisation »Islamischer Staat«. Amnesty International bezeichnete die Vorwürfe als ungeheuerlich und bizarr. Einige Tage darauf wurden zumindest die Journalisten freigelassen.
Nicht nur in den kurdischen Gebieten verschärft sich die Lage. Am Sonntagabend versuchten rund 200 Anhänger der AKP, das Redaktionsgebäude der Tageszeitung Hürriyet in Istanbul zu stürmen. Auslöser der Randale war offenbar ein abendlicher Tweet der Hürriyet, der sich auf eine Äußerung des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan bezog. Dieser hatte in einem Live-Interview im regierungsnahen Fernsehsender A Haber geäußert: »Wenn eine Partei es geschafft hätte, 400 Abgeordnete oder die erforderliche Anzahl für eine Verfassungsänderung zu bekommen, wäre die Lage anders.« In ihrem Tweet, den sie später löschte, hatte die Hürriyet diese Äußerung mit dem PKK-Anschlag in Daglıca in Verbindung gebracht.
Bei den Parlamentswahlen im Juni hat die AKP die absolute Mehrheit verloren, weil die HDP knapp 14 Prozent der Stimmen gewann. Erdoğans Plan, eine Präsidialverfassung einzuführen, ist damit vorläufig gescheitert. Am 1. November soll erneut gewählt werden, um das aus Sicht der AKP desaströse Wahlergebnis sozusagen zu korrigieren. Der Wahlkampf kann noch heiter werden.