Markus Beckedahl im Gespräch über Landesverrat und Netzfreiheit

»Die Kontrolle fehlt«

Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen das Blog Netzpolitik.org wegen »Landesverrats« bestimmten im August ein paar Tage lang die Schlagzeilen. Einige Monate zuvor hatte das Blog Berichte über die Pläne des Bundesamtes für Verfassungsschutz zum Ausbau der Telekommunikationsüberwachung veröffentlicht (Jungle World 34/2015). Die Ermittlungen wurden eingestellt, die Arbeit der Journalisten geht weiter. Seit über zehn Jahren begleitet es die Netzpolitik in Deutschland und der EU. Mit dem Gründer von Netzpolitik.org, Markus Beckedahl, sprach die Jungle World über die Arbeit des Blogs und Bedrohungen für die Netzfreiheit.
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Wie fühlt man sich, wenn man Post von der Bundesanwaltschaft erhält?
Ich war etwas irritiert zu erfahren, dass gegen uns wegen Landesverrats ermittelt wurde, weil das eine hanebüchene rechtliche Konstruktion war. Wir kannten die Bedrohung von Journalisten mit Gefängnisstrafe eigentlich nur aus repressiven Staaten und hielten das in Deutschland nicht für möglich.
Die Ermittlungen wurden mittlerweile eingestellt. Was im Skandal untergegangen ist: Worum ging es ursprünglich bei Ihrer Veröffentlichung, die die Ermittlungen auslöste?
Wir haben in zwei Artikeln nachgewiesen und mit Originaldokumenten belegt, dass Befugnisse und Ressourcen des Verfassungsschutzes bei der Internetüberwachung massiv ausgebaut werden sollen. Rechtlich darf er nur Individualkommunikation überwachen, aber die Pläne, die wir aufgedeckt haben, belegen, dass hier eine automatisierte Rasterfahndung auf Facebook & Co. möglich wäre. Das wirft die Frage auf, ob der Verfassungsschutz überhaupt das Grundgesetz achtet.
Sie berichten intensiv über die Enthüllungen Edward Snowdens und die Überwachung durch die NSA. Die deutsche Regierung steckt in der Zwickmühle zwischen der Achtung der Bürgerrechte und internationaler Verträge. Was würden Sie Angela Merkel raten?
Das Problem ist, dass Deutschland in dieser Frage eine sehr devote Haltung gegenüber den USA hat und ich nicht das Gefühl habe, dass die Bundesregierung groß protestiert. Stattdessen erleben wir eine ständige Bewerbungsorgie der Regierung, ein noch besserer Partner von NSA & Co. zu werden. Edward Snowden hat geholfen offenzulegen, dass westliche Geheimdienste einfach unkontrolliert alles überwachen, was sich überwachen lässt. Offen bleibt einzig die Frage: Wird das für immer gespeichert und irgendwann gegen uns verwendet? Einige diskutieren aber immer noch darüber, ob wir überhaupt überwacht werden, und das ist ein ziemliches Problem. Eigentlich ist es die Aufgabe der Bundesregierung, unsere Grundrechte und unsere Verfassung zu wahren. Stattdessen erleben wir, dass die Bundesregierung versucht, die Aufklärung eines möglichen kalkulierten Verfassungsbruchs zu behindern. Damit haben wir tatsächlich ein Demokratieproblem.
Ein erster Schritt wäre also, die Zusammenarbeit mit der NSA zu stoppen?
»Stoppen« würde ich nicht unbedingt sagen. Was fehlt, ist die demokratische Kontrolle unserer Geheimdienste. Im NSA-Untersuchungsausschuss, den wir sehr genau verfolgen, sitzen Vertreter der G10-Kommission, die erklären, dass sie von vielen Skandalen, um die es dort geht, erst aus den Medien erfahren hätten und nicht von den Geheimdiensten. Dabei soll die G10-Kommision die Dienste kontrollieren, die eigentlich Bericht erstatten müssten. Selbst die USA haben eine bessere Geheimdienstkontrolle, in Deutschland ist es eine Demokratiesimulation.
Ein anderer Schritt ist: Der deutsche Geheimdienst sollte bei diesem System der anlasslosen Massenüberwachung, das die NSA betreibt, nicht mitmachen dürfen. Die Überwachung ist ja zum Nachteil der eigenen Bürger, Politik und Wirtschaft. Das fördert ein System der Unsicherheit, obwohl eigentlich gefragt wäre, Wege zu finden, wie man zu mehr IT-Sicherheit und damit zu mehr Vertrauen in die IT kommt.
Das hat sich die Bundesregierung doch mit der »digitalen Agenda« vorgenommen?
Das Positive an der digitalen Agenda ist, dass es auf einmal drei Internetminister gibt, die sich gegenseitig beneiden. Und jeder will der Superinternetminister sein. Ich habe mir diese digitale Agenda durchgelesen. Auf den 36 Seiten stand viel Prosa, aber wenig Inhalt. Das wenige Konkrete war entweder total belanglos oder eins zu eins von Wirtschaftslobbyisten da reingeschrieben. Wir haben keine Strategie erkannt, kein Konzept und auch sonst nichts, was uns irgendwie positiv überrascht hätte.
Grundlage war die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Bundestages, in der Sie mitgearbeitet haben. Was hat die gebracht?
Die Enquete-Kommission sollte die Netzpolitik untersuchen und gemeinsame Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung geben. Es ist schon bezeichnend, dass die Bundesregierung fast keine der rund 400 über alle Fraktionen hinweg einstimmig beschlossenen Handlungsempfehlungen umgesetzt hat.
Netzpolitik.org wendet sich unter anderem gegen die Vorratsdatenspeicherung. Die ist sicherlich nicht besonders geeignet, um Einbrecher zu schnappen, aber wäre sie nicht sinnvoll, um Delikte zu verfolgen, die im Netz begangen werden?
Nein. Ich halte überhaupt nichts davon, eine anlasslose Vollprotokollierung des Kommunikationsverhaltens zu machen, genauso wie ich es nicht akzeptieren würde, wenn man im analogen Leben einfach vollständig protokollieren würde, wer wann wo mit wem gesprochen hat. Unsere Eltern wären auf die Barrikaden gegangen, wenn der Staat früher versucht hätte, genau diese Sachen aus ihrem nicht digitalen Leben zu speichern.
Es ist aber auch ein netzpolitisches Problem, dass beispielsweise Belästigung im Netz schwer zu verfolgen ist. Woran liegt das denn Ihrer Meinung nach?
Wir müssen lernen, digitale Zivilcourage zu zeigen. Die meisten würden im analogen Leben dazwischengehen, wenn vor ihren Augen Menschen gemobbt, schikaniert, geschlagen werden. Warum gehen wir nicht im Digitalen dazwischen? Warum machen wir da nicht unseren Mund auf? In der Regel findet Belästigung auf wenigen populären Plattformen statt. Wir müssen einen Weg finden, dass nicht Facebooks Algorithmen ein privatisiertes Recht mit unkalkulierbaren Folgen durchsetzen, sondern wir die Grenzen der Meinungsfreiheit rechtsstaatlich regeln.
Eine ebenfalls häufig genannte Forderung ist die nach Netzneutralität, ein sperriger Begriff, mit dem viele Menschen nichts anfangen können.
Bei der Entwicklung des Internets kamen dessen Architekten auf die Idee, dass es sinnvoll wäre, wenn alle Teilnehmer des Netzes selbst die Entscheidung treffen, mit welcher Hardware, welcher Software und welchen Diensten sie kommunizieren. Das war die revolutionäre Design-Entscheidung, die das Internet von allen anderen Infrastrukturen davor unterschied. Beim Fernsehen gab es immer jemanden in der Mitte, der sagte: Du hast die Sendelizenz und du nicht. Dass man niemanden um Erlaubnis fragen musste, hat das Internet groß werden lassen. Mittlerweile gibt es unter den Telekommunikationsanbietern eine zunehmende Konzentration. Es gibt immer weniger, immer mächtigere Anbieter, die über die Knotenpunkte des Netzes bestimmen wollen und die Hand aufhalten. Sie wollen quasi Mautstationen errichten, an denen dann bestimmte Daten schneller durchgeleitet werden und andere langsamer. Das führt zu weniger Innovation, wenn Monopolisten sich eine Überholspur leisten können und andere nicht. Die Telekommunikationsanbieter könnten auf einmal darüber entscheiden, wie wir kommunizieren. Das wollen wir verhindern durch klare Regeln, die ihnen das untersagen.
Das Netz stand einst für eine Utopie, einen Ort, an dem jeder alles sagen kann. Aber kann man ein neutrales Netz fordern und gleichzeitig darüber diskutieren, welche Äußerungen im Netz in Ordnung sind und welche unterdrückt werden sollten?
Der Zugang zum Internet ist für mich etwas anderes als Meinungsfreiheit. Netzneutralität bedeutet für mich nur, dass einzelne Anbieter mit ihrer wirtschaftlichen Macht keine bessere Ausgangsposition als alle anderen haben dürfen. Aber klar, das Netz war früher eine große Utopie, die Dezentralität, Offenheit und Meinungsfreiheit versprach. Es liegt an uns allen, wie wir das Netz gestalten wollen. Ich habe das Gefühl, dass viele sich eher als Konsumenten sehen, die sich zurücklehnen und hoffen, dass andere das schon für sie machen werden. Wenn wir nicht alle selbst unser Netz mitgestalten, dann definieren einfach andere, wie unsere Kommunikationswelt aussehen wird.