Die Revolution wird selbst gebraut

There’s More to Life than Lager

Wer heute noch an den Mythos von der staatlich verbürgten Qualität deutscher Brauereiprodukte glaubt, ist ein ahnungsloses Landei. Die Deutschen bedürfen dringend einer Reeducation in Sachen Bierkultur.

Man kriegt kein anständiges Bier mehr in diesem Land. Das hat sich inzwischen auch unter den amerikanischen Foodies herumgesprochen, jener hipsterigen Szene von Eigenanbauern, Selbstschlachtern, Heimbrauern, Mixologisten (früher »Barleute«) und Chefköchen.
Früher war der Besuch im Münchner Hofbräu­haus Pflichttermin eines jeden amerikanischen Touristen. Heute bleiben die geschmacklich anspruchsvolleren lieber zu Hause. Dort bekommt man inzwischen an jeder Tankstelle in den backwoods eine Vielfalt leckerer Craft Beers – goldbraune Amber Ales, frische Summer Ales, malzige Stouts und zumindest drei oder vier Sorten des superhopfigen und säuerlichen »Indian Pale Ale« (IPA).
Einen der schönsten Sonnenuntergänge in ganz Nordamerika kann man auf den Steilklippen der Pictured Rocks beobachten. In dem Nationalpark nördlich des Hiawatha National Forest kann man sich ansehen, wie die große orangenfarbene Kugel in die endlosen Weiten des Lake Superior plumpst, des flächenmäßig größten Süßwassersees der Welt. Das ganze guckt man sich am besten beim Genuss eines lokalen Brauprodukts an, zum Beispiel eines Two Hearted Ale aus Kalamazoo, Michigan. Dieses IPA ist nicht nur extrem schmackhaft. Nach drei davon schwebt man auch schon leicht über dem sandigen Boden – ein Rausch, für den man hierzulande auf illegalisierte Substanzen zurückgreifen muss.

Die sogenannte »Craft Beer Revolution« in den Vereinigten Staaten begann 1979, als der damalige Präsident Jimmy Carter ein Gesetz erließ, das die Heimbrauerei wieder zuließ. Nicht staatliche Regulierung, sondern die Liberalisierung des Biermarktes entfesselten die kreativen Energien zahlloser Klein- und Kleinstbrauer – die Bewegung der micro brewer war geboren. Verzweiflung angesichts einer desaströsen Monokultur schlechter Biersorten der Biergiganten Miller und Coors hatte diese Entwicklung geradezu erzwungen. Das micro brewing ist keine Erfindung der Hipster-Bewegung, auch wenn die heutigen Foodies in ihrem Äußeren – Tattoos, Hosenträger und (bei Männern) Vollbärte – oft wie eine Kreuzung von Hipstern und Amish People wirken. Es war die Welle von Hipster-Einwanderer aus den Staaten, die die Bewegung endlich auch nach Berlin gebracht hat, wo es inzwischen zaghafte Ansätze einer eigenen Craft-Beer-Szene gibt.

Angesichts des sich hartnäckig haltenden Mythos’ der Biernation Deutschland erwartete die amerikanischen Expats ein herbes Erwachen angesichts der nahezu totalen Dominanz einer schalen Einheitsplörre von Pils, Hellem und Weizenbier – eben das, was man in Amerika verschämt unter dem wenig ansprechenden Label »Lager« verkauft. Zwischen 5 000 und 6 000 Biermarken soll es in Deutschland geben. Das Problem ist nur: Das Zeug schmeckt alles gleich. Eine Bande regionaler Biermonopolisten hat den Markt unter sich aufgeteilt, die Preise und wohl auch die Monokulturalisierung des Geschmacks abgesprochen. Oettinger, Krombacher, Bitburger, Becks, Warsteiner oder Hasseröder – wer den Unterschied zwischen den gängigen Biermarken schmeckt, muss ein wirklich feines Gespür für Nuancen von Schalheit und Hopfenkonzentrat entwickeln. Dass es überhaupt so etwas wie verschiedene Hopfensorten gibt – »Cascade« oder »Polaris« – ist dem anspruchslosen deutschen Bierkonsumenten von heute weitgehend fremd geworden. Stattdessen lallt er einem gerne irgendwas vom »deutschen Reinheitsgebot« vor, als wäre es ein Garant dafür, dass das nach seinen porösen Vorschriften gebraute Bier auch schmeckt.
Auch wenn die deutsche Presse schon seit zwei bis drei Jahren mit viel Getöse ankündigt, die Craft Beer Revolution sei nun in Deutschland angekommen – zu merken ist davon bislang herzlich wenig. Es ist noch nahezu unmöglich, an einem Berliner Späti ein ordentliches IPA zu bekommen. Der einzige Kiosk in Kreuzberg, der sich auf Craft Beer spezialisiert hat, reagiert extrem pikiert darauf, wenn sein Laden als »Späti« bezeichnet wird. Oha, da hält sich wer für was Besseres. Fotografieren ist streng verboten. Stolze drei bis vier Euro zahlt man für das 0,3-Literfläschchen. Es muss noch viel passieren, bis man im auf das Niveau eines Bier-Entwicklungslandes herabgesunkenen Deutschland wieder vernünftig trinken kann. Ansonsten bleibt nur, auszuwandern, ins Land der unbegrenzten Biervielfalt.