Berlin Beatet Bestes. Folge 308

Das beste Musical der Welt

Berlin Beatet Bestes. Folge 308. The Gold Dust Orphans: Thoroughly Muslim Millie.

Meine Freundin Julia hat Ryan in den achtziger Jahren kennengelernt und er hat sie damals sogar in Berlin besucht und bei ihren Eltern gewohnt. Heute ist Ryan Landry als Schauspieler, Sänger, Regisseur, Texter, Conférencier und Veranstalter eine feste Größe in der Kulturszene von Provincetown. In 20 Jahren hat er mit seiner Theatertruppe The Gold Dust Orphans über 60 Stücke aufgeführt. Natürlich wollen wir auch seine neueste Produktion sehen.
Wie viele von Ryans Stücken ist auch »Thoroughly Muslim Millie« die Adaption eines Musicals. Gleich vorweg, es ist das beste Musical, das ich je gesehen habe! Eigentlich hasse ich Musicals, selbst die knallbunten Technicolor-Teile aus den Vierzigern und Fünfzigern, auf die sich Ryans Truppe gern bezieht.
Der Vorhang öffnet sich in dieser Spielzeit zum ersten Mal, das kleine Theater ist ausverkauft. Und gleich baller auch schon eine Gesangs- und Tanznummer nach der anderen auf uns ein, es bleibt kaum Zeit, Luft zu holen, um die krassen Texte zu verstehen. Die aufmüpfige Klosterschülerin Millie wird von ihren Oberinnen nach Persien geschickt, um den Prinzen zu heiraten und die Muslime zum Christentum zu bekehren. Tatsächlich entpuppen sich die Nonnen als der Republikaner Dick Cheney und seine Frau – in Drag. Der Prinz von Persien verliebt sich in Millie, verlangt aber, dass sie eine Burka trägt. Mr. und Mrs. Cheney erscheinen als Transvestiten-Nonnen im Palast, werden schnell enttarnt und fliehen. Ihr geheimer Plan ist es, an die milliardenschweren Ölvorkommen zu gelangen, die direkt unter dem Palast liegen. Prompt taucht auch die Tochter der Cheneys als Butch­dyke-Soldatin auf und verliebt sich in Diesel, die Schwester des Prinzen. Natascha, eine von den Cheneys engagierte russische Domina mit Augenklappe und hüfthohen Lackstiefeln, foltert den Prinzen. Nachdem der Prinz nicht preisgibt, wo das Öl versteckt ist, sprengen Dick und die Domina den Palast.
Als Millie den Prinzen nackt und mit riesiger Erektion in einem Verlies findet, beginnt er überraschend mit einem tiefsinnigen Monolog über die Unsinnigkeit des Kriegs. Darauf Millie: »What are you doing? This is a musical. We’re all in drag!« Am Schluss sterben alle, außer Millie, die geht zurück nach Kanada.
Mit festem Griff wird hier die klassische Periode der amerikanischen Popkultur in einen Sack gepackt, kräftig geschüttelt und auf ein Ensemble geworfen, das durch jahrzentelange Erfahrungen in Drag-Shows und Cabarets geschult ist. Alles stimmt, von den Tanzeinlagen über die Kostüme bis zu der kleinsten Bühnendekoration. Aber vor allem die Texte sind pointiert, die Gags sitzen, selbst bei primitiven Wortspielen ist klar, dass alle wissen, wie primitiv sie sind. Nacktheit und vulgäre Sprache peppen in modernen Theaterproduktionen dünne Geschichten auf, hier dienen sie der Story. Die durchweg krassen, religiösen und politischen Anspielungen des Stücks brauchen comic relief. Der queere Subkulturhumor entblößt die verquere Welt, aber versöhnt am Ende auch. Wie gesagt, es war das beste Musical, das ich je gesehen habe.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.