Der Putsch in Burkina Faso

Die Angst des alten Regimes

In Burkina Faso haben Angehörige einer Elitetruppe der Armee kurz vor den geplanten Wahlen geputscht. In der Bevölkerung haben sie kaum Rückhalt.

Die Armee rückt an und besetzt die Stadttore – und die Mehrzahl der Bewohner jubelt darüber. So ähnlich stellte sich am Dienstag die Situation in Ouagadougou dar, der Hauptstadt des westafrikanischen Staats Burkina Faso. In der Nacht waren militärische Einheiten aus verschiedenen Teilen des Landes angerückt: aus Bobo-Dioulasso und Dédougou im Westen, aus Ouhigouya im Norden sowie aus Kaya und Fada N’Gourma im Osten.
Warum der Jubel? Nicht aus Begeisterung für die Armee als solche, sondern vielmehr weil diese Truppenteile ihre Kasernen verlassen hatten, um dem Putsch einer Elitetruppe derselben Armee ein Ende zu setzen, durch Verhandlungen oder notfalls mit Gewalt. Eine Eskalation versuchte der seit fünf Tagen an der Staatsspitze stehende Putschpräsident, General Gilbert Diendéré, noch abzuwenden. Am Dienstagnachmittag appellierte er in einem Interview, das in der Pariser Zeitung Le Monde erschien, an die Gegenseite und plädierte für eine »Lösung unter Waffenbrüdern«, die unter Militärangehörigen immer möglich sei. Daraufhin wurden in Nigerias Hauptstadt Abuja Verhandlungen unter den Fittichen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft aufgenommen.
General Diendérés formale Amtsbezeichung lautete bis dahin »Vorsitzender des Nationalen Rats für Demokratie« (CND). Mit diesem wohlklingenden Namen bezeichnete sich die Militärjunta, die am Donnerstag voriger Woche faktisch die Macht übernommen hatte. Ihr Putsch hatte die Periode des »demokratischen Übergangs« jäh beendet, die der Sturz des 27 Jahre lang amtierenden ehemaligen Präsidenten Blaise Compaoré eröffnet hatte. Er war am 31. Oktober 2014 nach Protesten der Bevölkerung geflüchtet. Am 11. Oktober sollten nun die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden.

Am Mittwoch voriger Woche waren Angehörige des »Regiments für präsidiale Sicherheit« (RSP), einer 1 300 Soldaten starken Sondereinheit, die mit schweren Waffen wie etwa Panzern ausgestattet ist, in die laufende Kabinettssitzung eingedrungen. Im Laufe der Nacht setzten sie den Interimspräsidenten Michel Kafando und den Interimsministerpräsidenten Isaac Zida fest und hielten sie mehrere Tage lang gefangen. Kafando wurde am Sonntag wieder freigelassen, Zida am Dienstagmorgen.
Vordergründig handelte es sich, folgt man den ersten Erklärungen der Putschisten, nur um eine Meuterei unzufriedener Soldaten. Ein Grund für ihre Aktion war, dass die Übergangsregierung bekanntermaßen plante, die Präsidialgarde aufzulösen. Denn diese von der gesamten Armee des Landes mit Abstand am schwersten bewaffnete Eliteeinheit hatte sich bereits in den Monaten zuvor als Gefahr für den noch nicht hinreichend konsolidierte Demokratisierungsprozess im Lande erwiesen. Bereits Anfang Juli hatten ihre Angehörigen versucht, Zida aus dem Amt zu vertreiben (Jungle World 30/15). Er kommt zwar selbst aus ihren Reihen – Zida war in der Vergangenheit die Nummer zwei in der Hierarchie des RSP –, war jedoch seit dem Antritt der Übergangsregierung vor knapp elf Monaten politisch seine eigenen Wege gegangen. Den Mitgliedern der Präsidialgarde galt er deswegen als Verräter.
Aber nicht nur die Rettung des eigenen Status als Angehörige einer privilegierten Armeeeinheit bewegte die Putschisten. Den unmittelbaren Anlass stellte vielmehr der Streit über das Wahlgesetz dar, das am 7. April die Wahlkommission der Übergangsregierung verabschiedet hatte und das am 13. Juli höchstrichterliche Bestätigung fand. Es schloss Machtträger und Funktionäre des alten Regimes von Wahlen aus, sofern sie eine Rolle dabei gespielt hatten, Blaise Compaoré »illegal« an der Macht zu halten. Im vorigen Jahr hatte Compaoré, dem die bis dahin geltende Verfassung eine weitere Amtszeit als Präsident verbot, versucht, den Verfassungstext zu seinen Gunsten zu ändern. Eine in ihrer Mehrheit willfährige Nationalversammlung war dazu für Ende Oktober zusammengerufen worden, doch aufgebrachte Demonstrierende sprengten die Sitzung.

Wer sich unter dem alten Regime für eine erneute Amtszeit Compaorés eingesetzt hatte – er war bereits seit 1987, seit der Ermordung seines linksrevolutionären Vorgängers Thomas Sankara, Staatsoberhaupt –, sollte nicht zur diesjährigen Wahl antreten können. 40 potentielle Bewerber wurden so an ihrer Kandidatur gehindert. Dennoch gelang es drei Politikern aus den Reihen des alten Regimes, durch die Maschen zu schlüpfen. Es handelte sich um Djibril Bassolé, unter anderem ehemaliger Außenminister sowie Minister im Sicherheitsressort; Yacouba Ouédraogo, ebenfalls ein ehemaliger Minister, und Roch Marc Christian Kaboré, der unter Compaoré Vorsitzender der damaligen Staatspartei »Bewegung für Demokratie und Fortschritt« (CDP) war. Heute ist Kaboré Vorsitzender einer Abspaltung des CDP, der »Bewegung des Volkes für Fortschritt« (MPP), in der sich Karrieristen zusammengeschlossen haben, die es verstanden hatten, sich wenige Monate vor dem Untergang des alten Regimes politisch selbständig zu machen. Die Kandidatur der drei stand dennoch in Frage, nachdem bis zum 6. September mehrere Beschwerden gegen sie beim Verfassungsgericht eingereicht worden waren.
Der wahre Beweggrund der Putschisten war, diese Maßnahmen rückgängig zu machen, mit denen eine Rückkehr zum alten Regime verhindert werden sollte. Dies wurde auch schnell klar, als sich im Laufe des Donnerstags voriger Woche die Zusammensetzung der Putschregierung offenbarte. General Diendéré war nicht nur Generalstabschef unter Compaoré, er gehörte auch zu dem Kommando, das den ab August 1983 amtierenden Präsidenten Sankara im Oktober 1987 ermordete. Kurz darauf hatte der neue Präsident Compaoré ihn dann auf den höchsten militärischen Posten befördert.
Auch in der gesamten Region Westafrika verübte Diendéré Verbrechen. 2005 ermittelte eine UN-Untersuchungskommission gegen ihn wegen des Handels mit Waffen und Diamanten im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in Sierra Leone, der zu Beginn des Jahrtausends beendet wurde. Damals war Burkina Faso auf den internationalen Märkten als Exporteur von Diamanten aufgetreten, obwohl im Land selbst keine gefördert wurden. Es handelte sich um sogenannte Blutdiamanten.
Auch für den Handel mit und den politischen Einfluss der früheren Kolonialmacht Frankreich, die in Westafrika noch immer Macht ausübt, hatte Burkina Faso unter dem alten Regime eine große Bedeutung. Nicht umsonst war Diendéré im Jahr 2008 von dem damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy mit einem Verdienstorden der Republik ausgezeichnet worden.

Die Mehrheit der Bevölkerung Burkina Fasos, aber auch bedeutende Teile der Armee wollten sich dem rechten Putsch nicht beugen. Immer wieder kam es seit Donnerstag voriger Woche zu Demonstrationen, die Gewerkschaften riefen zum Generalstreik auf und in Bobo-Dioulasso kam es zu Massenprotesten. Die Armee ist politisch und sozial tief gespalten. Sankara selbst war ehemaliger Offizier und hatte Anfang der achtziger Jahre die »Sammlung kommunistischer Offiziere« (ROC) geleitet. Dies hängt damit zusammen, dass eine militärische Karriere für Söhne armer Familien jahrzehntelang nahezu den einzigen Zugang zu Bildung und nennenswertem Einkommen darstellte.
Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, die gewöhnlich am Erhalt von Stabilität um jeden Preis im Sinne herrschender Oligarchien interessiert ist, entsandte im Laufe des Wochenendes eine Delegation nach Burkina Faso, um zu vermitteln. Angeführt wurde sie von dem seit 2012 regierenden senegalesischen Präsidenten Macky Sall. Der Kompromissvorschlag der Delegation – sofortige Amnestierung der Putschisten, Zulassung der Vertreter des alten Regimes zu den Wahlen und deren Abhaltung bis zum 22. November – fiel jedoch völlig im Sinne der Putschisten aus, weshalb die Lage sich auch nicht beruhigte. Sogar ein Funktionär der Karrieristenpartei MPP verglich dies mit dem Versprechen, »Bankräuber hinauszubegleiten und ihnen freies Geleit auf die Kaimaninseln zuzusichern«.
Mit den Verhandlungen in Abuja wurde ein neuer Versuch einer Schlichtung begonnen. Der Anschein, dass die Krise dadurch internationalisiert wird, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass internationale Akteure ihn ihr ohnehin mitmischen.