Im Antikaufrausch

Die Stadtratssitzungen finden in Zukunft wohl ohne Sprudelwasser aus dem Soda- Stream und Dattelhäppchen statt – sollte es diese dort jemals gegeben haben. Die Mehrheit der 15 Ratsmitglieder der isländischen Hauptstadt Reykjavík hat am Dienstag vergangener Woche nämlich einen Boykott israelischer Waren beschlossen. Den Vorschlag dazu hatte die sozialdemokratische Ratsabgeordnete Björk Vilhelmsdóttir vergangenes Jahr im Zuge des Gaza-Konflikts eingebracht, der für sie das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Die städtischen Behörden sollen nun keine Produkte mehr kaufen, die aus Israel kommen, »solange die Besatzung in den palästinensischen Gebieten anhält«, hieß es in einer Stellungnahme des Stadtrats. Darin wurde Israel für den Verstoß »gegen internationale Abkommen« verurteilt, die Situation in Israel mit der Apartheid in Südafrika verglichen und das »Recht der Palästinenser auf einen unabhängigen und souveränen Staat« unterstützt.
Die 51jährige Vilhelmsdóttir, die sich vor ihrem Ruhestand mit dem Boykott noch schnell einer Herzensangelegenheit widmen wollte, betont, sie sei keinesfalls Antisemitin, sondern nur gegen die Politik der derzeitigen israelischen Regierung. Eine typische »Israelkritikerin« eben, die ihren Mann, den Vorsitzenden des Island-Palästina-Vereins, Sveinn Runar Hauksson, auch gerne zu Treffen mit Hamas-Führern begleitet. Das israelische Außenministerium kritisierte Reykjavíks Beschluss. Der Website The Electronic Intifada zufolge soll ein Gründer der Kampagne BDS (boycott, divestment, sanctions) nach dem Boykottbeschluss von einem »historischen Sieg« gesprochen und vor Israels »mächtigen Instrumenten in Washington und Brüssel« gewarnt haben, die es nun einsetzen werde. Eine Abgeordnete aus Vilhelmsdóttirs Koalition kündigte an, dass auch Waren aus anderen Staaten, die Menschenrechtsverletzungen begehen, boykottiert werden könnten. Dann werden die Güter in Reykjaviks Amtsstuben wohl bald knapp, denn um die Menschenrechte steht es in kaum einem Land gut. Aber China beispielsweise, dessen Anteil an Islands Importen dieses Jahr den israelischen um das 60fache übersteigt, oder Marokko, eine Besatzungsmacht in der Westsahara, aus der Island nur ein Drittel weniger als aus Israel importiert hat, sind offenbar nicht interessant genug für Boykottaufrufe – vermutlich weil es keine jüdischen Staaten sind.