Das Bildungsangebot von Coursera

Uneingelöste Versprechen

Wie studiert es sich in Online-Angeboten wie Coursera? Und wer studiert dort? Eine Bestandsaufnahme.
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Ich werde jetzt Bioinformatiker. Dazu melde ich mich bei Coursera an, einer Online-Plattform, die Vorlesungen von allerlei Spitzenuniversitäten von Stanford über die Uni Tel Aviv bis hin zur TU München vorhält – und das zunächst mal kostenlos. Angesichts der Fächervielfalt von »Arts and Humanities« bis »Social Science« habe ich die Qual der Wahl. Da ich mich schon für Bioinformatik entschieden habe, klicke ich mich zielstrebig über »Life Science« zu einem Einsteigerkurs »Introduction to Genomic Technologies«.
Der Kurs dauert vier Wochen bei einem Aufwand von drei bis fünf Stunden die Woche, besteht aus Vorlesungen per Online-Video und Nachbereitung mit Übungen. Wenn ich bereit bin, 43 Dollar per Paypal zu zahlen, bekomme ich am Ende sogar ein Zertifikat, das sich bestimmt gut in meinem Lebenslauf macht. Dafür muss ich mich allerdings vor Kursbeginn entscheiden. Voller Tatendrang möchte ich sofort loslegen, allerdings muss ich zunächst einmal warten: Mein Kurs beginnt erst am 5. Oktober. Das ist schon enttäuschend für ein Online-Angebot, das durchaus von festen Zeiten entkoppelt sein könnte – im Internet schaue ich mir Fernsehserien schließlich auch längst an, wann ich will, ohne zu einer bestimmten Zeit vor dem Fernseher in Habachtstellung zu gehen.
Coursera ist das größte und bekannteste MOOC. Die Abkürzung steht für Massive Open Online Course. Während hinter Coursera oder dem Informatik-lastigen Udacity kommerzielle Unternehmen stehen, gibt es auch nichtkommerzielle Angebote wie Lagunita oder NovoEd. Speziell aus dem Umkreis der Stanford University ist eine Reihe von MOOCs entstanden. In Deutschland gibt es die kommerzielle Plattform Iversity aus Berlin, aber auch freie Angebote wie Mooin der FH Lübeck oder die Virtuelle Hochschule Bayern.
Vor einigen Jahren galten sie als the next big thing im Internet, das den Massen Bildung und Zugang zu Universitäten verschaffen sollte – unabhängig von Herkunft und finanziellen Möglichkeiten. Derlei Ambitionen sind mittlerweile verflogen. Die Teilnehmer von Coursera sind ganz überwiegend eben keine ehemaligen Hauptschüler, die nach ihrem anstrengenden Arbeitstag in niedrigqualifizierten Berufen nach höherer Bildung streben. Die meisten Teilnehmer sind Akademiker, Mitte 30, im Berufsleben stehend, die sich punktuell weiterbilden wollen. Am erfolgreichsten ist Coursera in China und Indien, aber auch dort stammen 80 Prozent der Teilnehmer aus der reichen Oberschicht. Eine Weile sah es so aus, als böten MOOCs einen Zugang zu Bildung für Menschen in Entwicklungsländern, aber auch diese Erwartung trog, zumal die meisten Menschen in afrikanischen Slums oder südamerikanischen Favelas keinen stabilen Zugang zum Internet haben und wenn doch, dann mit dem Smartphone online gehen. Mittlerweile bietet Coursera allerdings Apps für Smartphones an, mit denen eine Kursteilnahme ebenfalls möglich ist.
Obwohl MOOCs wie Coursera nach Nutzerzahlen immer erfolgreicher werden, haben sie gemessen an ihrem eigenen Anspruch, die Massen zu bilden, also eher versagt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Während man an einer Universität einen mehr oder weniger starren Stundenplan mit allerlei Einführungsangeboten und Leitfäden erhält, an denen sich Erstsemester entlanghangeln können, müssen Teilnehmer von Coursera schon vorher genau wissen, was sie wollen. Die meisten Angebote sind ohne grundlegende Kenntnisse eines Fachs nicht zu verstehen, den Teilnehmern fehlt oft schlicht der Überblick, den ein Grundstudium im ersten Semester vermittelt. Coursera bietet primär Frontalunterricht mit anschließenden Übungen und Tests, deren Ergebnisse am Ende für das Zertifikat herangezogen werden. Die Atmosphäre eines Seminars oder das kurze Gespräch mit dem Dozenten in seinem Büro fehlen hingegen völlig – Chats und E-Mail können das nicht hinreichend ersetzen. Die Studierenden brauchen ein hohes Maß an Disziplin, um auch wirklich dranzubleiben, schließlich fehlen das Grundgerüst und die Routine einer Präsenz- oder Fernuniversität. Der Anreiz, sich bei Coursera anzumelden, ist das Interesse am Thema und der Wunsch nach Bildung, der in bildungsfernen Schichten leider meist fehlt.
Das ist schade, schließlich könnten MOOCs kombiniert mit entsprechenden Einführungsseminaren und Tutorien vor Ort diese Hemmschwellen senken und sich wirklich an die Massen wenden – auch die bildungsfernen. Jobcenter könnten die Teilnahme an solchen Kursen bezuschussen und vor allem als sinnvolle Tätigkeit anerkennen, statt ihre sogenannten Klienten in den dritten obskuren Excel-Anfänger-Kurs zu schicken, um sie irgendwie auf Trab zu halten. Nicht nur Menschen in Entwiclungs- ländern könnten von Coursera & Co. profitieren sondern beispielsweise auch Alleinerziehende, die Kurse neben ihrer Care-Arbeit zu Hause absolvieren könnten. Auch könnte ein Online-Studium der Mentalität von Hackern sehr nahekommen, sich selbst das Studium zusammenzustellen, das sie am meisten interessiert.
Hätte, könnte, würde. MOOCs wie Coursera entwickeln sich leider in die entgegengesetzte Richtung. Ihr Betrieb kostet Geld und das will wieder hereingeholt werden. Hinter der Aufbereitung eines einziges Kurses für das Internet stecken viele Hundert, oft sogar Tausende Arbeitsstunden, die irgendjemand bezahlen muss. Das haben die Universitäten nur am Anfang gerne gemacht. Nachdem Pilotprojekte aber zeigten, dass die Aufbereitung der Kurse nicht zu Einsparungen in der Lehre führt, sondern im Gegenteil zusätzliche Kosten verursacht, sind die MOOCs auf andere Geldquellen angewiesen. Das können Kooperationspartner aus der Wirtschaft sein – Firmen wie Microsoft sponsoren häufiger Kurse zu Schlüsseltechnologien, insbesondere auch solche, die sich um ihre eigenen Produkte drehen. So hat LinkedIn, eine Art Facebook für Business-Kontakte, für 1,5 Milliarden Dollar das MOOC Lynda.com aufgekauft. Von Interesse waren da vor allem die Daten der Kursteilnehmer, die sich gut verwenden lassen, um Jobprofile an potentielle Arbeitgeber zu verkaufen – was natürlich durchaus im Sinne der Studierenden sein kann.
Coursera hat aber längst erkannt, dass die in dieser Form gar nicht geplante Zielgruppe berufstätiger Akademiker durchaus zahlungskräftig ist und verlangt daher immer häufiger Gebühren. Den Anfang machten Zertifikate, die üblicherweise zwischen 30 und 90 US-Dollar kosten, was zugegeben sehr preiswert ist. Mittlerweile sind aber schon die ersten Kurse aufgetaucht, deren Belegung 200 Dollar und mehr im Monat kostet. So ist die Teilnahme an der Virtuellen Hochschule Bayern für bayerische Studierende einschließlich Nachweis kostenlos, während von Gasthörern 35 Euro pro Semesterwochenstunde verlangt werden.
Da ist preislich sicherlich noch Luft nach oben. Wahrscheinlich werden MOOCs früher oder später auch komplette Studiengänge einschließlich Abschluss zu erheblich höheren Preisen anbieten und zugleich Autodidakten eine kostenlose oder preiswerte Teilnahme ermöglichen, ähnlich wie heute schon Gasthörern an den Universitäten. So plant Udacity einen Master in Informatik, der lediglich 7000 Dollar kosten soll – ein Schnäppchen im Vergleich zum Präsenzstudium, das in Stanford 45 000 Dollar kostet. Freilich steht der Master nur denjenigen offen, die schon woanders einen Bachelor gemacht haben. Solange es nicht zu einem Abschluss führt, ist ein Online-Studium per MOOC noch relativ wertlos. Die Zertifikate sieht ein Personaler sicherlich gerne, sie bringen jedoch wenig, wenn ein grundlegender Bildungsabschluss fehlt. Für den interessieren sich zwar immer weniger Arbeitgeber, da klassische Studienabschlüsse oft wenig über die Qualifikation eines Bewerbers aussagen und Quereinsteiger mit Spezialkenntnissen durchaus willkommen sind. Bisher beschränkt sich eine solche Haltung aber weiterhin nur auf einige wenige Branchen und Nischen.
Leider sind MOOCs der gescheiterte Versuch, ein soziales Problem mit technischen Mitteln zu lösen. Und trotzdem sind sie zugleich eine großartige Gelegenheit für Menschen wie mich, die – ganz MOOC-Zielgruppe, in mittleren Jahren und im Berufsleben stehend – plötzlich gerne ein paar Vorlesungen zur Bio-Informatik absolvieren möchten. Jedenfalls solange das Fach an keiner Volkshochschule angeboten wird.