Fans des 1. SC Göttingen wurden für ihre Recherche zu jüdischen Fußballspielern ausgezeichnet

Große Bühne, kleiner Sport

Fans des 1. SC Göttingen 05 werden mit dem Julius-Hirsch-Preis des DFB ausgezeichnet. Sie hatten unter anderem die Geschichten jüdischer Fußballspieler recherchiert.

Dass die Fußballer des 1. SC Göttingen 05 in naher Zukunft überregional für Aufmerksamkeit sorgen, ist angesichts der sportlichen Lage des Teams nicht ­besonders wahrscheinlich. Nachdem man vor einigen Monaten erst in die sechstklassige Landesliga abgestiegen war, steht nach einem missglückten Saisonstart derzeit eher der weitere Absturz in die Bedeutungslosigkeit zu befürchten. Schlagzeilen werden dagegen die aktiven Fans des Vereins machen: Am 11. Oktober soll ihnen der Julius-Hirsch-Preis des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) verliehen werden.
Julius Hirsch war einer von nur zwei jüdischen Fußballspielern, die je das Trikot der deutschen Nationalelf trugen. 1943 wurde er nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Nach einer langen Zeit des Schweigens über die Vergangenheit des Verbandes im Nationalsozialismus initiierte der DFB vor zehn Jahren den Preis im Gedenken an seinen ehemaligen Auswahlspieler und verleiht die Auszeichnung seither an Projekte und Initiativen, die sich sowohl dem Fußball als auch der Erinnerungs- und Antidiskriminierungsarbeit verschrieben haben.
Vor einigen Wochen erhielt die Supporters Crew 05 e. V. einen Brief aus Frankfurt mit den Glückwünschen zur diesjährigen Auszeichnung. Der DFB würdigt damit das langjährige Engagement der Göttinger Fans »gegen die unterschiedlichen Erscheinungsformen von Diskriminierung« und zeigt sich im Besonderen von der Geschichte Ludolf Katz’ beeindruckt. Dessen Name ist einer von nur wenigen, die die Anhänger der Supporters Crew während ihrer Recherchen über jüdische Spieler in der Göttinger Fußballhistorie herausfinden konnten. Ludolf Katz war seit Ende des Ersten Weltkriegs Mitglied des 1905 gegründeten Sportvereins, den er 1933 nach der Machtübernahme der Nazis verlassen musste. Wenige Wochen vor der Reichspogromnacht emigrierte er in die USA und überlebte deshalb. Seinen Eltern war dies nicht vergönnt, sie kamen vermutlich im Warschauer Ghetto um. Ludolf Katz starb 1994 im Alter von 91 Jahren in Florida.
Dass die Geschichte von Katz bekannt wurde, ist im Wesentlichen den Fans von Göttingen 05 zu verdanken. Zum 9. November des vergangenen Jahres widmeten sie Ludolf Katz eine Gedenkveranstaltung und präsentierten ihre Ergebnisse unter der Überschrift »Ein Jude in Schwarz und Gelb«. Wenige Monate später beteiligte sich zudem an der Stolpersteinverlegung am ehemaligen Wohnhaus der Familie Katz, deren Nachfahren sich über das Engagement der Fans freuten.
Mit der jüdischen Geschichte der niedersächsischen Universitätsstadt sah sich die Supporters Crew ohnehin seit ihrer Gründung vor etwa drei Jahren und dem Einzug in eigene Räumlichkeiten konfrontiert. Der sogenannte Fanraum findet sich nur wenige Meter vom Mahnmal am Platz der ehemaligen Synagoge entfernt, die während der Novemberpogrome niedergebrannt worden war. Die Fans fühlen sich nun dafür verantwortlich, etwaige Störungen am Ort des Gedenkens zu unterbinden, und fegen dazu Laub und Müll weg.
Im Fanraum spielt sich ein Großteil der aktiven Fanszenenarbeit ab, die vom DFB als »Bildungs- und Kulturveranstaltungen« ausgezeichnet werden. Zahlreiche Vorträge und Workshops, die sich mit dem weiten Thema Diskriminierung im Fußballsport beschäftigen, wurden hier bereits organisiert. Im vergangenen Herbst war etwa der schwule Schiedsrichter Halil İbrahim Dinçdağ zu Gast, der über seine Auseinandersetzungen mit dem türkischen Fußballverband berichtete. Auch die Wanderausstellung »Tatort Stadion« des Bündnisses Aktiver Fußballfans wurde gezeigt und durch Mitglieder der Supporters Crew begleitet. Mehrfach ermöglichten die Fans zudem in der Region untergebrachten Flüchtlingen einen Spielbesuch.
Einen Überblick über ihre Arbeit hat die Supporters Crew in der aufwendigen Broschüre »Zwischen Kick, Kultur und Erinnerung« zusammengestellt. Sie ging als Grundlage der Bewerbung an die Jury des Julius-Hirsch-Preises und enthält auch eine Zusammenfassung der bewegten Geschichte der Göttinger Fankultur. In den neunziger Jahren hatten sich immer mehr rechte Schläger und organisierte Neonazis im Stadion des Traditionsvereins breit gemacht, die erst nach Interventionen der aktiven Fans vertrieben werden konnten. Turbulente Zeiten folgten, als in den frühen nuller Jahren die Fanszene nach der Insolvenz des Sportclubs kurzzeitig ohne Verein dastand, ehe ein neues Team gegründet wurde. Seitdem ist die 05-Szene nicht nur zusammengewachsen, sie eint zudem ein antirassistischer Konsens. Sebastian von der Supporters Crew erzählt: »Uns ist es wichtig, diesen Standard beizubehalten. Nicht zuletzt deshalb haben wir unseren Verein als eine Art Fanszenendach etabliert.« In ihrer Satzung haben die Fans dementsprechend nicht nur die Unterstützung der schwarz-gelben Fußballabteilung und die Bewirtschaftung ihrer Räumlichkeiten festgeschrieben, sondern ebenso den Grundsatz, sich gesellschaftspolitisch und antidiskriminierend zu betätigen.
Tatsächlich ist es bemerkenswert, dass der DFB das Engagement einer ganzen Fanszene prämiiert. In der Vergangenheit waren es oft eher einzelne Projekte und Gruppen, denen die Auszeichnung zuteil wurde. Auch in diesem Jahr sind auf den weiteren Plätzen die Initia­tive »VfB für Alle« aus Oldenburg und das Fanprojekt Halle für die Organisation von Gedenkstättenfahrten gelandet.
In Göttingen freut man sich quer durch alle Teile der Fanszene über den mit 7 000 Euro Preisgeld dotierten Erfolg der Bewerbung. Sebastian etwa ist nicht nur Gründungsmitglied des Dachvereins, sondern gleichzeitig bei den örtlichen Ultras der Rasensportguerilla aktiv. Angesichts des mitunter konfliktgeladenen Verhältnisses zum Fußballverband hatte es innerhalb der bundesweiten Ultrabewegung einige Diskussionen gegeben, ob eine vom DFB gestiftete Ehrung nicht abzulehnen sei. Trotzdem gehörte die Münchner Ultra-Gruppe Schickeria, die umfassend das Leben und Wirken des früheren jüdischen FC-Bayern-Präsidenten Kurt Landauer aufgearbeitet hatte, zu den Preisträgern des vergangenen Jahrs. Auch Sebastian kann solche Bedenken nicht teilen. Er sieht in der Resonanz auf die Preisverleihung vielmehr die Möglichkeit, die politische Arbeit der 05-Fans zu stärken. Und ohnehin befinde man sich im Stadion permanent in der Aus­einandersetzung mit den Institutionen des Sports.
In Göttingen finden die Fußballfans mittlerweile auch außerhalb ihres ursprünglichen Tätigkeitsfeldes Beachtung. Zu ihren Veranstaltungen kommen immer mehr Menschen, die mit dem Geschehen auf dem Rasen nur wenig anfangen können. Auch der 1. SC erklärte, man sei »sehr stolz« auf die eigene Anhängerschaft. Wenig spricht leider dafür, dass auch die Fans bald einmal wieder mit Stolz auf die sportlichen Leistungen ihres Teams blicken werden.