In Bremen wird gegen einen Politiker der Grünen ermittelt

Bizarre Logik

In Bremen ermitteln Polizei und Staats­anwaltschaft gegen Wilko Zicht, den ­innenpolitischen Sprecher der Grünen, wegen Nötigung. Die Vorgeschichte lässt ­jedoch vermuten, dass der Mann den ­Sicherheitsbehörden vor allem wegen seiner Nähe zu antifaschistischen Fuß­ballfans ein Dorn im Auge ist.

Bis heute beschäftigen die Vorfälle vom 19. April die Öffentlichkeit in Bremen. Damals, vor über fünf Monaten, gerieten am Rande des Bundesligaspiels zwischen dem SV Werder Bremen und dem Hamburger SV linke Bremer Ultras und rechte Bremer Hooligans aneinander. Vor wenigen Tagen hat die Bremer Staatsanwaltschaft Anklage gegen den 21jährigen Ultra Valentin erhoben, dem vorgeworfen wird, nach dem Nordderby gemeinsam mit anderen einen Hooligan tätlich angegriffen zu haben (Jungle World 30/2015) und der bereits seit Anfang Juli in Untersuchungshaft sitzt. Kurz zuvor ist jedoch noch jemand anderes in das Blickfeld der Behörden geraten.

Dabei handelt es sich allerdings nicht, wie vielleicht zu vermuten wäre, um einen der einschlägig bekannten extrem rechten Hooligans, die an den Auseinandersetzungen beteiligt waren. Die Ermittlungen richten sich vielmehr gegen Wilko Zicht, der seit Mai dieses Jahres für die Grünen in der Bremischen Bürgerschaft sitzt. Zicht ist dort nicht nur innenpolitischer Sprecher der Fraktion, sondern passenderweise auch Vorsitzender des Kontrollausschusses nach dem Polizeigesetz, dessen Aufgabe die parlamentarische Kontrolle »besonders eingriffsintensiver Maßnahmen« ist, worunter etwa der Einsatz von V-Leuten oder verdeckte Observationen fallen.
Die Bremer Polizei wirft Zicht nun »versuchte Nötigung« vor, woraufhin die zuständige Staatsanwaltschaft die Aufhebung seiner Immunität beantragte, um gegen ihn ermitteln zu können. Das Vorgehen der Behörden schlug erwartungsgemäß hohe Wellen in der Hansestadt. In der Lokalausgabe der Bild-Zeitung schaffte es Zicht sogar auf die Titelseite. »Grünenpolitiker im Visier des Staats­anwalts?« hieß es da – großes Foto inklusive.
Zicht soll, so die Polizei, die Pächterin der Gaststätte Verdener Eck, in der sich am Tage des Nordderbys Bremer Hooligans versammelt hatten und vor der es schließlich zu den Auseinandersetzungen gekommen war, »verbal genötigt« haben, rechten Hooligans ein Hausverbot zu erteilen. Bild verglich sein Verhalten sogar mit dem eines »Schutzgelderpressers«.

Hintergrund der Vorwürfe ist ein Farbanschlag auf die Gaststätte. Unbekannte hatten in der Nacht zum 12. August »Keine Kneipe für Nazis« an die Hauswand gesprüht und Farbbomben gegen die Fassade geworfen, wobei auch zwei Glasscheiben zu Bruch gingen. Zicht nahm daraufhin mit der Pächterin der Kneipe, mit der er schon im Mai Gespräche geführt hatte, Kontakt auf und bot erneut seine Hilfe an. Er riet ihr, sich öffentlich von Nazis zu distanzieren, was diese dann auch tat. Ferner riet er ihr, sich auch an die Polizei zu wenden. »Schließlich ist nur die Polizei in der Lage, ein Hausverbot gegen Nazis durchzusetzen«, so Zicht gegenüber dem Weser-Kurier.
Diesen Ratschlag bezeichnete die Bild als »Deal«, den Zicht der Pächterin vorgeschlagen habe. »Erteile sie bestimmten Rechtsextremen Hausverbot, werde ihrem Laden nichts passieren«, so die Zeitung. Dass offenbar auch die Bremer Polizei dieser bizarren Logik folgt, erscheint durchaus bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass gerade Zicht der Pächterin zum Gang zu den Behörden geraten hatte.
Als am 8. September der entsprechende Ausschuss der Bürgerschaft zusammentrat, um über den Antrag der Staatsanwaltschaft zu beraten, stellte sich die Lage weit weniger eindeutig dar, als es zunächst vielleicht den Anschein gehabt hatte. So berichtete der Weser-Kurier, dass es, anders, als bislang angenommen wurde, offenbar keine Anzeige seitens der Pächterin gibt. »Vielmehr habe die Polizei eine Situation so ausgelegt, dass ›versuchte Nötigung‹ angenommen werden konnte«, so die Bremer Tageszeitung.
Am Ende stimmte der Ausschuss dem Antrag ohne Gegenstimme zu. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft steht damit nichts mehr im Wege. Es bleibt jedoch unklar, welchem Zweck diese dienen sollen. Wenn es tatsächlich keine Anzeige gibt und die Grundlage der Ermittlungen lediglich in polizeilichen Vermutungen liegt, dann stellt sich die Frage, auf welcher Basis man bei der Polizei zu diesen Vermutungen gekommen ist.

Zicht war vor Antritt seines Abgeordnetenmandats in der Bürgerschaft lange Jahre im Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF) engagiert, das immer wieder auch gegen überzogene Polizeieinsätze und unverhältnismäßige ordnungspolitische Maßnahmen gegen Fußballanhänger Stellung bezogen hat. Auch anlässlich der Vorfälle rund um das Nordderby hatte Zicht mehrfach Kritik am Vorgehen der Bremer Polizei geübt und gegenüber der Jungle World erläutert, dass die von der Bremer Polizei veranlassten Stadionverbote »die Vorfälle überhaupt erst ermöglicht« hätten.
Dass Zicht einigen bei der Bremer Polizei ein Dorn im Auge sein könnte, erscheint da nicht ganz abwegig. Zumindest ist auffällig, dass die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft eine Gruppe bislang offenbar vollkommen aussparen. Ein linker Ultra sitzt seit Monaten in Untersuchungshaft, es hat mehrere Hausdurchsuchungen in linken WGs gegeben und nun wird auch noch ein Politiker der Grünen mit fast schon grotesken Vorwürfen überzogen. Die Polizei lässt Zicht dabei als eine Art Pate der Bremer Antifa erscheinen. Dagegen ist von Ermittlungen gegen die extrem rechten Bremer Hooligans, die an den Auseinandersetzungen ja zweifelsfrei ebenfalls beteiligt waren, bislang nichts bekannt. So entsteht der Eindruck, Polizei und Staatsanwaltschaft hätten mit einer gewissen Sehschwäche auf dem rechten Auge zu kämpfen.
Wilko Zicht scheint den Ermittlungen recht gelassen entgegenzusehen. Dem Weser-Kurier sagte er, er gehe davon aus, dass »falsche Anschuldigungen« oder aber »missverständliche Äußerungen gegenüber der Polizei« Anlass für die ­Ermittlungen seien. Nach allem, was bekannt ist, könnte er recht damit haben.
Allerdings – das hat die Geschichte bereits mehr als einmal gezeigt – schützt weder das eine noch das andere am Ende vor einer Verurteilung, wenn Polizei und Justiz sich wieder einmal einig sind, dass es nicht um Recht, sondern ums Rechtbehalten geht. Denn mit dem Eingestehen eigener Fehler tun sich Polizei und Justiz oft noch schwerer als mit Ermittlungen gegen extrem rechte Gewalttäter.