Im Syrienkonflikt wollen alle mit Assad verhandeln

Das große Palaver

Das Ende von Bashar al-Assads Karriere ist absehbar. Aber vorher wollen alle noch mal mit ihm reden.

Auf einmal wollen alle, dass man mit dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad redet. Kanzlerin Angela Merkel und Thomas Oppermann, der SPD-Bundestagsfraktionschef, und Außenminister Frank-Walter Steinmeier sowieso, der dauernd immer mit allen reden möchte, weil er das offenbar für Außenpolitik hält. Gemeinsam ist ihnen allen auch, dass sie sich nicht begeistert geben, mit Assad reden wollen zu müssen. Roderich Kiesewetter, Obmann für Außenpolitik der CDU/CSU-Fraktion, regte immerhin an, nicht kostenlos mit dem Diktator in Kontakt zu treten: »Wir sollten auch Herrn Assad einen Preis abverlangen.« Der notorische Jürgen Todenhöfer forderte gar, mit dem »Teufel« selbst zu verhandeln. Allein, es bleibt immer sehr vage, über was genau man mit Assad so dringlich reden will. Sicher, es soll um Syrien gehen, aber um was konkret?
Dieses seltsam inhaltslose Reden über das Reden mit Assad erfuhr bald eine Steigerung im Reden mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über Syrien, und zwar in der vorigen Woche vor dessen Auftritt vor der UN-Vollversammlung. Der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel sprach gleich von einem neuen Verhältnis zu Russland: »Jeder wird so klug sein zu wissen, dass man nicht auf der einen Seite Sanktionen dauerhaft aufrechterhalten und auf der anderen Seite darum bitten kann, zusammenzuarbeiten.« Für seine Bitte gen Moskau, doch über Syrien zu reden, nahm Gabriel damit quasi die Ukraine als Appetizer für Putin ins Angebot. Die devote Neigung des Vizekanzlers zur russischen Knute mag sehr speziell sein, befremdlich war aber noch, dass die offene militärische Intervention Russlands zugunsten des syrischen Diktators neben dem maßlosen Staunen der wieder einmal Übertölpelten so etwas wie Erleichterung unter westlichen Politikern spürbar werden ließ.

Verheerend an dem Mantra vom Reden-müssen-mit-Assad ist die tiefere Botschaft an die Schlächter dieser Erde. Assad ist für seine konsequente Terrorpolitik zweimal politisch belohnt worden. Als Reaktion auf seine Giftgaseinsätze wurde er von der Regierung Barack Obamas im Herbst 2013 durch die Vereinbarung zur Giftgasvernichtung als internationaler Akteur wieder salonfähig gemacht. Zugleich war damit klar, dass Assad keine militärischen Angriffe des sogenannten Westens zu befürchten hatte, ganz egal, was er mit der syrischen Bevölkerung in Zukunft noch anstellen würde. Denn etwas international Geächteteres und – sogar durch entsprechende Bilder medial vermittelt – Abscheulicheres als den Einsatz von Giftgas gegen eine schutzlose Zivilbevölkerung ist kaum vorstellbar.
Danach stieg Assad auf eine weniger aufsehenerregende und kostengünstigere Terrorwaffe um. Seine allein durch russische Militärhilfe einsatzfähig gehaltene Luftwaffe warf seitdem primitiv konstruierte, selbstproduzierte Sprengkörper auf zivile Ziele. Mit diesen sogenannten Fassbomben – Metallbehälter, zum Teil Ölfässer, prall gefüllt mit Sprengstoff und Metallschrott – kann man gar nicht zielen, das ist auch nicht ihr Sinn. Der Bevölkerung in den nicht mehr von Assad kontrollierten Gebieten ist gerade mit der Beliebigkeit der Attacken und der Zufälligkeit der Opfer vermittelt worden, dass es keinen Rückzugsraum für sie gibt. Es ist nicht zuletzt dieser mit russischer Unterstützung ermöglichte Luftkriegsterror, der auch hartnäckig zum Bleiben entschlossene Syrer letztlich zur Flucht genötigt hat. Das Internet war in den vergangenen zwei Jahren voller Handyvideos, in denen man staubbedeckte Helfer manchmal mit bloßen Händen staubbedeckte Leichen aus Trümmerbergen graben sah. Aber nicht einmal die vielen zeitweise im Wochenrhythmus erscheinenden Aufnahmen mit entsprechenden Baby- und Kleinkindleichen haben nennenswerte Aufmerksamkeit erfahren.
Das Bombardement gegen die Zivilbevölkerung hat für Assad einen mehrfachen Nutzen. Zwar kann er angesichts der überwältigenden sunnitischen Bevölkerungsmehrheit nicht flächendeckend an »ethnische Säuberungen« denken, aber doch punktuell. Die Sunniten, die in Richtung Europa fliehen, zumal politische Aktivisten, haben Assads Segen. Derzeit sollen die syrischen Botschaften im Libanon und Jordanien bereitwillig wie nie Reisepässe ausgeben. Ein lohnender Nebeneffekt ist für Assad die Erpressbarkeit der EU durch die schiere Flüchtlingsanzahl.
Für diese gnadenlose Strategie, das Leiden der Bevölkerung zu seiner nachhaltigsten Waffe zu machen, soll Assad, geht es nach dem Willen der Putin-Claqueure, die zweite Belohnung des Westens nach dem Giftgasbonus erhalten. Man beschwört die angebliche Unabwendbarkeit von Gesprächen mit ihm, da nur so eine Lösung der sy­rischen Katastrophe, zumal in Hinsicht auf den sogenannten Islamischen Staat (IS), möglich sei. Exemplarisch für diese Sicht der Dinge erklärt Eberhard Sandschneider, der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik: »Das ist keine Frage der moralischen Bewertung, es ist letztendlich eine Frage der macht­politischen Realität am Boden, on the ground, wie man im Englischen so schön sagt, und an dieser Stelle wird es offensichtlich keinen Weg geben, der an Assad beziehungsweise seinen Truppen, die mithelfen müssen, die ISIS-Kämpfer zurückzudrängen, vorbeigeht.«
Gerne wird dabei das Detail vergessen, dass es Assad war, der zur Ausbreitung des IS maßgeblich beigetragen und die längste Zeit mit den Jihadisten aufs Beste kooperiert hat (Jungle World 27/2015). Sein Ziel war dabei auch, dass die Sandschneiders dieser Welt in ihren »Analysen« genau diese Propagandalinie des Regimes von seiner Unverzichtbarkeit im Kampf gegen den Jihadismus wiedergeben. Fast möchte man bedauern, dass diese vorgeblich realistische Perspektive nicht einmal an zynischem Machtkalkül ­orientiert ist – dann wäre sie nämlich rational verhandelbar.
Aber es handelt sich in der Regel um freie Phantasiearbeit der Dialogpropagandisten. Assads Armee, die ausgedachte Bodentruppe im Kampf gegen den IS, ist nur noch rudimentär existent. Wo sie sich zurückziehen kann, tut sie das. Assad gehen zudem die Soldaten aus. Bereits im Juli gab er in einer Rede zu, dass es der Armee an »Manpower« fehle.Alle groß angekündigten Regierungsoffensiven dieses Jahres sind sang- und klanglos gescheitert, sofern nicht Hizbollah-Kämpfer und vom Iran angeworbene, trainierte und befehligte Milizen in den Kampf geschickt wurden. Im Nordwesten Syriens bedroht nun eine islamistische Koalition unter Einschluss des ­lokalen al-Qaida-Ablegers, der al-Nusra-Front, das alawitische Kernland Assads an der Küste, im Süden konsolidiert eine gemäßigtere Rebellengruppe ihre Positionen entlang der jordanischen Grenze. Das »Kalifat« des IS kämpft bei Palmyra um die letzten und existentiell wichtigen Gasfelder Assads.
Der russische Coup mit der Einrichtung einer Luftwaffenbasis in Latakia zielt zunächst eher auf das unmittelbare Überleben des Regimes als auf hochfliegende strategische Pläne oder gar den Kampf gegen den IS. Russland werde »dem Regime helfen, seine Basen zu sichern und zu verstärken«, schrieb Hassan Hassan, Koautor des Buchs »ISIS: Inside the Army of Terror«, am Montag. »Die Idee, dass russische Kämpfer es dem Regime ermöglichen werden, Territorium ­zurückzugewinnen, ist ein Hirngespinst.« Das angebliche Primärziel, der Kampf gegen den IS, ist nichts als ein Zuckerstück, das Putin mit festem Daumendruck zwischen die Lippen der hilflosen westlichen Politiker schiebt.

Seit die USA unter Barack Obama ihren Rückzug aus dem Nahen Osten eingeleitet haben, ist vor allem ein Machtvakuum entstanden. Der Nahe Osten hatte historisch auch in seinen besseren Zeiten immer einen Hegemon, der die diversen Regionalmächte und -zentren kontrollieren konnte. Nun stehen diese Regionalmächte bereits nach wenigen Jahren inmitten eines Trümmerhaufens wie hyperaggressive Kinder, die gemerkt haben, dass der Betreuer ihnen keine Grenze mehr setzt. Die Länder des Westens sind an der ganzen Region letztlich desinteressiert – außer es geht um Flüchtlinge westlich von Istanbul. Ihnen entsprechen die verantwortungslosen staat­lichen Akteure und Oligarchien des Nahen Ostens mit ihrer stumpfsinnigen Machtpolitik, egal ob in Teheran, Ankara oder Riad. Der zeitweilige Versuch Obamas, die Rolle der USA als regionale Ordnungsmacht quasi an die Islamische Republik Iran zu übergeben – die de facto im Irak wie in Syrien mitregiert –, hat zu einem vorhersagbaren Desaster geführt.
Was hat eigentlich Steinmeier und Konsorten jahrelang daran gehindert, zum Telefon zu greifen und bei Assad anzurufen? Gab es nicht schon ein zielloses Herumpalavern mit Assad namens »Genf I« 2012 und »Genf II« Anfang 2014? Beim ganzen Reden-über-das-Reden-mit-Assad ist die Tatsache untergegangen, dass die Frage, wie eine Lösung mit Assad denn nun aussehen könnte, längst beantwortet wurde. Die Außenminister Syriens, des Iran und Russlands haben alle jüngst dazu erneut dasselbe gesagt, was sie unisono seit 2011 von sich geben: Erst muss man die »Terroristen« besiegen, dann kann man – Achtung, Konzession! – mit der »richtigen« Opposition über Reformen reden und – der Gag darf nicht fehlen – den Präsidenten neu wählen.
Auch wenn man das in Berlin oder Washington nach vier Jahren Krieg in Syrien immer noch nicht begreifen mag: Assad hat keinen Verhandlungsspielraum, über den er »reden« könnte. Er ist mittlerweile ein schwacher und nahezu nebensächlicher Akteur, der nur einen Trumpf besitzt, der ihn am Leben und im Präsidentenpalast hält: den ehernen Grundsatz einer Baath-Diktatur, dass das System so marode sein kann, wie es will, es steht und fällt mit dem Herrscher. Darauf sind dieser Staat und seine Sicherheitsdienste zugeschnitten. Ob der Herrscher persönliches Charisma wie Saddam Hussein aufweist oder mit symbolischem Charisma herumkrebsen muss wie Assad, der ja bloß der Sohn seines Diktatorenvaters ist und als dessen Nachfolger nur die zweite Wahl war, ist egal. Diese Unabkömmlichkeit für das System bindet die Machthaber im Iran und in Russland untrennbar an Assads Wohlergehen, nicht ihre freie Entscheidung. Persönlich dürfte Assad dabei kaum mehr die Freiheit haben, mit Gattin Asma und den Kindern aus Damaskus zum Flughafen herauszufahren. Also sitzt er neben dem Telefon und wartet freudig drauf, dass alle endlich mit ihm reden. Worüber auch immer. Vielleicht über das Wetter.