Mark Polizzotti im Gespräch über sein Buch über Bob Dylan

»Egal was gerade in ist, ich bin out«

Bob Dylan wusste, dass er nie ein besseres Album machen würde als das im Herbst 1965 veröffentlichte »Highway 61 Revisited« – behauptet Mark Polizzotti. Der New Yorker Autor hat Dylans Album ein ganzes Buch gewidmet.

Zu Dylan ist doch alles gesagt, oder?
Nein.
Müssen Sie nicht gegen die Greil Marcusse dieser Welt anschreiben, die elder statesmen der amerikanischen Pop-Kritik, die seit Jahrzehnten die dylanologische Deutungshoheit beanspruchen?
Ich muss gegen niemanden anschreiben. Hätte ich ein Buch über das Gesamtwerk Dylans geschrieben, dann hätte ich konkurrieren müssen. So habe ich mich auf ein einziges Album konzentriert.
Warum haben Sie »Highway 61 Revisited« gewählt?
Für mich war es das Resultat der ersten Phase von Dylans Entwicklung. Die Krönung seines Schaffens. Deshalb ist »Highway 61« für mich sein authentischstes Album, auch authentischer als die frühen Alben »Freewheelin’« und »The Times They Are a-Changin’«. Mit »Highway 61« kehrt er zu den Anfängen seiner Musik zurück.
Authentisch? Für viele Fans des frühen Dylan ist »Highway 61 Revisited« doch genau das Gegenteil von authentisch. Es ist elektrisch, das erste Album, das komplett mit einer Rockband eingespielt wurde, und es erscheint kurz nach dem Sündenfall des Folk-Idols Bob Dylan. Beim Newport Folk Festival am 25. Juli 1965 setzt Dylan seine Gitarre unter Strom und brüskiert damit die Anhänger der reinen Folk-Lehre. Für die ist der vermeintlich authentische Dylan in Newport gestorben. Was meinen Sie mit authentisch?
Wie der Titel schon andeutet: Auf »Highway 61 Revisited« rekapituliert Dylan alles, was ihn musikalisch geprägt hat, Folk, Blues, Rock ’n’ Roll, auch Country. »Highway 61 Revisited« ist sein authentischstes Album, weil er sich selbst am treuesten blieb, was nicht heißt, dass seine Haltung hinter den frühen Protestsongs verlogen oder falsch war.
Aber?
Aber er war sich sehr bewusst, dass er bestimmte Songs für bestimmte Zwecke schrieb. Er behauptet ja, dass er »Blowing In The Wind« in zehn Minuten geschrieben hätte, nur um zu beweisen, dass er es kann. So nach dem Motto: Schaut her, ihr Folkies, ihr schreibt all diese Hymnen, das kann ich auch und ich hau’ es einfach so raus.
Im Gegensatz zu den frühen Folk-Songs seien die Texte auf »Highway 61 Revisited« elliptisch, heißt es in Ihrem Buch. Elliptisch?
Ja, die Sprache ist weniger reglementiert, es ist zwar kein automatisches Schreiben wie bei den Surrealisten, aber er geht schon in diese Richtung, auch hin zu Beat und Cut-up. Dylans frühe Texte waren dagegen journalistischer. Auch die Kompositionen werden experimenteller.
Wird Dylans politische Bedeutung überschätzt?
Das hängt davon ab, wie man Politik definiert. Es gab in den Sechzigern eine sehr buchstabentreue und einfältige Vorstellung von Politik. Die frühen Sechziger in den USA waren eine politisierte Zeit, die Leute kamen aus den Fünfzigern, einem Jahrzehnt des Konformismus. Es gab wohl Untergrundkulturen wie die Beatniks und die Poets, aber das blieb doch weitgehend im Verborgenen. In den Sechzigern wurde das sichtbarer, das Infragestellen des Status quo, der Aktivismus, die Proteste, so entstand ein Bewusstsein, dass man gegen Ungerechtigkeit etwas tun kann. Also schrieb Dylan seine frühen – in Anführungszeichen – »Protestsongs« genau zum richtigen Zeitpunkt und drückte damit aus, was viele empfanden. Wenn man Politik etwas allgemeiner versteht, dann spielte Dylan eine bedeutende Rolle. Ob bewusst oder unbewusst, er brachte eine ganze Gegenkultur auf den Weg, die seiner Musik viel verdankte, vor allem dem, was er nach den offensichtlich politischen Liedern machte. Der politische Einfluss von Alben wie »Highway 61« und »Blonde on Blonde« ist gar nicht zu ermessen. Dylan hat es immer geliebt, ein Nonkonformist zu sein, das war seine größte politische Leistung: Egal was gerade in ist, ich bin out.
War ihm seine Rolle bewusst?
Ich glaube, Dylan hat das nicht so geplant. In einem Interview über das Woodstock-Festival 1969 erkennt er plötzlich, was für eine riesige Bewegung da entstanden ist und er sagt, er könne sich gar nicht vorstellen, dass das irgendwas mit ihm zu tun hätte. Aber klar hatte es mit ihm zu tun.
Ist das nicht ein bisschen kokett?
Das zieht sich durch seine Karriere, er enttäuscht die Erwartungen alter Fans und gewinnt damit neue.
In seinem Klassiker »American Pie« behauptet Don McLean, Dylan habe eine Stimme »wie du und ich«, und er meint das nicht als Kompliment. Ted Gaier von der Hamburger Band Die Goldenen Zitronen spricht dagegen von »dandyhaftem Genuschel« und sieht darin einen zivilisatorischen Fortschritt: dank der technischen Verstärkung finden auch dünne, kleine Stimmen wie die von Ray Davies von den Kinks oder eben Dylan Gehör. Sie schreiben von seinem »Schnellfeuergesang«.
Dylans Stimme schafft Raum, um Emotionen sichtbar zu machen, anstatt sie demonstrativ auszustellen. Seine Stimme tritt zurück, aber sie weiß, wann sie nach vorne kommen muss. Mich erinnert sie an einen Boxer. Der wartet ab, bis der Gegner müde wird und kommt erst dann mit seinem entscheidenden Schlag, Bäng, und der Gegner fällt auf die Fresse. Er hat etwas Argwöhnisches in der Stimme und etwas Strategisches. Wie viel davon ist Instinkt? Wieviel davon ist Absicht? Keine Ahnung. Aber von seinen ersten Aufnahmen bis heute gibt es immer wieder Momente, in denen man spürt, dass er sein Ziel erreicht, indem er sich zurückhält, und nicht, indem er die Stimme verstärkt.
Ist das ein Fortschritt, wenn jemand mit so einer schwachen Stimme mit Hilfe von Technik so viel Gehör findet?
Ja, es hat auf jeden Fall Türen geöffnet. Hinzukommt, dass wir heute nicht wahrnehmen, wie sehr Stimmen technisch bearbeitet und mit digitalen Mitteln optimiert sind. Du kannst heute wunderbare Dinge im Studio tun, die zu Zeiten von »Highway 61« nicht möglich waren, so dass auch schreckliche Sänger ganz gut klingen. Aber Dylan? Durch ihn wurde es akzeptabel oder sogar wünschenswert, dass ein Sänger nicht allzu poliert klingt und dass bestimmte Inhalte überzeugender daherkommen, wenn sie von einem Sänger vorgetragen werden, dessen Stimme ein bisschen rauer klingt, der nicht jede Note punktgenau trifft und nicht über die Smoothness eines Tony Bennett verfügt. Die Ästhetik hat sich verändert. Heute klingt ein Sänger vielleicht wie ein Zementmischer, aber es funktioniert. Wir haben uns daran gewöhnt, solchen Stimmen zuzuhören, das haben wir in großem Maß Dylan zu verdanken.
Wie beurteilen Sie in dem Zusammenhang Dylans letztes Album, auf dem er Evergreens singt, die Frank Sinatra populär gemacht hat?
Dylan hat immer Sinatra und Tony Bennett gehört, weil sie gute Performer sind, und wir vergessen immer wieder, dass Dylan ein Performer ist. Verglichen mit dem geschmeidigen Gesangsstil von Johnny Mathis oder Frank Sinatra mag er einen unkonventionellen Stil haben, aber andererseits hat Dylan darauf hingewiesen, dass auch Sinatra nicht der perfekte Sänger, der typische Crooner war, dass er Noten nicht getroffen hat. Aber er hat geliefert, mit seinem unverwechselbaren Stil. Das gilt auch für Dylan. Sein Gesang wird ja immer wieder kritisiert: schrecklich, der kann nicht singen, eine Stimme wie ein Frosch. Fakt ist, niemand weiß, wie man diese Songs wirklich spielt, das beweisen ja die vielen Coverversionen, manche sind ganz okay, aber niemand kann Dylan-Songs mit so einer emotionalen Wucht singen wie Dylan.
Sie behaupten, dass viele Coverversionen von Dylan-Songs durch Übertreibung, durch overacting verlieren. Was meinen Sie damit?
Die vielen Versionen von »Blowing In The Wind«, etwa die von Peter, Paul & Mary, mit der sie ein Vermögen gemacht haben. Ich glaube nicht, dass die Dylan-Interpreten übertreiben, ich glaube eher, dass Dylan untertreibt, und durch sein Understatement triff er besser den Kern eines Songs als diejenigen, die bekennerhaft darauf bestehen: Ich bin ernsthaft, ich fühle dieses, ich fühle jenes. Die sind melodischer und tragen ihr Herz auf der Zunge, aber ich glaube nicht, dass sie damit den emotionalen Gehalt des Songs treffen. Das schafft Dylan auf seine coole Art, er singt fast so, als würde er sprechen. Und wenn er mal einer Zeile Nachdruck geben will, dann hat er da immer noch Spielraum, weil er die ganze Zeit Understatement betreibt. Ein schönes Beispiel ist die letzte Strophe von »Visions Of Johanna«, wo er diese lange Liste von sieben Zeilen hat, die alle denselben Endreim haben.
Ein Beispiel für eine gelungene Coverversion?
Es gibt eine interessante Version von »Leopard­skin Pillbox Hat« von Raphael Saadiq, die funktioniert, weil er dasselbe level of cool findet, sehr laid back ist, so muss es sein.
Sie schreiben, Dylan war Punk zehn Jahre vor Johnny Rotten. Wie das?
Schauen Sie sich nur das Foto an, das Cover von »Highway 61« ist perfekt. Dieses Gesicht, das sagt, du wagst es, dich zu ärgern über das, was ich tue? Du wagst es, das zu mögen? Du wagst es, das nicht zu mögen? Es ist, was es ist, und wenn es dir nicht gefällt … fuck you! Das ist eine absolute Punk-Attitütde. Wie er den Kopf zur Seite neigt, der Haarschnitt, das Motorrad-T-Shirt unter dem Hemd, das Lässige der Komposition, wie er da auf der Bank sitzt und ein Typ steht hinter ihm, den man aber nicht erkennen kann. Die ganze Atmosphäre des Coverfotos war anders als auf den üblichen Hüllen dieser Zeit. Bei denen war viel mehr Pose, sogar bei den Rolling Stones, den bösen Buben des Rock ’n’ Roll, in den mittleren sechziger Jahren wurde posiert und arrangiert, die Aufnahmen wurden im Studio gemacht, da hast du nicht diese »Hier bin ich und daran wirst du nichts ändern«-Attitüde, die Dylan auf diesem Foto ausstrahlt, mit seinem Gesicht und der Körperhaltung. Das kam eigentlich erst in den Siebzigern in Mode.

Mark Polizzotti: »Highway 61 Revisited – Bob Dylan’s Road Album«. Aus dem amerikanischen Englisch von Christine Heikamp. Berlin 2015, Edition Tiamat, 176 ­Seiten, 18 Euro.

Am 16. Oktober um 18.30 Uhr findet die Buchvorstellung in der Alten Nicolaikirche in Frankfurt am Main statt.