Eton Psychos

Wieder einmal kann man nur mit Neid auf andere Länder blicken, in denen politische Skandale ein ungleich höheres Unterhaltungsniveau haben. Christian Wulff langweilte uns mit seiner kleingeistigen Liebedienerei im Umgang mit der Bourgeoisie – eine halbe Bratente oder ein Bobby Car für kleine Gefälligkeiten. Erbärmlich. Ganz anders die Briten, die seit Wochen angeregt darüber debattieren, ob Premierminister David Cameron in seiner Studentenzeit bei einer Party »a private part of his anatomy« in das Maul eines toten Schweins gesteckt hat. Das regt die Phantasie an, man denkt an wüsten Sex, hektoliterweise Champagner und Unmengen Kokain. Allerdings ist die Geschichte vielleicht nur eine Erfindung. Sie stammt aus einer von Lord Ashcroft in Auftrag gegebenen Biographie. Der Lord hat Camerons Kar­riere mit viel Geld und Mühe gefördert, wurde dann aber bei der Verteilung hoher Posten übergangen. Sollte Piggate eine Erfindung sein, müsste man Ashcroft zu der brillanten Racheidee beglückwünschen. Denn die Geschichte ist so bizarr, dass sie im Gedächtnis haften bleibt. Es wird interessant sein zu beobachten, ob die Kollegen beim nächsten EU-Gipfel ihre Mimik kontrollieren können, und noch in Jahrzehnten wird Cameron immer das Gefühl haben, dass man hinter seinem Rücken grinst und sich »oink, oink« zugrunzt.
Ein wenig Schadenfreude sollte dem Bürger in diesen düsteren Zeiten gegönnt werden. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich das politische Establishment überwiegend aus einer exklusiven Kaste der Oberschicht rekrutiert und das auch mehr oder weniger offen zugibt. Denn nur so kann sich die Legende halten, in den angesagten Studentenverbindungen passierten Dinge, die Elagabal vor Neid erblassen ließen. Der Wahrheit entspricht das wohl nicht, so wird von den Partys berichtet, sie unterschieden sich vor allem dadurch von gewöhn­lichen Techno-Events, dass die Dealer mehr Geld für die Drogen nehmen. Zweifellos aber huldigt diese »Elite« dem Standesdünkel, dass es erniedrigende Aufnahmerituale gibt, ist daher wahrscheinlich. Das ist der beunruhigende Aspekt. Denn falls Cameron es getan hat – bemerkenswerterweise gibt es in Großbritannien niemanden, der dies für ausgeschlossen hält –, dann, wie »American Psycho« Patrick Bateman sagt, »because I want to fit in«: Anpassung an die Standesregeln, Verzicht auf eigenständiges Denken und Handeln, Empathielosigkeit, strikte Abgrenzung nicht nur nach unten, sondern auch gegenüber dem wirklichen Leben im Allgemeinen, verbunden mit einem Hauch von Sadismus, nicht als Spielart der Lust, sondern als Mittel zum Zweck: immer oben bleiben. Auch vermeintlich verruchte Partys sind nur für den Status absolvierte Pflichtübungen, bei denen man sich nicht wirklich amüsiert. Aber das war wohl schon bei Elagabals Orgien so.