German Angst

In meinem Viertel gibt es eine Berufsschule, im Stil der Gründerzeit errichtet, und wie alle Berufsschulen steht sie die meiste Zeit leer. Nur am späten Vormittag sieht man ein versprengtes Grüpplein Berufsschüler davor herumstehen und das tun, was junge Leute zwischen zehn und 30 am liebsten tun: rauchen und dramatisch aussehen. Bei anderen Nachbarn treffen sie damit voll ins Schwarze: »Ich weiß ja nicht, was das für Leute sind. Ich meine, das sind ja keine normalen Schüler. Die hängen hier ja auch nachmittags rum!« So belauschte ich neulich eine modisch gekleidete Dutt-Frau in Richtung ihrer ebenso modernen Begleiter rhabarbern, und der Sinn dieser Bemerkung war klar: Jetzt, wo die Dutt-Frau hier lebt, sollen die Berufsschüler stracks fortgeschafft werden, da sie für ihren Geschmack zu dramatisch aussehen – denn es kann keine Leiter so niedrig sein, dass man sie von oben nicht forttreten möchte. Sie hat es geschafft, verdient so viel Geld, dass sie sich die lächerlich heruntergekommenen Altbauten im Viertel leisten kann, für ein Geld, das ihren Eltern noch einen Bungalow in Hanglage verschafft hätte – von ihrer Paranoia und ihrem Klassenhass aber kann sie sich nicht freikaufen. Sie wird irgendwann vielleicht ebenso verängstigte und paranoide Blagen in die Welt setzen, von jener ungelenken, begriffsstutzigen Art, die die beiden afghanischen Flüchtlingskinder, die meine Freundin betreut, am Spielplatz in praktisch allen Disziplinen toppen – und die hätten wirklich Grund, sich vor der Welt zu fürchten. Die größte Bedrohung für sie ist freilich die deutsche Klassengesellschaft, in der Erziehung nur als permanenter Panikanfall existiert und deren Antirassismus jederzeit an der Schulpforte endet.