Viele Spanier wollen legal Kiffen und organisieren sich in Clubs

Buena Hierba Social Club

Seit einigen Jahren findet in Spanien eine Legalisierung von Marihuana von unten statt. Allein in Barcelona gibt es über 100 gemeinnützige Coffeeshops.

La Rambla – Tummelplatz der Taschendiebe, Bierdosenverkäufer und guiris, wie Touristen abwertend auf Spanisch genannt werden. Ein nicht endender Strom von Menschen bewegt sich zu jeder Tages- und Nachtzeit durch die über einen Kilometer lange Allee. Hier liegt ein unscheinbares Wohn- und Bürohaus, die Eingangshalle im für die alten Häuser der katalanischen Hauptstadt typischen edlen Marmorstil gehalten. Der Por­tier nickt freundlich, wenn man sich auf die lila Tür im Erdgeschoss direkt neben dem Aufzug zubewegt und die Klingel drückt. Die Adresse gab es über eine Facebook-Anfrage. Nachdem der Türsummer betätigt wird, muss man noch durch zwei weitere Türen, bis man im »Dragon Cannabis Club« (DCC) steht.

Barcelona hat viele geheime Ecken, die nur Eingeweihte kennen. Seit einigen Jahren ist eine neue Kategorie geheimer und zugleich heißgeliebter Orte hinzugekommen: Die asociaciones cannábicas. Das sind gemeinnützige Vereine, in denen sich Liebhaber von Marihuana zusammentun, kollektiv um Anbau und Nachschub kümmern und in den dazugehörigen selbstverwalteten Coffeeshops treffen. Im Eingangsbereich des DCC liegt ein herber Grasgeruch in der Luft. Bis der Mitgliedsausweis vorliegt, wird man freundlich, aber zugleich auch etwas argwöhnisch behandelt. Selbst als eingeladener Journalist muss man seinen Ausweis abgeben. Wieder klingelt es. Ein britisches Pärchen tritt durch die erste Tür. »Seid ihr Mitglieder?«, werden sie von den jungen Frau am Schalter sofort gefragt. »Wir wollen zu Caroline«, antworten die beiden etwas unsicher. Caroline ist eines der Codewörter, mit dem sichergestellt wird, dass die Neukunden auf Einladung gekommen sind.
Der DCC gehört zur neuen Generation der spanischen Coffeeshops. Alex, ein muskulöser Venezolaner, der mich durch den Club führt, legt Wert darauf, dass er nicht als Eigentümer, sondern als Gründer des Vereins bezeichnet wird. Die Gesetzesnische, in der sich die spanischen Kiffer eingerichtet haben, baut auf der nicht profitorientierten Vereinsstruktur auf – Eigentümer darf es hier nicht geben. Ursprünglich wollte das auch niemand sein. Als vor acht Jahren in Spanien, insbesondere im Baskenland und in Katalonien, die ersten »Cannabis Social Clubs« aufmachten, waren sie Teil einer sozialen Bewegung, die sich für die Legalisierung stark machte. Jedoch eben nicht mit Demonstrationen und Flugblättern, sondern durch die Propaganda der Tat. Das Prinzip ist einfach: man schließt sich in einem Verein zusammen, rechnet die straffreie Eigenbedarfsmenge auf alle Mitglieder hoch, baut gemeinsam an und trifft sich zum Austausch und Konsum der selbstproduzierten Ware in den Vereinsräumen. »La Maca« im Stadtteil Sants war der erste Do-It-Yourself-Coffeeshop, der 2008 in Barcelona seine Türen öffnete. »Wir sind gemeinnützig, basisdemokratisch organisiert und sehen uns als politisches Projekt«, erklärt José Afuera, der dem katalanischen Dachverband CatFac der Cannabis-Clubs vorsteht.

Politik und Polizei waren anfangs überrascht und überfordert zugleich. Denn juristisch sind die Läden gut abgesichert. Handbücher zur Gründung von Clubs klären darüber auf, was man zu beachten hat, um sich nicht angreifbar zu machen. Es wird genauestens Buch geführt, wer wann wie viel einkauft, und dokumentiert, dass hier niemand Geld verdient. Zugleich wuchs die Zahl der Läden enorm an. Mittlerweile gibt es in Spanien über 1 000 solcher eingetragenen Vereine, alleine in Barcelona sind es weit über hundert. »ABCDA«, einer der größten Clubs Barcelonas, hatte zeitweise etwa 10 000 Mitglieder. Der Club kam 2012 in die Schlagzeilen, da er mit dem kleinen, von der Krise hart getroffenen Dorf Rasquera einen Vertrag geschlossen hatte. Für 1,3 Mil­lionen Euro sollte dort auf sieben Hektar Land eine Riesenplantage entstehen. Ein Gericht annullierte die Abmachung jedoch später.
Der neue Markt beschränkt sich aber längst nicht mehr auf die selbstverwalteten Clubs, zu denen man als Tourist kaum Zugang bekommt. »Hey, you need hash, weed?«, fragt ein alternativ aussehender Italiener mit einem Skateboard unter dem Arm. Er entspricht nicht dem gängigen Klischee der Drogenverkäufer der Innenstadt. Manolo führt durch kleine Straßen, einmal quer durch die Innenstadt, vorbei am schönen Parc de la Ciutadella. Am Laden angekommen sind es diesmal nur zwei Türen, bereits nach der ersten kann man durch den Cannabisqualm die Hand kaum noch vor den Augen sehen. Die junge Spanierin am Eintrittsschalter zündet sich gerade einen enormen Joint an. Durch die zweite Tür wummert der Bass, die Stimmung im Laden ist kühl, ganz im Gegensatz zur gediegenen Lounge-Atmosphäre des DCC. Die Auswahl an Marihuana-Produkten ist groß. Das Angebot bietet alles von bekannten Standardgrassorten bis hin zu 85prozentigem Haschischöl für 80 Euro pro Gramm. Wer bisher nur holländische Coffeeshops von innen gesehen hat, entdeckt hier eine neue Welt. Während vor zehn Jahren marokkanisches Haschisch der Standard unter spanischen Konsumenten war, gibt es mittlerweile eine riesige Auswahl extrem potenter Graszüchtungen Marke ­Eigenanbau, die sogar gegeneinander in Wettbewerb treten. Der Grund für diese Vielfalt liegt darin, dass der Grasanbau in Spanien mittlerweile schon seit einigen Jahren für viele nicht nur ein Hobby ist, sondern einen bezahlten Vollzeitjob im Auftrag der Clubs darstellt. Schätzungen gehen von 165 000 Mitgliedern und einem monatlichen Umsatz von fünf Millionen Euro alleine in Katalonien aus. Der Laden mit seinen Promotern auf der Straße gehört dabei zu den schwarzen Schafen in diesem boomenden Business. Er hat keine Lizenz, wie selbst die Thekenkräfte bereitwillig zugeben, und ist darauf ausgerichtet, möglichst schnell möglichst viel Geld zu machen. Selbst wenn er nach einem halben Jahr schließen muss, hat es sich gelohnt. Schließlich wird durch den Mitgliedsbeitrag von 20 Euro an den Wochenendtouristen doppelt verdient – gerade wird Mitglied Nummer 6 141 registriert. Die mafiösen Strukturen, die zuvor auf der Straße ihr Geschäft machten, sind offenbar auf den Zug der Kifferclubs aufgesprungen.

Für José von der CatFac haben diese Clubs wenig mit ihrer politischen Idee der Legalisierung von unten zu tun. »Aber sie sind eben auch einfach ein Abbild der Realität«, fügt er hinzu. Und er könne verstehen, dass sich nicht jeder politisch engagieren möchte, nur weil er gerne mal einen Feierabendjoint raucht. Jedoch sind es vor allem diese Shops, die Barcelona den neuen Titel »Amsterdam des Südens« eingebracht haben. Ein Image, dass von der Stadtverwaltung bekämpft wird. Nach einer großen Polizeiaktion im vergangenen Jahr unter dem Namen »Operation Sativa« waren von 161 registrierten Clubs kurze Zeit nur noch fünf übrig. Die Repression traf dabei zuerst die alten Clubs aus der Legalisierungsbewegung. Gegen La Maca wurde bereits zehn Mal Anklage erhoben, mehrere Verfahren stehen noch aus. Derweil läuft der Laden weiter und man hat den Einruck, für jeden geschlossenen Club entstehen zwei neue.
Die Cannabis-Clubs haben innerhalb kurzer Zeit Tatsachen geschaffen, denen sich die Politik kaum entziehen kann. Verhandlungen mit den Parteien laufen zwar schleppend, erzählt José, aber sie laufen. Die Wahl der progressiven Ada Colau zur Bürgermeisterin Barcelonas hat zudem neue Hoffnung auf eine baldige Regulierung des Modells geweckt. José sieht die Clubs als Antwort auf die gescheiterte Drogenpolitik und spricht von »Empowerment« der Konsumenten. Und er blickt über Barcelona hinaus. »Wir wollen das Modell auch in andere Länder übertragen, es ist überall anwendbar«, betont er enthusiastisch. In der Schweiz wird bereits eine Übernahme des spanischen Modells geprüft, und auch in der Berliner Diskussion über die Einrichtung von Verkaufsstellen zur Bekämpfung des Schwarzmarktes im Görlitzer Park in Kreuzberg hat man sich daran orientiert. Vorerst ohne Erfolg, vergangene Woche verwarfen die Behörden die Kreuzberger Idee als Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. So werden die Konsumenten auch weiterhin in den Görli pilgern – oder nach Barcelona fliegen.