Cortado

Catalanischer Hundertwasser. Wo geht es zu den Kunstwerken Antoni Gaudís? Eine Frage, die nicht gestellt wurde. Zu den Eigenheiten einer Redaktionsreise der Jungle World zählt nicht zuletzt, dass die üblichen Sehenswürdigkeiten instinktiv gemieden werden. Bevor man erfuhr, wo ungefähr diese Sagrada Dingsbums liegt und mit welchem U-Bahnticket man sich am besten durch die Stadt bewegen könnte, fand man sich auch schon auf einem Rundgang wieder und lernte, wo Jean Genet in den dreißiger Jahren frivol über die Tische getanzt war. Dass vor einem Museumsbesuch die Erkundung illegaler Clubs Priorität hat, ist ebenfalls eine Selbstverständlichkeit.

Organisation. »Morgen geht es früh los. Um neun Uhr ist Abfahrt.« Jeden Abend war jemand der felsenfesten Überzeugung, es am kommenden Tag wirklich zu schaffen: Früh aus den Federn, schnell in die Stadt, um dort alle geplanten Recherchen durchzuführen, die immer damit begannen, zu recherchieren, wo genau es sich besonders angenehm online recherchieren ließe. So lief es zumindest, bevor sich bei unseren Freunden vom Café La Base, bei denen wir uns hiermit noch einmal bedanken möchten, ein fester Arbeitsplatz auftat. Immer teilte sich die Gruppe auf: Wer steigt wo ins Auto? Wer läuft mit wem durch die Stadt? Und hat hier jemand eine Idee, wo wir hin müssen? Man sollte das Konzept Schwarmintelligenz gründlich überdenken!

Radio. Sitzt man täglich für drei Stunden im Auto, wird das Radio wichtig. Mobiltelefone werden angeschlossen, Routen dem Fahrer eingeflüstert und nebenbei lernt man die musikalischen Vorlieben der Kollegen kennen: K.I.Z., Moloko, KLF. Und als gar ein Song des unsäglichen Judgment-Night-Soundtracks erklang, dachte sich so mancher: Verflucht, sind wir alt. Man hätte die Playlists vor der Reise wirklich mal aktualisieren können. »Smells Like Teen Spirit« hatte allerdings niemand dabei. Hat voll gefehlt.

Teint. Am dritten Tag wurde das Wetter besser. Wer konnte, ging runter zum Strand. Doch so richtig half es nicht, viele Redakteurinnen und Redakteure ließen sich weiterhin als guiris identifizieren. Bei einigen schien die Haut sogar trotz der Verlängerung des Sommers immer blasser zu werden. Lag es an der giftgrünen Säure, die am Strand serviert wurde und die man Caipirinha nannte? Waren die Nächte schuld, die für die Partyabteilung der Redaktion ebenso ruhelos waren wie für die Zuhauseschläfer – weil sie im Schlafsaal dicht an dicht lagen und Ohrenstöpsel knapp wurden? So mancher wurde auch tatsächlich vom berühmten spanischen Spinnenläufer um den Schlaf gebracht.

Anarchisten. »Irgendwo hier muss er doch liegen. Vielleicht im Nebengang?« Während die Kollegen verzweifelt über den Cementiri de Montjuïc taperten, um die letzte Ruhestätte Buenaventura Durrutis aufzuspüren, begegnete ihnen der Friedhofswärter und schmiss sie raus. Wegen der Öffnungszeiten. Nicht ganz leicht, den Anarchismus in Spanien am Leben zu halten! Einen Hauch von Freiheit gönnte sich mindestens einer der Reisenden trotzdem: Auf den Hinweis, dass er die Deadline seines Artikels überschritten habe und was nun damit sei, antwortete er: »Sorry, ich musste mich erst einmal darum kümmern, dass meine Tanzschuhe ins Taxi geschmissen werden und zu mir kommen.« First things first!

Duschen. Als ein Rudel spanischer Schlankkatzen der Redaktion weiter auf den Pelz rückte, selbst noch das Wasser und damit die Möglichkeit zu duschen ausfiel, wodurch das Fliegenproblem in unserem Haus sich nur weiter verschlimmerte, wurde einigen eine schwierige Prüfung auferlegt. Konnte man es für ein oder zwei Nächte aushalten, die lauen Sommernächte in Barcelona zu verbringen? Nur im T-Shirt bekleidet auf einem der zahlreichen schummrigen Plazas? Glücklicherweise konnten die Kollegen bald zurück in die Berge kommen. Dort war es immer angenehm kühl und einer konnte sogar den Kamin anheizen.

Orientierung. Eigentlich ging ständig jemand verloren. Nur um einen der Kollegen, der tagsüber allein in unserem Haus geblieben war, machte man sich wirklich Sorgen. Wo konnte er nur sein? In der Zwischenzeit war es stockfinster geworden. War er beim Nachjustieren der Satellitenschüssel vom Dach gestürzt und lag nun ohnmächtig im Gebüsch? War er beim Klettern abgerutscht, weil er zu den wenigen zählte, die sich keine neuen Superturnschuhe in Barcelona zugelegt hatten? Spätabends dann kam er zurück. Er hatte sich verschätzt, »ein bisschen zumindest«, die Nacht hatte ihn auf seiner Wanderung überrascht. Aber er hatte sein Handy dabei. Nicht um zu telefonieren, nein, das war zwischen den Bergen nicht möglich. Es war die eingebaute Taschenlampe, die ihm das Leben rettete. Naja, zumindest den Abend.