Spanische Neonazis und Islamisten machen gemeinsame Sache

Gemeinsamer Nenner Judenhass

Die größte bisher in Spanien von der Polizei aufgelöste islamistische Zelle ­kooperierte mit einem bekannten Neonazi.

Jeden Monat findet in Spanien gegen mindestens eine jihadistische Gruppe eine Razzia statt. 48 Islamisten wurden in diesem Jahr bislang von Polizeieinheiten oder der paramilitärischen Guardia Civil im Land verhaftet, weitere 19 aufgrund von deren Hinweisen außerhalb Spaniens auf dem Weg zum Islamischen Staat (IS). Ob bedingt durch die moderne multimediale Präsenz des islamis­tischen Terrors, die ihm zugrundeliegende autoritäre Ideologie oder die Brutalität bei der Vernichtung von Gegnern – die jihadistischen Gruppen haben Zulauf. Die Polizei hat dabei längst nicht Kenntnis von allen Gotteskriegern. Mitte September fiel etwa einer privaten Sicherheits­beratungsfirma im Internet ein Video auf, in dem ein spanischer Staatsbürger mit dem Kampfnamen Abu al-Nur al-Andalusi dazu bekannte, sich in Mali als Jihadist an einem Angriff auf einen Konvoi der Uno teilgenommen zu haben.
»Bewegt euch zu einem der Orte, an denen der Heilige Krieg geführt wird«, forderte er in seiner Botschaft die Muslime in Spanien auf, insbesondere in der nordafrikanischen Exklave Melilla: »Kommt zum Kämpfen, ergreift die Waffen!« Die spanische Polizei wusste bis dahin nichts von nach Mali ausgereisten Kämpfern.
»Es überrascht mich, dass hier noch nichts passiert ist«, sagt Najat Driouech. Die Sozialarbeiterin in El Masnou in Katalonien berät Familien, aus denen Jugendliche sich dem Islamischen Staat angeschlossen haben: »Ich habe Fotos von toten Jihadisten gesehen, die vorher hier gelebt haben.«

40 Prozent der Ermittlungsverfahren am Sondergerichtshof Audiencia Nacional richten sich mittlerweile gegen islamistischen Terrorismus. Ein Paradigmenwechsel, bekämpfte die 1977 eingerichteten Institution doch jahrzehntelang vor allem separatistische und linke Guerillaorganisationen wie die Eta oder die Autonomen Antikapitalistischen Kommandos. 312 Ermittlungsverfahren gegen islamistische Terroristen eröffnete die Staatsanwaltschaft der Audiencia Nacional allein im Jahr 2014. In dem im September veröffentlichten Jahresbericht wird festgestellt: »2014 hat sich die Zahl der Ermittlungen wegen jihadistischen Terrorismus gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.«
Die bisher zahlenmäßig größte und gefährlichste bekanntgewordene Islamistengruppe ließen die Mossos d’Esquadra, die katalanische Polizei, am 8. April auffliegen. Elf Wohnungen und fünf Betriebe wurden durchsucht, elf Verdächtige verhaftet. Die »Islamische Bruderschaft zur Lobpreisung des Jihad« hatte sich wie andere Gruppen und Einzelpersonen der Rekrutierung von Kämpfern für den IS gewidmet. Bereits im Dezember wurden drei von der Bruderschaft entsandte Kämpfer auf dem Weg nach Syrien in Bulgarien verhaftet. Darüber hinaus planten die Islamisten laut Haftbefehl Anschläge, Entführungen und Morde in Spanien.
Einer der elf Verhafteten war Diego José Frías Álvarez, ein bekannter Neonazi. Eine »Person, die fähig ist, Waffen und Explosivstoffe zu besorgen«, und damit die »Islamische Bruderschaft zur Lobpreisung des Jihad« auszustatten, so der Haftbefehl. Der seit Jahrzehnten aktive Neonazi Frías behauptet zwar, den Anführer der »Islamischen Bruderschaft zur Lobpreisung des Jihad«, Antonio Sáez Martínez, nur zufällig zu kennen – der Besitzer eines Friseursalons habe sich nur um Frías’ Kurzhaarfrisur gekümmert. Sáez, der sich Ali nennt, seit er 2012 zum Islam konvertierte und innerhalb eines halben Jahres zum Salafisten wurde, hatte mit dem Neonazi aber noch mehr Gesprächsthemen. In seinem Tagebuch notierte Sáez bereits sechs Monate nach seiner Konver­sion zum Islam im Oktober 2012: »Ich bin vom weltweiten Jihad gegen die Kreuzritter und die Juden buchstäblich aufgesogen.«
Laut des vom Ermittlungsrichter Santiago Pedraz-Gómez ergangenen, dem Autor vorliegenden Haftbefehls notierte Sáez in seinem Koranexem­plar eine Definition für Jihad: »Die Mujahedin auf der einen Seite gegen die jüdisch-gekreuzte Koalition und die Regime an der Macht auf der anderen Seite. Wir müssen ohne Rücksicht auf die Feinde handeln und ihnen mit extremer Gewalt begegnen, um sie zu terrorisieren.« Sáez verfasst auch Traktate der »Islamischen Bruderschaft zur Lobpreisung des Jihad«. Neben einer Anleitung zum Herstellen von hausgemachtem Sprengstoff sind das theoretische Texte, in denen es etwa heißt: »Das westliche Denken ist eine Form geistigen Kolonialismus.« Kapitalismus bezeichnet er als einer natürlichen, islamischen Gemeinschaft entgegengesetzt.

Antisemitismus ist hieran genauso anschluss­fähig wie an die Feindbilder Parteienfilz und Oligarchengemauschel. Diese finden sich aber nicht in islamistischen Besinnungsaufsätzen, sondern im Programm des nationalrevolutionär auftretenden »Movimiento Social Republicano« (Republikanische Soziale Bewegung, MSR). Spitzenkandidat der rechtsextremen Partei bei den Wahlen zum katalanischen Regionalparlament 2006 war Diego José Frías Álvarez. Sie erhielt 0,04 Prozent der abgegebenen Stimmen. Bevor Frías Mitglied des MSR wurde, war er in der Neonazipartei »España 2000« aktiv. 2011 war er Kandidat der in einigen Stadträten vertretenen rassistischen »Plataforma per Catalunya« (Plattform für Katalonien, PxC) bei den Kommunalwahlen in Canovelles.
Der Neonazi Frías war nicht nur Parteikpolitiker, sondern auch im Umfeld des »Movimiento Patriótico Catalán« (Katalanische Patriotische Bewegung, MPC) aktiv. Der MPC zündete in Sants 2001 während eines Konzertes von Fermín Muguruza für die Rechte der Gefangenen der Eta eine Bombe. Die rechtsextreme Organisation ging aus der paramilitärischen Gruppe Milícia Catalana hervor, die bis in die neunziger Jahre Attentate auf Büros separatistischer Parteien, gynäkologische Kliniken und Schwulensaunas verübte.
Im Rahmen der Razzia gegen die »Islamische Bruderschaft zur Lobpreisung des Jihad« wurde auch die Wohnung von Frías durchsucht. Neben dem obligatorischen Buch »Mein Kampf« und Bildern von Wehrmachtssoldaten wurden zahlreiche Waffen beschlagnahmt, so eine Handgranate aus Armeebeständen, Schrotgewehre, eine Pistole, Munition, 13 Kampfmesser und eine Machete. Letztere passt gut zum Logo der »Islamischen Bruderschaft zur Lobpreisung des Jihad«, in dem eine Machete ein Sturmgewehr kreuzt. Dieses Logo sollte bei der geplanten Entführung der Leiterin einer Bankfiliale zwecks Geldbeschaffung zum Einsatz kommen. Auf ihren Treffen planten die Salafisten aber auch, dem Islamischen Staat in seiner ganzen Brutalität zu folgen. Nachdem sie sich mit zahlreichen Videos von Enthauptungen stimuliert hatten, beschlossen sie, selbst eine durchzuführen – in Barcelona, um den Jihad nach Spanien zu bringen, so wie es die Bombenleger vom 11. März 2004 bereits getan hatten, die eine weitere wichtige Referenz für die Gruppe darstellen. Ein Ungläubiger sollte entführt und gezwungen werden, einen orangefarbenen Overall überzuziehen. Dann sollte er in der Öffentlichkeit auf einer Straße enthauptet und ein Video hiervon ins Internet gestellt werden.

Bei den Treffen von Frías und Sáez ging es laut Haftbefehl nicht nur um Waffenbeschaffung. Frías scheint sich auch als Berater für die Auswahl von Anschlagszielen betätigt zu haben. Er fiel offenbar vor allem durch seinen Hass gegen Juden auf, der wohl auch sein Hauptmotiv für die Kooperation mit Sáez und dessen Gruppe war. Auf Versammlungen der »Islamischen Bruderschaft zur Lobpreisung des Jihad« waren zudem neben Po­lizeirevieren und dem Parlament wohl bereits mehrmals jüdische Einrichtungen, Synagogen oder Läden als Angriffsziele im Gespräch. Der Islamist Sáez soll dem Neonazi Frías versprochen haben, die jüdische Buchhandlung La Pedra in Barcelona in die Luft zu sprengen. Bei seiner Verhaftung hatte Sáez in seiner Wohnung bereits 25 Säcke mit Schwefel und Kaliumnitrat – Chemikalien zur Sprengstoffherstellung.
Während die Verhaftung von Islamisten in Spanien mittlerweile Nachrichtenalltag ist, erregte die »Islamische Bruderschaft zur Lobpreisung des Jihad« besondere Aufmerksamkeit, weil die Pläne der Gruppe detailliert enthüllt wurden und die Zusammenarbeit einer Islamistengruppe mit einem Neonazi eine Besonderheit ist. Der beiderseitige Antisemitismus ist durch zahlreiche abgehörte Telefonate und durch einen Polizisten dokumentiert, der ein halbes Jahr lang als Spitzel in der Bruderschaft Mitglied war. Um Frías zu verurteilen, wird dies aber wohl nicht ausreichen. Als einziger der sieben im April in Untersuchungshaft Gesteckten wurde er im August gegen Hinterlegung einer Kaution von 3 000 Euro freigelassen. In der Tageszeitung El Mundo bekam er Platz für seine Selbstdarstellung als verfolgter Unschuldiger: Es lägen keine Beweise gegen ihn vor, die Waffen seien nur Liebhaber- und Sammlerstücke, »Mein Kampf« nur ein Buch unter vielen und er selbst in keiner einzigen rechtsextremen Organisation aktiv gewesen. Und Ali Sáez habe er nur zum Haareschneiden getroffen. Zum Vorwurf des Antisemitismus hat er sich nicht erklärt, seinen Judenhass also nicht bestritten.