Espanyol – die weltoffene Alternative

Kosmopolitismus auf den Rängen

Nicht-Katalanen, die in Barcelona zum Fußball gehen wollen, sei der RCD ­Espanyol wärmstens empfohlen.
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In Barcelona gibt es zwei große, traditionsreiche Erstliga-Vereine: Der eine ist ein globaler Großclub mit allen Insignien des späten Spätkapitalismus, der also das Streben nach Hypereffektivität mit Traditionspflege aus zweiter Hand kombiniert, der, kurz gesagt, die sattsam bekannte »Mia-san-mia«-Mentalität auf katalanisch verkörpert. Der andere, nun ja, der geht schon mal fast pleite, hat sich bereits in der zweiten Liga wiedergefunden und die beiden europäischen Endspiele, die er erreicht hat, jeweils unglücklich und für die Fans traumatisch verloren; er ist also ein typischer Vertreter jener Vereine, die mit der schönen neuen Sky-Uefa-Realität von heute – wenn überhaupt – nur noch hechelnd Schritt halten können und eigentlich wissen, dass sie schon allein die Möglichkeit des Gewinns einer nationalen Meisterschaft – sei es die spanische oder die katalanische – für die nächsten Jahrhunderte abschreiben können. Die Rede ist einerseits vom strahlenden FC Barcelona, dem Zentrum des katalanischen Nationalstolzes und Heimatverein Pep Guardiolas, des prominentesten Separatisten-Fürsprechers und fleischgewordenen Projektleiters. Und andererseits vom RCD Espanyol Barcelona, einem der ältesten Fußballclubs Spaniens, in dessen Chronik gerade einmal vier nationale Pokalsiege verzeichnet sind. Trotz des in Katalonien mittlerweile fast schon provokant anmutenden Vereinsnamens »Espanyol« und auch trotz aller anderern Zutaten für eine erbitterte Lokalrivalität, wie man sie aus München, Hamburg oder Manchester kennt, gibt es eine solche erbitterte Feindschaft in Barcelona nicht. Dafür ist Espanyol einfach zu irrelevant und eben auch nicht so verwachsen mit dem katalanischen Nationalstolz, für den die von Generation zu Generation vererbte Mitgliedschaft beim FCB steht und der die dazugehörige Dauerkarte für Camp Nou als vorläufigen Personalausweis des zukünftigen unabhängigen Kataloniens betrachtet.
Gerade das macht Espanyol und seine Zuschauer, die meistenteils aus den umliegenden Trabantenstädten Barcelonas stammen, so sympathisch, vor allem, wenn man als Nicht-Katalane in der Stadt zu weilen gezwungen ist. Denn Espanyol bietet Fußball, wie er mittlerweile schon fast zur nostalgischen Erinnerung geworden ist: Gerade in den Jahren nach 1997, nachdem Espanyol sein angestammtes Vereinsgelände samt Stadion veräußern musste, um die Liquidation des Vereins zu verhindern, und man deswegen im städtischen Olympiastadion spielte, war es so, wie Fußball eigentlich sein sollte. Man überlegte sich am Abend vorher, dass man Lust auf einen Kick verspürt, taperte eine halbe Stunde vor Anstoß zum Stadion, kaufte sich ein Ticket ohne Schwarzmarkt-Hysterie und bekam in der Pause günstiges Bier am ranzigen Tresen – blieb also verschont von Glam-Hype und Shopping-Mall-Atmosphäre, wie sie in Camp Nou herrschten. Und nicht zuletzt traf man dort auch andere Ausländer, gerne und häufig Briten, die dieselben Vorzüge Espanyols, die den Verein grundlegendend vom FC Barcelona unterscheiden, ebenfalls zu schätzen wussten. Auf den Rängen jedenfalls war Espanyol immer schon kosmopolitischer als der weltberühmte Nachbarklub, wenn auch auf dem Rasen eher Spanier als Holländer am Werk waren – aber Nicht-Katalanen gelten vielen in Barcelona ja ohnehin als Ausländer – ob sie nun aus Amsterdam oder Alicante kommen, spielt dabei keine große Rolle.
Ob es so leger und weltoffen auch heute noch bei Espanyol zugeht, weiß ich nicht, denn ich bin noch nicht im neuen, vereinseigenen Stadion Cornellà-El Prat gewesen, das der Verein 2009 bezog. Was die spanische Vergangenheit angeht, trifft der Vorwurf des Franquismus den Club sicherlich, denn es ist nicht zu leugnen, dass Espanyol in den Franco-Jahren der Club war, den gerade die unteren Ränge des Beamten- und Polizeiapparates favorisierten. Der Caudillo selbst aber – und das wird gern vergessen – favorisierte den FCB und versah ihn mit seiner Gunst. Dazu kommt noch, dass der franquistische Apparat als Aufstiegschance für die in der Stadt traditionellerweise wenig repräsentierten suburbanen Schichten fungierte; wie viele tatsächlich überzeugte Faschisten sich damals unter den öffentlich Bediensteten im alten Espaynol-Stadion Estadi di Sarrià befanden, bleibt offen. Nach dem, was man so hört, soll sich aber auch Espanyol in den letzten Jahren dem Sog des Separatismus nicht mehr in dem Maße entzogen haben wie früher. Wie dem auch sei: Im Olympiastadion bei Espanyol zeigte Barcelona seine mit Abstand gastfreundlichste und weltoffenste Seite – das lobend herauszuheben, war mein Anliegen.