Die Reaktion der türkischen Regierung auf die Anschläge von Ankara

Morden lassen

Nach dem Anschlag in Ankara bekämpft die türkische Regierung weiterhin vor allem ihre kurdischen Gegner.

Regierung und Präsident brauchten nach dem schwersten Terroranschlag in der Geschichte der Türkei nicht lange, um wieder in den Angriffsmodus zu schalten – und zwar gegen die Opfer: Schuld seien diejenigen, die den Terror nicht insgesamt verurteilen. Und schon sprach Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu nur noch von den Soldaten, Polizisten und Dorfschützern, die im Kampf gegen die PKK gefallen sind.
Die härteren Angriffe überließ die Regierung der zweiten Reihe. Der AKP-Abgeordnete Aydın Ünal warf in einem Tweet den Oppositionsparteien und oppositionellen Medien vor, sich wie »Vampire« auf das Attentat zu stürzen, um es auszuschlachten. Bei dem Selbstmordanschlag während einer regierungskritischen Demonstration in der türkischen Hauptstadt am Samstag wurden fast 100 Menschen ge­tötet und Hunderte verletzt. »Aber dieses Blut wird euch ertränken«, prophezeite Ünal, der zugleich einer von Recep Tayyip Erdoğans Redenschreibern ist. In der Tageszeitung Sabah, die sich im Besitz der Familie eines Schwiegersohnes von Erdoğan befindet, behauptete ein kurdischer Politiker, der gerade in der AKP Karriere macht, die kurdische HDP habe bereits früher Anschläge auf ihre eigenen Anhänger verübt, um sich als Opfer darzustellen und dadurch Stimmen zu gewinnen. Warum er mit diesem Wissen nicht längst zur Polizei gegangen ist, blieb sein Geheimnis.
Als sich der Verdacht immer mehr Richtung Islamischer Staat (IS) verdichtete, äußerte die Europaministerin Beril Dedeoğlu den genialen Einfall, dass es eine Zusammenarbeit zwischen dem IS und der PKK geben könnte. ­Regierungssprecher Numan Kurtulmuş meinte nur vielsagend, manchmal spielten sich Terrororganisationen die Bälle auch zu.
In dieser aggressiven Stimmung war es den Vertretern der Regierung unmöglich, Betroffenheit zu zeigen. Es gab drei Tage Staatstrauer ohne Trauer. Die Botschafter der EU-Staaten besuchten den Ort des Geschehens und legten als türkisches Trauersymbol Nelken nieder. Kein Vertreter der Regierung schaffte es zu kommen. Der Justizminister beantwortete die Frage nach seinem Rücktritt mit einem Lächeln. Der Innenminister antwortete, dass er nicht glaube, es gebe ein Sicherheitsproblem. Ansonsten handelt die Regierung nach der Devise »Aus den Augen, aus dem Sinn«. Sofort wurden Fernsehaufnahmen vom Tatort verboten. Die Untersuchungsakten wurden zur Geheimsache erklärt, die Anwälte der Opfer haben so gut wie keine Akteneinsicht.
So absurd dies alles ist, entspricht es doch genau der Politik Erdoğans und Davutoğlus. Den Morden, die der IS an Oppositionellen begeht – in Diyarbakır vier Tote, in Suruç 34 Tote und nun in Ankara 97 Tote –, sieht man einfach zu und greift dafür die PKK an. Übrigens ein Gegner, mit dem man noch vor kurzem verhandelt hat und wieder verhandeln will.
Aus kurdischer Sicht ist das nichts anderes als eine Verlängerung der antikurdischen Politik, die die Regierung auch in Syrien verfolgt. Man lässt den IS gewähren, unterstützt ihn sogar und erklärt die kurdischen Milizen zu Terroristen. Das kurdische Gebiet wird blockiert, während es eine entsprechende Blockade gegen den IS nie gegeben hat. Die Frontstellungen sind so absurd geworden, dass die Regierung Gefahr läuft, sich bei jeder Panne zu verheddern. So musste Davutoğlu zugeben, dass es eine Liste von möglichen Selbstmordattentätern gibt, sagte aber zugleich, dass man rechtlich vor einem Anschlag nichts gegen Verdächtige machen könne. Dies in einem Land, in dem der Chefredakteur einer Zeitung in Untersuchungshaft sitzt, weil er in einem Tweet den Präsidenten beleidigt haben soll.