Russland kämpft für das syrische Regime

Die Russen kommen

Während der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier versucht, den Konflikt in Syrien mittels Dialog zu lösen, weiten die russischen Streitkräfte ihre ­Angriffe aus und ebnen iranischen Truppen und der Hizbollah den Weg.

Es hat mittlerweile eine dadaistische Komponente, wenn Frank-Walter Steinmeier versucht, Nahostpolitik zu machen. Der Besuch des deutschen Außenministers in Teheran fand im Zusammenhang mit einem dortigen »Core Group Meeting« der Münchner Sicherheitskonferenz statt, das die Hilflosigkeit der Vermittlungsversuche deutscher Sicherheits- und Außenpolitik noch unterstrich: Auf Steinmeiers Appell an den Iran, »dafür zu sorgen, dass wir erste Schritte zur Deeskalation in Syrien gehen«, konnte der iranische Außenminister Mohammed Javad Zarif freundlich und unverbindlich antworten, der Iran wolle »freundschaftliche Beziehungen zu all seinen Nachbarn« und eine »konstruktive Rolle« bei der Lösung von regionalen Konflikten spielen.
Steinmeier mit seiner so unermüdlichen wie inhaltslosen Einladung zum Dialog – darauf ist das diplomatische Repertoire des deutschen Außenministers beschränkt – trifft im Nahen Osten auf Akteure, die noch über andere, wenn auch ziemlich unangenehme Techniken verfügen, Politik zu betreiben. So fiel der Besuch Steinmeiers mit dem Beginn einer weiteren Militäroffensive der Assad-Unterstützer Russland und Iran zusammen, diesmal bei Aleppo. Hier sollen nach Schätzungen des Pentagon um die 2 000 iranische Kämpfer massiert worden sein, um diesmal direkt mit ins Gefecht zu ziehen. Unter Deeskalation stellt sich vermutlich selbst Steinmeier etwas anderes vor. Die UN jedenfalls schätzten zu Beginn der vergangenen Woche, dieser Angriff habe bereits 35 000 Personen zur Flucht aus Aleppo gezwungen, andere Beobachter sprachen von einer bis zu zehnfachen Anzahl, aber der Angriff auf die Rebellengebiete steht ja auch erst am Anfang.

Während Steinmeier also wie sonambul bei seinen iranischen Gastgebern warb, sie sollten doch für ein Verbot für den Einsatz von Fassbomben durch sie syrische Luftwaffe eintreten, weiteten die russischen Streitkräfte ihre Luftangriffe in Syrien aus, um den iranischen Bodentruppen und den Kämpfern der Hizbollah den Weg zu ebnen. Dass der Einsatz von Streubomben oder die gezielten Angriffe auf medizinische Einrichtungen, die die Piloten Assads bisher nicht zu treffen vermochten, keinerlei Reaktion im Westen hervorriefen, verwundert nicht mehr. Die russischen Luftangriffe begleiten eine große Offensive an mittlerweile fünf Frontabschnitten, wobei die Truppen, die für Assads Überleben kämpfen, nur noch zu einem Teil aus Syrern bestehen. Neben den russischen Piloten und Militärberatern sind Iraner und Kämpfer der Hizbollah sowie vom Iran angeworbene schiitische Söldner aus Afghanistan und Pakistan involviert. Auch die irakisch-schiitische Miliz Kataib Hizbollah verlautbarte stolz ihre tausendfache Präsenz im Norden Syriens. Die Meldung, dass Kubaner in den neuen von Russland an Assad gelieferten Panzern säßen, ist allerdings von der kubanischen Regierung dementiert worden – es würde aber zu der immer konfuseren Situation im Nahen Osten durchaus passen.

So ist auch die offene russische Militärintervention ein hochriskantes Unternehmen und der desolaten Lage des Assad-Regimes geschuldet. Der übergangslose Wechsel von den ständigen Rückzügen der Regimetruppen im Frühjahr und Sommer dieses Jahres zu der gegenwärtigen Groß­offensive ist nur dadurch ermöglicht worden, dass der Iran und seine Hilfstruppen die Bodentruppen für die russischen Luftangriffe stellen. Diese Kraftanstrengung muss für das Regime unbedingt Erfolge zeitigen – falls auch Wladimir Putins Luftwaffe und die iranischen Revolutionsgardisten keine militärische Wende bringen, droht der moralische Zusammenbruch der Truppen Assads. Die Unverfrorenheit von Putins Vorgehen unterstreicht dabei auch die Dringlichkeit des russischen Eingreifens. Nicht einmal aus Höflichkeit dem düpierten Westen gegenüber wurden zu Beginn der russischen Intervention ein paar Stellungen des »Islamischen Staates« (IS) angegriffen, sondern ausschließlich gegen Assad kämpfende Rebellengruppen und hier schwerpunktmäßig die gemäßigten Islamisten sowie die Reste der Freien Syrien Armee. Das russische Eingreifen führte sogar zu Geländegewinnen des IS bei Aleppo. Michael Weiss, der Koautor des Standardwerks »ISIS: Inside the Army of Terror« (siehe Jungle World 27/2015), sprach von Putins Fliegern als einer Luftwaffe des Kalifats. Das erscheint kaum übertrieben, zumal die Jihadisten den vorrückenden Truppen Assads ihre von den Rebellen eroberten Gebiete bisher überraschend kampflos überlassen haben. Soweit es sich derzeit beurteilen lässt, sind die Erfolge der Offensive im Zeichen der russischen Bomber ansonsten nur sehr begrenzt. Innerhalb von zehn Tagen wurden sechs hochrangige Kommandeure der iranischen Revolutionsgarden und der Hizbollah getötet, darunter auch die beiden Oberkommandierenden der Interventionstruppen.
Die Syrien-Politik des US-Präsidenten Barack Obama hat sich angesichts dieser Entwicklungen noch weiter verwirrt, eine kohärente Strategie ist auf Seiten der Amerikaner längst nicht mehr auszumachen. Symbolisch erscheint der Umstand, dass sich nun zum ersten Mal seit 2007 kein amerikanischer Flugzeugträger mehr im Persischen Golf befindet. Der bereits im August angekündigte Abzug des Schiffes aus Wartungsgründen fiel mit dem Beginn der russischen Intervention zusammen. Zugleich mussten die USA das völlige Scheitern eines 500-Milllionen-Dollar-Programms zur Ausbildung von syrischen Kämpfern gegen den »Islamischen Staat« eingestehen. De facto arbeiten die USA längst mit einer ganz anderen Bodentruppe zusammen – dem PKK-Ableger PYD, was nicht nur deutsche Antiimperialisten irritieren dürfte, sondern auch zu Unmut bei der türkischen Regierung geführt hat, die wiederum im Zeichen ihres angeblichen Kampfes gegen den IS vor allem PKK-Stellungen bombardiert. Wie überhaupt viele Länder mittlerweile mehr oder weniger symbolisch Bomben über Syrien abwerfen – zuletzt schlossen sich die Franzosen der Luftkampagne gegen den IS an, deren Auswirkungen auf die Jihadisten bislang bemerkenswert gering zu sein scheinen. Mit dem Eingreifen Putins ist nun das Risiko einer direkten Konfrontation zwischen westlichen Staaten und Russland gegeben. Zum ersten Mal seit 1945 bewegen sich die jeweiligen Flieger bei einem Kampfeinsatz in einem gemeinsamen Luftraum. Der Abschuss einer vermutlich russischen Drohne durch die türkische Luftwaffe, die provokative Verletzung des türkischen Luftraumes durch russische Jets sowie die demonstrative Ankündigung Großbritanniens, seine über Syrien eingesetzten Tornado-Jets ab sofort mit Luft-Luft-Raketen zu munitionieren, zeigen das Gefahrenpotential, selbst wenn alle Beteiligten peinlich darauf bedacht sein werden, keinen Dritten Weltkrieg auszulösen.

Derweil ist die ganze Region praktisch in Auflösung und Abwicklung begriffen, die syrischen Flüchtlinge in den Anrainerstaaten rüsten sich zum Aufbruch gen Europa, auch in einem bisher stabilen Gebiet wie Irakisch-Kurdistan brechen die Dämme. Die Menschen haben genug, und wer selbst noch nicht Flüchtling ist, kann sich ausrechnen, es in dieser Region sehr bald zu werden. Kürzlich hat die amerikanisch-syrische Aktivistin und Autorin Lina Sergie Attar daran erinnert, wie die Situation wohl aussähe, hätte man Anfang 2012, zu Beginn der Luftangriffe Assads gegen zivile Ziele, als der Konflikt »erst« rund 5 400 Tote gefordert hatte, eine Flugverbotszone eingerichtet. »Eine Lösung für Syrien müsste damit beginnen«, schreibt Attar, »die Zivilisten vor der Gewaltanwendung sowohl durch Herrn Assad wie durch ISIL (den IS, Anm. d. Red.) zu schützen. Keine Maßnahme, die nicht mindestens von diesem Grundprinzip ausgeht, wird den Krieg beenden können.« Auf Steinmeiers rührende Dialogbegeisterung werden die Menschen in der Region ihr Leben jedenfalls nicht verwetten wollen.