Eiskalt ­hinsehen

Die Debatte über die Flüchtlingssituation flaut nicht ab. Wie auch, angesichts der weiterhin katastrophalen Lage in Syrien und anderswo. Stellvertretend für das wieder einmal in Beschlag genommene »einfache Volk« hat sich Horst Seehofer nun endlich und aufopferungsvoll an die Spitze der »besorgten Bürger« gestellt. Auf der anderen Seite stehen zahlreiche Helfer und Helferinnen, die sich abmühen, dem oft besungenen Abschied des braunen Deutschlands alle Ehre zu erweisen, und die »es« schaffen wollen. Was immer »es« auch bedeuten mag. Keine Flüchtlingsheime anzünden vielleicht?
Inmitten dieser Debatte nun lugt die Kanzlerin mit einem Interview bei Anne Will hervor. Live-Interview. Nur sie. Bei Anne Will. Hat sie das schon einmal gemacht? Also außer wenn es um Wahlkämpfe ging? Nein. Aber die Sache mit den Flüchtlingen und ihrem Bekenntnis ist ihr so wichtig, dass sie sich in eine Situation begibt, die für sie eigentlich gefährlich ist. Im Fernsehen kann sie ihre übliche Technik, jedem das zu sagen, was er hören will, schwer dem Kontext anpassen, denn der Kontext ist Deutschland. Alle gucken im Moment des großen Fernsehinterviews auf sie. Rausreden ist nicht. Also redet sie, wie sie es halt tut. Etwas unbeholfen, aber mit klarer Linie, etwas verworren, aber mit deutlichen Aussagen. Und Deutschland ist verdutzt. Was? Wie kann das sein? Hat sie eine Haltung? Jubelgesänge eigentlich linksliberaler Dauernörgler und -nörglerinnen laufen über die Sozialen Medien.
Dabei ist es eigentlich ganz einfach. Das Interview bei Anne Will hat deutlich gezeigt, warum Angela Merkel so erfolgreich ist: Sie ist bestimmt, spricht nur, wenn sie wirklich überzeugt ist von dem, was sie zu sagen hat, sie findet Menschen wie Seehofer eigentlich unanständig und nervig und sie hasst irrationale Argumente, solange es nicht um den Kapitalismus geht. Außerdem laviert sie meisterhaft um unangenehme Fragen herum und verkauft ihre Antworten dann auch noch so, als bitte sie darum, die Antwort geben zu dürfen. Und im Zweifel, ja im Zweifel ist sie eiskalt. Da gab es diesen Moment, in dem Anne Will etwas bestimmter wurde, ihr die wohlfeilen Antworten der Kanzlerin nicht mehr genügten, sie das Lavieren durchschaut hatte. Als sie nachbohrte, blickte Merkel sie eiskalt an und sprach mit einer Härte in der Stimme, die Anne Will erblassen ließ. So ist es wohl, wenn sie im Kabinett ihren Willen durchsetzt. Schnell und unbarmherzig. Dieser Moment ist in der Berichterstattung vollkommen verloren gegangen, stattdessen waren die Leute verdutzt. Als wäre Merkel zufällig Kanzlerin geworden, als könnte eine unfähige Marionette zehn Jahre an der Spitze der BRD stehen. Vielleicht gibt Merkel deswegen so selten Fernsehinterviews. Sie ist dann sehr durchschaubar. Wenn denn mal jemand hinsähe und nicht nur jubelte.