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In Deutschland ist es wieder so kalt wie in den Herzen seiner Bewohner. Nicht aller natürlich. Nicht in den Herzen der Leute von »Moabit hilft«. Oder der vielen anderen, die Flüchtlingen über die Grenze helfen, kostenlos Sprachunterricht geben, für sie Unterkünfte organisieren, sie auf Ämter begleiten oder sogar heiraten, gleich ob aus Liebe oder um zumindest einzelne vor dem Warten, Schlangestehen und Abgeschobenwerden zu bewahren. Hand aufs Herz (aufs warmblütige, anti- und undeutsche) – das ist auch eine Liebesheirat, eine Menschenliebesheirat. Da schlägt es höher, das Herz, und wärmer fühlt es sich auch an. Nur leider ändert sich auch nichts daran, dass es draußen jetzt immer kälter und ...  Wie sagt man dazu? »Nasser wird« oder »nässer wird«? Angeblich lässt sich »nass« gar nicht steigern, dabei muss man doch nur vor die Haustür treten, um zu sehen, dass davon jeden Tag mehr da ist, mehr Kalt wie mehr Nass. Für die Menschen, die vor Erstaufnahmestellen wie dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) für die Zuweisung einer Unterkunft Schlange stehen, macht es das Warten nicht schöner.
Um den krassen Wechsel vom spanischen Spätsommer zum deutschen Frühwinter zu ertragen, sind in mindestens einem Redaktionsraum die Heizkörper auf die Stufe »tropisch« gedreht worden. Die Geschäftsführerin bestreitet indessen, sie habe die Sparparole »Geheizt wird, wenn der Atem sichtbar wird!« ausgegeben. Das Gerücht habe sich irgendjemand im ungeheizten Durchgangszimmer ausgedacht, wo man sich in Wollpullover, Schals und Mützen mümmelt und eifrig die Pferdelippenatmung aus dem Yogakurs übt. Fröstelnd schleichen sich bei Gelegenheit die hier arbeitenden Redakteure unter allerlei fadenscheinigen Ausreden in das Nebenzimmer, wo die selbsterklärte »MILF-Fraktion« Regie führt. Diese militanten Hedonistinnen halten nichts von Verzichtsethik, lassen unter der Ikea-Palme die Kokosnusscocktails kreisen und tun so, als habe sich seit den lauschigen Abenden am Stadtstrand von Barcelona die Temperatur nicht geändert. Messungen haben ergeben: Es ist bei ihnen im Zimmer sogar noch wärmer. Wofür hingegen das Akronym »MILF« stehen könnte, darauf wäre der naive Junge vom Inlandsressort nie gekommen. Und auch der Auslandsredakteur lag mit der philippinischen »Moro Islamic Liberation Front« völlig daneben.
Im Berliner Club »Bei Ruth« nahe dem S-Bahnhof Sonnenallee hat die Redaktion vorige Woche schon den release der Spanienausgabe gefeiert. Mit den Autorinnen und Autoren das eine oder andere Bier getrunken. Über die Abschaffung Deutschlands und des Winters diskutiert. Bis in die Morgenstunden getanzt. Davon wird einem schließlich auch warm.