Die Präsidentschaftswahl in Argentinien

Auf der Reise nach rechts

In Argentinien wird die Stichwahl um die Präsidentschaft Ende November entscheiden, wie weit das Land nach rechts rückt.

Durchhalteparolen auf der einen Seite, euphorischer Jubel auf der anderen. So sah die Wahlnacht in Buenos Aires am Sonntag aus. Der Kandidat des linksperonistischen Parteienbündnisses »Frente para la victoria« (FPV), Daniel Scioli, konnte mit 36,9 Prozent der Stimmen zwar einen Vorsprung von zweieinhalb Prozentpunkten gegenüber seinem liberal-konservativen Kontrahenten Mauricio Macri behaupten. Aber er verfehlte deutlich das erklärte Ziel, im ersten Wahlgang zu siegen. Die Entscheidung, wer der nächste Präsident Argentiniens wird, bringt nun die Stichwahl am 22. November.
Macri, der ehemalige Bürgermeister von Buenos Aires, geht mit seinem Wahlbündnis »Cambiemos« gestärkt in den nächsten Wahlgang. Die Wahl entscheidet sich zumeist in der bevölkerungsreichsten Provinz Buenos Aires, wo die Regierungspartei FPV erhebliche Verluste hinnehmen musste und mit Macris Parteikollegin María Eugenia Vidal erstmals seit 28 Jahren eine nicht­peronistische Gouverneurin gewählt wurde. Bei der Stichwahl werden die Anhänger des drittplatzierten Sergio Massa den Ausschlag geben. Dieser ist ein konservativer Peronist und war Kabinettschef unter Präsident Nestór Kirchner. Seine Empfehlung für Macri gilt als wahrscheinlich. Für Scioli bleibt derweil nur die Hoffnung auf ein Wahlkampfwunder, etwa durch einen Kraftakt von Cristina Fernández de Kirchner, die immer noch Zustimmungswerte von über 50 Prozent hat. Nach einem derartigen Engagement der nach zwei Amtszeiten scheidenden Präsidentin sieht es derzeit nicht aus.

Die politische Stimmung hat sich stark nach rechts verschoben. Vor vier Jahren gewann Fernández de Kirchner mit 54 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang, auf Platz zwei landeten die Sozialisten mit 16 Prozent – eine heftige Schlappe für die Konservativen. Nun haben mit Macri und Massa zwei rechts der Mitte stehende Politiker allen Vorhersagen zum Trotz über 55 Prozent erzielt. Linke Gruppen hatten schon vor der Wahl diese konservative Wende prognostiziert. Sie befürchten eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik und eine Rücknahme der sozialen Errungenschaften der vergangenen Jahre.
Macris Wahlprogramm liest sich wie eine Zusammenschau der jahrelang vorgetragenen Forderungen der Kapital besitzenden Schichten des Landes. Es sieht eine allgemeine Deregulierung der Wirtschaft ebenso wie die Kürzung von Sozialleistungen und die Abschaffung der Ausfuhrsteuern vor, die vor allem Großgrundbesitzer schmerzen. Weiterhin plant Macri, die US-Hedgefonds auszuzahlen, die nach Spekulationsgeschäften mit argentinischen Staatsanleihen Milliardenbeträge fordern. Begleitet werden diese Maßnahmen durch einen repressiven Sicherheitsdiskurs, der in erster Linie die Marginalisierten in den Armenviertel treffen wird.
Ein gewichtiges Argument, insbesondere für die urbane Mittelschicht, ist das Versprechen, die Devisenkontrollen aufzuheben. Angesichts schwindender Dollarreserven hat die Regierung 2011 den Kauf ausländischer Währungen im Land reglementiert, woraufhin sich ein inoffizieller Dollarwechselkurs etablierte, der gut 60 Prozent über der offiziellen Notierung liegt. Derzeit ist es nur unter großen Anstrengungen möglich, Auslandsreisen zu unternehmen, und Pesos zu sparen ergibt wegen der galoppierenden Inflation wenig Sinn. Das will Macri ändern. Wie er verhindern will, dass das Land wegen der drohenden Kapitalflucht in die Zahlungsunfähigkeit rutscht, bleibt offen. Die New Yorker Börse honorierte derweil das überraschend gute Ergebnis Macris: argentinische Aktien verzeichneten Kursgewinne von mehr als einem Fünftel.

»Es stehen zwei sehr verschiedene Visionen der argentinischen Gegenwart und Zukunft auf dem Spiel«, warnte Scioli bei seiner Rede am Wahlabend. Seine Priorität seien die Armen, die Arbeiter und die Mittelschicht, versicherte er. Er geriert sich so als Alternative zu dem Neoliberalen Macri und stellt sich in die Tradition des »Proyecto K« der Präsidentin und ihres verstorbenen Ehemanns und Amtsvorgängers Néstor Kirchner. Das Verhältnis zwischen Amtsinhaberin und designiertem Nachfolger ist allerdings nicht frei von Spannungen. Scioli beraubt als gemäßigter Peronist den Kirchnerismus fast aller progressiver Elemente. Der ehemalige Gouverneur der Provinz Buenos Aires steht nicht in der Tradition der Kirchners, die zahlreiche Sozialprogramme auflegten, die gleichgeschlechtliche Ehe einführten, die Medienlandschaft demokratisieren wollten und die Aufarbeitung der Verbrechen der Militärdiktatur ins Zentrum ihres Wirkens stellten. Sciolis wirtschaftspolitisches Programm ähnelt dem der rechten Konkurrenz – sei es im Hedgefonds-Konflikt, bei den Ausfuhrsteuern oder der Senkung der Staatsausgaben. Er weckt bei vielen Erinnerungen an die neunziger Jahre, nicht zuletzt, weil Carlos Menem ihn damals in die Politik holte. Jener Präsident also, der das Land ein Jahrzehnt lang herunterwirtschaftete, bis es 2001 zum Wirtschaftscrash kam. Ein Umstand, den auch Macri bewusst ausschlachtet. »Die haben doch den Neoliberalismus erfunden«, konterte er Sciolis Vorwurf, er verfolge Privatisierungsbestrebungen.
Der Politikstil des 58jährigen Scioli zeichnet sich durch Zurückhaltung und Taktieren aus. Mit dem Versprechen, den Steuerfreibetrag auf 30 000 Pesos (ca. 2 800 Euro) monatlich zu erhöhen, wollte er wenige Tage vor der Wahl in der Stammwählerschaft der Konkurrenz wildern. Von der Maßnahme würden vor allem die Macri verbundene urbane Stadtbewohner profitieren, ebenso wie Rentner, zu denen Massa als ehemaliger Präsident der Rentenversicherung einen guten Draht hat. Die schamlosen Wahlversprechen ­kamen offensichtlich nicht gut an.

Linken steht im November also die altbekannte Wahl zwischen Pest und Cholera bevor. Auch wenn viele den Kirchnerismus kritisch sehen, stellt sich angesichts der möglichen Nachfolger vielfach Ernüchterung ein. Es geht eine Phase zu Ende, in der die Kirchners nicht nur dem Parlamentarismus neue Legitimation einhauchten, sondern auch eine Politik etablierten, bei der Zugeständnisse an soziale Bewegungen mit einer engen Anbindung dieser an die Regierung einhergingen. Auch wenn es derzeit keine nennenswerten Distanzierungen radikalerer Gruppen von Scioli gibt, werden diese, so ist anzunehmen, nicht lange auf sich warten lassen. Spätestens wenn er Regierungsverantwortung übernimmt oder nach einer Niederlage abtritt, werden einige aus der Massenbasis des Kirchnerismus ausscheren. Das wiederum eröffnet die Chancen für progressive, pluralistische Wahlmöglichkeiten jenseits des Kirchnerismus – und vor allem mehr Handlungsspielräume jenseits des parlamenta­rischen Geschehens.