Die Debatte über Netanyahu

Bibi und der ­Holocaust

Wie Benjamin Netanyahu den Deutschen einmal ihre Shoah wegnehmen wollte.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin »Bibi« Netanyahu sprach am Dienstag vergangener Woche im Rahmen des Zionistischen Weltkongresses über Diffamierungen und Lügen, die physischen Angriffen auf Juden vorausgehen und sie begleiten. Unter anderem, so erläuterte Netanyahu am Folgetag, versuchte er aufzuzeigen, dass Antisemitismus auch schon vor der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 in der Region existierte. Dazu verwies er auf ein Gespräch zwischen Adolf Hitler und Mohammed Amin al-Husseini, dem Großmufti von Jerusalem, im November 1941 in Berlin. Laut Netanyahu hatte bis zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung für die »Endlösung der Judenfrage«, also die Vernichtung des europäischen Judentums, noch nicht festgestanden. Erst der Großmufti soll Hitler auf diese Idee gebracht haben.
Weder das Treffen noch die Unterstützung des Nationalsozialismus und der Shoah durch den Mufti werden von seriösen Historikern in Frage gestellt. Was genau bei dem Treffen besprochen wurde, ist jedoch nicht überliefert – und da scheint ein wenig die Phantasie mit dem israelischen Ministerpräsidenten durchgegangen zu sein. Ist der genaue Zeitpunkt der deutschen Entscheidung für die »Endlösung« auch schwierig zu benennen, so fiel diese definitiv nicht erst zum Zeitpunkt des Hitler-Husseini-Treffens Ende November 1941.
Viel spannender als die Äußerungen Netanyahus aber sind ohnehin die deutschen Reaktionen. Bei Spiegel Online etwa wird dieser in eine Reihe mit »Geschichtsrevisionisten und Holocaust-Leugnern« gestellt. Im Handelsblatt geht es um seine »Aussage zu Palästinensern und Hitler« – ganz so, als spräche er allen Palästinensern die Schuld an der Shoah zu. Mit diesen Äußerungen hätte der israelische Ministerpräsident nun »den Nahost-Konflikt weiter angeheizt«, behauptet der Tagesspiegel. Und der Publizist Jürgen Todenhöfer will Netanyahu direkt vor ein Strafgericht stellen.
Wenig überraschend war auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sehr empört – weil Netanyahu angeblich Hitler »freigesprochen« habe. Welch Ironie von jemandem, der in seiner 1982 in Moskau verfassten Doktorarbeit selbst führenden Zionisten eine Zusammenarbeit mit den Nazis unterstellte, die Existenz von Gaskammern leugnete und erklärte, dass gerade mal 890 000 Juden während der Shoah ermordet wurden, und das auch nur aufgrund einer zionistischen Provokation. Dieser Widerspruch wurde in der deutschen Öffentlichkeit geflissentlich ignoriert. Schließlich ist Abbas ja der »Moderate« und Netan­yahu der »Hetzer«. Und Netanyahus Fehltritt fügt sich besser in dieses gängige Feindbild als zum Beispiel sein Gesprächsangebot an Abbas Anfang Oktober vor der Uno. Dazu passt auch, dass seine Klarstellung, er habe selbstverständlich nicht Hitler die Verantwortung für die Shoah habe absprechen wollen, nicht zur Kenntnis genommen wird.
Das aber würden die guten Deutschen sowieso nicht zulassen. Bei ihrem Treffen mit Netanyahu sagte Angela Merkel, dass »uns« die Verantwortung der Nazis für die Shoah bewusst sei. Wieder einmal können sich also die Deutschen als Erinnerungsweltmeister feiern, die aus der Geschichte gelernt haben – und mit dem Finger auf den Juden zeigen und »Ätsch, du nicht!« rufen.