In Dresden prägen Neonazis die Willkommenskultur

Blockadebürger

Im Dresdner Stadtteil Übigau versperrten Rassisten drei Wochen lang die Zufahrt zu einer Notunterkunft für Flüchtlinge. Zur gleichen Zeit griffen Neonazis ein alternatives Hausprojekt an, das als antirassistischer Anlaufpunkt in dem Stadtviertel dient.

Ein bisschen wie eine Insel liegt Übigau, ein Teil des Stadtbezirks Pieschen, zwischen Elbe und Hochwasserschutzrinne am westlichen Rand von Dresden. Als die Stadt Ende September ankündigte, die Turnhalle in Übigau zur Notunterkunft für 59 Geflüchtete zu machen, kam Bewegung in die dörflich geprägte Idylle. Noch am selben Abend versammelten sich Hunderte Menschen und begannen die Zufahrt zu dem Gelände zu versperren. Es entstand ein Protestcamp vor der Turnhalle, das sich »Wir sind Übigau« nannte. Gleich zu Beginn schaute Tatjana Festerling vorbei, die Frontfrau der »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida), die als Kandidatin bei der Dresdner Oberbürgermeisterwahl im Juni in diesem Stadtteil über 20 Prozent der Stimmen für sich gewann. Für die Facebook-Seite des Camps ließen sich AfD-Abgeordnete, Mitglieder der rassistischen »Identitären Bewegung«, der Pegida-Vorsitzende Lutz Bachmann und organisierte Neonazis vor dem Protestzelt ablichten. Auch Polizisten sollen nach Feierabend vorbeigekommen sein, sagte der Camp-Sprecher Tom Walthersen im ZDF.

Vor einer Woche dann drohte die Räumung. Die rechten Camperinnen und Camper prophezeiten polizeiliche Gewaltexzesse. Doch dazu kam es nicht. Erst wurde von Mitarbeitern der Stadtverwaltung einfach ein Stück Zaun aufgebrochen, etwas Gebüsch weggeschnitten und so ein Hintereingang zum Gelände der Turnhalle geschaffen. An diesem Hintereingang bildete sich lediglich eine kleine Sitzblockade von sechs Personen, darunter Ronny Thomas, ein mehrfach vorbestrafter Neonazikader aus Dresden. Das Protestcamp an der Hauptzufahrt wurde am nächsten Abend abgebaut.
Hat die sächsische CDU traditionsgemäß große Probleme mit Blockaden und zivilem Ungehorsam, zeigte sie sich gegenüber »aufgebrachten Übigauern« von Beginn an gesprächsbereit. Der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) verkündete: »Gern werde ich einen konstruktiven Austausch mit den Übigauern begleiten.« CDU-Stadtrat Veit Böhm versicherte nach »Gesprächen mit Bürgervertretern«, diese seien an »einer sachlichen Auseinandersetzung interessiert« und würden »konstruktiv auf Lösungen drängen«.
Das seit einem Jahr bestehende Hausprojekt »Mangelwirtschaft« und seine Bewohnerinnen und Bewohner wollen in ihrem Viertel einen Gegenpol zum rassistischen Mainstream aufbauen. Seit den rassistischen Protesten im Stadtteil mehrten sich die Drohungen gegen das Projekt. In der Nacht zum ersten Geburtstag von Pegida schließlich stürmten etwa zehn Vermummte das Grundstück des Hausprojekts, bewaffnet mit Steinen, Pyrotechnik sowie Flaschen, die mit Buttersäure und Feuerwerkskörpern präpariert waren. Die Angreifer sollen äußerst koordiniert vorgegangen sein. Verletzt wurde niemand, aber es entstanden Schäden an Fassade und Fenstern. Schon zwei Wochen zuvor drangen Neonazis auf das Gelände vor und zerschlugen einen Briefkasten. Nach der Einquartierung Geflüchteter sei es nochmals zu einer Intensivierung der Hetze gekommen, berichtet ein Bewohner der »Mangelwirtschaft«.
Nach Gesprächen zwischen dem Protestcamp, einer örtlichen Willkommensinitiative und dem Bündnis »Pieschen für alle« (ein Ableger des Stadtteilvereins Pro Pieschen) am Wochenende vor dem Pegida-Jahrestag freute sich die Vorsitzende von Pro Pieschen e. V., Heidi Geiler, über eine »verblüffende Wende«. Ihr Verein möchte die Integration von Flüchtlingen unterstützen. »Schier unversöhnliche« Meinungen habe es gegeben, der Darstellung zufolge soll es jedoch zu einer Einigung gekommen sein. Die Auflösung des gegenseitigen Misstrauens sei gelungen und »die Entwicklung in Übigau« soll nach dem Wunsch Heidi Geilers »zu einem Vorbild für ganz Dresden werden«. Angeblich hätten sich alle Akteure darauf geeinigt, Flüchtlinge willkommen zu heißen. Die Turnhalle als Notunterkunft lehnten sie gemeinsam ab. Gefordert werden ein Konzept zur »Wahrung der öffentlichen Sicherheit« und der Ausbau der Straßenbeleuchtung.
»Wir sind Übigau« widersprach nach Veröffentlichung des Papiers prompt: »Wir haben Einigkeit, dass die Halle unzumutbar ist, das bedeutet nicht zugleich, dass wir jemanden willkommen heißen.« Solidarität für die »Mangelwirtschaft« hingegen gab es einzig von anderen Hausprojekten und dem persönlichen Umfeld der Bewohner.
In Chemnitz-Einsiedel betrachten Rassisten Übigau mittlerweile als Vorbild, sie blockierten ebenfalls eine Flüchtlingsunterkunft mit einem Protestzelt. Und am vergangenen Wochenende verzögerten Nazis im sächsischen Freiberg die Einquartierung von Geflüchteten, ebenfalls durch eine Blockade.

Wie sehr die Bedrohung durch rassistische und neonazistische Aktivitäten den Alltag prägt, zeigt auch die Warnung der jüdischen Gemeinde in Halle an der Saale. Die sogenannten Montagsmahnwachen ziehen dort seit einiger Zeit verstärkt Neonazis an und diese treten neben Verschwörungstheoretikern immer offener auf. Das war für die Gemeinde Anlass, ihre Räumlichkeiten in Zukunft an Montagabenden, aber auch während anderer rechter Aufmärsche, wie etwa der AfD-Demonstration vergangene Woche, geschlossen zu lassen. Auf die Frage, ob Juden in Halle Angst haben müssen, sagte der Gemeindevorsitzende Max Privorozki der Jungle World: »Ja, wir haben Angst. Nicht, weil wir Juden sind. Wir haben Angst angesichts des offensichtlichen und rasanten Erwachens der rechtsradikalen Rhetorik und Verbreitung der diversen Verschwörungstheorien wie in den dreißiger Jahren.« Er dementierte Berichte, wonach sich Juden in Halle generell nicht mehr sicher fühlten und Angst haben müssten, auf die Straße zu gehen. Seine Kippa habe er bisher immer ohne Angst tragen können. Zu den Aufmärschen fand er jedoch klare Worte: »Diejenigen, die jetzt in solchen Bewegungen wie Montagsmahnwachen, Pegida oder AfD eine ­effiziente Alternative zu den existierenden Parteien sehen, irren sich gewaltig. Diese ›Alternativen‹ sind nicht in der Lage, Probleme der Flüchtlingskrise oder die vermehrten bewaffneten Konflikte in der Welt zu lösen.«