Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung und Datenhelerei

Der Journalist als Hehler

Mit dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wurde nahezu unbemerkt auch Whistle­blowing unter Strafe gestellt. Diese Regelung ist geeignet, die Pressefreiheit subtil einzuschränken.
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Wer in Deutschland telefoniert oder SMS verschickt, wird dabei bald wieder überwacht. Das »Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht für Verkehrsdaten« verpflichtet die Anbieter, Rufnummern, Zeit und Dauer sämtlicher Telefonate sowie Sende- und Empfangszeit aller SMS für zehn Wochen zu speichern. Dasselbe gilt für die IP-Adressen aller Internetnutzer. Bei Mobiltelefonen wird außerdem noch der Standort für vier Wochen gespeichert. Das betrifft alle Menschen, die in Deutschland leben, egal ob sie einer Straftat verdächtig sind oder nicht. Was Justizminister Heiko Maas zunächst strikt abgelehnt hatte, verkaufte er auf Druck Sigmar Gabriels und um des Koalitionsvertrages willen wenige Monate später als moderaten Kompromiss und spricht von »zurückhaltender Vorratsdatenspeicherung«. Der Staat weiß trotzdem potentiell, wer wann und wo mit wem telefoniert oder SMS ausgetauscht hat. Zwar sieht das Gesetz einen sogenannten Richtervorbehalt vor: Die Abfrage muss erst durch einen Amtsrichter genehmigt werden. Ein solcher Vorbehalt ist in überlasteten Gerichten aber wenig wert. Das zeigt eindrücklich ein Passus im Transparenzbericht des E-Mail-Providers Posteo über Berlin. Berlin ist derzeit das einzige Bundesland, in dem erfasst wird, wie viele Anträge auf Überwachungsmaßnahmen durch Richter abgelehnt werden. Seit 2007 waren es exakt null (Jungle World 36/2015). Stellen der Strafverfolgung und der Gefahrenabwehr dürften also problemlos an die Daten herankommen, allerdings sollen sie laut Leitlinie für Geheimdienste tabu sein.

Dass aus anderen Ländern kein einziges Verbrechen überliefert ist,das mittels Vorratsdatenspeicherung aufgeklärt oder verhindert werden konnte, scheint niemanden in der großen Koalition zu stören. Das Gesetz wurde fast überfallartig auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt, bedarf keiner Zustimmung des Bundesrats und tritt schon in den nächsten Wochen in Kraft, sobald es vom Bundespräsidenten unterschrieben wurde. Dann haben die Provider – für die erhebliche Kosten entstehen, für die sie teilweise vom Bund entschädigt werden – 18 Monate lang Zeit, es technisch umzusetzen. Drei Jahre dauerte es, bis das Bundesverfassungsgericht das erste Gesetz zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung kassierte. Allerdings nicht, weil die anlasslose Überwachung der gesamten Bevölkerung gegen das Grundgesetz verstieße: Das Fernmeldegeheimnis nach Artikel 10 des Grundgesetzes kann durch Gesetze eingeschränkt werden. Die Richter begründeteten ihre Entscheidung vielmehr damit, dass das alte Gesetz die Datensicherheit nicht gewährleiste und die Hürden für einen Zugriff der Ermittlungsbehörden zu niedrig seien. Diese Begründung könnte auch beim neuen Gesetz greifen, und so klagten sofort nach Verabschiedung von »Digital Courage« bis Wolfgang Kubicki (FDP) gleich mehrere Organisationen und Personen gegen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung.

Sollten die Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern, bliebe als letzte Instanz der Europäische Gerichtshof (EuGH). Der hat 2010 die europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt. Dass die Richtlinie weg ist, heißt aber nicht, dass einzelne Mitgliedsstaaten eine Vorratsdatenspeicherung einführen können – dagegen kann der EuGH wenig tun. Erstmal müssen Menschen in Deutschland damit leben, dass Telefonate mit der falschen Person sie zu Verdächtigen machen. Zwar schränkt das Gesetz ein, dass die Abfrage nur bei Verdacht auf »besonders schwere Taten« erfolgen darf, allerdings versteht man juristisch darunter längst nicht nur Dinge wie Mord, Terrorismus und Sexualdelikte. Der Katalog schwerer Straftaten enthält unter anderem das »Einschleusen von Ausländern« und auch Landfriedensbruch: Ins Visier der Ermittlungsbehörden kann man da schon geraten, wenn der Typ neben einem auf der Demonstration eine Glasflasche wirft.
Mit der Vorratsdatenspeicherung wird auch ein neuer Straftatbestand eingeführt: Datenhehlerei. Das neue Gesetz ist ein sogenanntes Artikel-Gesetz, das gleich eine ganze Reihe von Gesetzen ändert. Auf Seite 20 des 58seitigen Gesetzesentwurfes versteckt findet sich die neue Regelung gegen Whistleblower. Datenhehlerei begeht, wer sich rechtswidrig erlangte Daten verschafft oder sie »einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht«. Dies wird mit einer Geldstrafe oder bis zu drei Jahre Gefängnis geahndet. Betroffen sind zum Beispiel gestohlene Kreditkartendaten, aber eben nicht nur. Lägen die NSA-Leaks nicht in der Vergangenheit, könnte so euch ein Edward Snowden in Deutschland vor Gericht gestellt werden – und sei die Veröffentlichung brisanter Daten für die Gesellschaft noch so wichtig. Dabei hat der Gesetzgeber in weiser Voraussicht eine Ausnahme gemacht: für die Steuerfahndung. Wer entsprechende Daten weitergibt und dafür sogar Geld verlangt, bleibt auch nach dem neuen Gesetz straffrei.
Tatsächlich schließt der Gesetzgeber mit den neuen Paragraphen eine Lücke: Whistleblowing war bisher juristisch nicht definiert und verschiedene Parteien fordern schon länger ein Schutzgesetz für Menschen, die wichtige Informationen öffentlich machen. Lediglich Beamte waren schon lange verpflichtet, Bestechungsversuche der Staatsanwaltschaft zu melden. Wer aber auf ein Gesetz hoffte, das beispielsweise Arbeitnehmer schützt, die Skandale in Firmen und Behörden aufdecken, wird enttäuscht – die große Koalition hat das genaue Gegenteil beschlossen. Das neue Gesetz macht es für Whistleblower noch schwieriger, Daten zu veröffentlichen oder zu lancieren.
Derlei skandalträchtige Daten landen besonders häufig auf den Schreibtischen von Journalisten. Für diese und bestimmte andere Berufsgruppen wie Anwälte und Ärzte gilt eine Ausnahme: Daten über sie aus der Vorratsdatenspeicherung dürfen von Ermittlungsbehörden nicht verwendet werden. Gespeichert werden sie zunächst einmal trotzdem – schon allein weil die Telefongesellschaften keine Informationen darüber haben, welche ihrer Kunden zu den entsprechenden Berufsgruppen zählen. Da kann es leicht passieren, dass eine galoppierende Staatsanwaltschaft einfach mal übersieht, dass sie Daten bestimmter Personen nicht verwenden darf. Und bis ein Gericht das feststellt, kann es schon zu spät sein. Wer also in einer brisanten Angelegenheit Daten an eine Redaktion weitergeben möchte, macht das besser konspirativ.
Auch in puncto Datenhehlerei genießen Journalisten künftig ein Privileg: Sie dürfen mit »gestohlenen« Daten hantieren, ohne sich strafbar zu machen – allerdings nur rein beruflich und nur bei »journalistischer Tätigkeiten in Vorbereitung einer konkreten Veröffentlichung«. Datenweitergabe bei reinen Recherchen und Kontaktgesprächen wäre damit illegal und Blogger, die nicht von ihrem Blog leben können und hauptberuflich etwas anderes machen, haben sowieso Pech. Beispielsweise könnten Journalisten Probleme bekommen, die über Rechtsextreme berichten und gleichzeitig privat in der Antifa aktiv sind, wenn sie Interna aus der rechten Szene auf dem Schreibtisch haben, da ihnen ein privates Interesse unterstellt werden könnte.
Insgesamt stellt das Gespann aus Vorratsdatenspeicherung und dem Straftatbestand Datenhehlerei also eine subtile, aber empfindliche Einschränkung der Pressefreiheit dar. Die meisten Juristen sind sich zwar einig, dass es kaum zu Verurteilungen von Journalisten kommen wird, allerdings reicht es, dass eine Staatsanwaltschaft die Gesetzeslage ein wenig anders sieht, um ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen. Und das ist mehr als nur lästiger Papierkram. Hat ein Journalist erstmal ein Verfahren am Hals, dürften sich nicht nur Informanten von ihm abwenden. Es können auch Computer und Smartphones beschlagnahmt werden, die der betroffene Journalist mitsamt der darauf gespeicherten Daten möglicherweise erst Jahre später bei Einstellung des Verfahrens zurückerhält.
Das kann Freelancern beruflich das Genick brechen. Justizminister Maas findet trotzdem, die Pressefreiheit sei umfassend geschützt.