Rechtsruck bei den Wahlen in Polen

Gerechtigkeit sieht anders aus

Bei den Parlamentswahlen in Polen haben die Rechten gewonnen.

Die Nationalkonservativen haben die absolute Mehrheit im Parlament gewonnen. Bei den Wahlen in Polen am Sonntag erhielt die Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) knapp 38 Prozent der Stimmen, sie kann aber ohne Koalitionspartner regieren. Die derzeitige Ministerpräsidentin Ewa Kopacz von der liberalen Bürgerplattform (PO), die mit 24 Prozent der Stimmen auf den zweiten Platz kam, wird von Beata Szydło abgelöst. Szydłos PiS setzte sich im Wahlkampf für die Stärkung des Nationalbewusstseins und traditioneller Werte ein. Die Partei lockt mit sozialreformerischen Plänen wie der Reduzierung des Renteneintrittalters, der Erhöhung des Kindergeldes und der Senkung des Mehrwertsteuersatzes. Zum Thema Flüchtlingspolitik äußerte sich die Partei fremdenfeindlich und hetzerisch. Sie ist gegen die Aufnahme weiterer Geflüchteter. Stattdessen gelte es, die polnischen Werte zu verteidigen. Es besteht eine starke Sympathie mit Viktor Orbáns Abschottungspolitik nach außen in Ungarn.

Die liberal-konservative PO hat acht Jahre lang regiert. Die an Modernisierung interessierte, ­EU-freundliche Partei wurde in ihrer letzten Amtszeit immer stärker kritisiert. So wird Kopacz vorgeworfen, sie habe Polen vor allem für Investoren aus dem Ausland attraktiv gemacht, die die geringen Produktionskosten ausnutzen. Die Einkommen der Arbeitenden fallen trotz des allgemeinen Wirtschaftswachstums und der sinkenden Arbeitslosenquote vergleichsweise klein aus. Die Preise für Konsumgüter sind hingegen stark gestiegen. Die generelle Verbesserung der Lebensbedingungen wird zumeist nicht auf die Arbeit der PO, sondern auf Finanzhilfen der EU zurückgeführt. Beim Thema Flüchtlinge hat Kopacz in den Augen vieler Polinnen und Polen ebenso versagt. Zwar forderte sie stets einen Aufnahmestopp, stimmte in Brüssel jedoch der Aufnahme weiterer Geflüchteter zu.
Michał Sutowski, Politikwissenschaftler vom Institute of Advanced Studies in Warschau, kritisiert sowohl PiS als auch PO. »Prekäre Arbeits­bedingungen, niedrige Löhne, fehlende Unterstützung für Familien mit Kindern, verstärkte Emigration nach Westeuropa – die beiden Führungsparteien erkennen die wichtigsten Probleme der polnischen Bürger nicht«, sagt er in einem Interview.
Die linke Opposition wird kaum ein Gegengewicht zur nationalkonservatien Regierungspartei bilden können. Marta Madej von der linken Zeitung Krytyka Polityczna (Politische Kritik) meint, die Stimmung im Land sei kurz vor den Wahlen äußerst angespannt gewesen. Viele Linke fürchteten einen Rechtsruck. Die Vereinte Linke (ZL), die für eine starke Willkommenskultur in Polen eintritt, scheiterte mit 7,6 Prozent der Stimmen knapp an der Acht-Prozent-Hürde für Parteienbündnisse. Madej hat für die im Mai 2015 neu gegründete Partei Razem (Zusammen) gestimmt. Die ZL, ein Bündnis der Grünen, der sozialdemokratischen SLD, der linksliberalen Twój Ruch (Deine Bewegung) und anderen Parteien, empfand Madej als zu uneinig.

Razem organisiert sich nach dem Vorbild der spanischen Partei Podemos und setzt sich für Sozialismus ein. »Viele junge Menschen suchen nach einer neuer Qualität von Politik. Man möchte nicht mehr mit alten Karten spielen und stürzt sich umso stärker auf eine neue Partei wie Razem«, meint Madej. Im Umfeld der Universität und der Graswurzelbewegungen entstanden, sucht Razem nach neuen Formen der Politik. Die junge Partei wendet sich gegen das Freihandelsabkommen TTIP, setzt sich für eine Erhöhung der Gehälter und gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse ein. Madej berichtet, in ihrem Umfeld hätten viele durch Razem zum ersten Mal mit ­einem Gefühl der Freude gewählt, auch wenn schon seit längerer Zeit klar war, dass PiS die Wahlen gewinnen würde. Ins Parlament hat es Razem aber ebenso wenig geschafft wie die ZL. Mit 3,6 Prozent der Stimmen scheiterte die junge Partei an der Fünf-Prozent-Hürde.
Für Europa bedeutet der Sieg der EU-skeptischen PiS, dass die Beziehung zu Polen nicht nur in Sachen Flüchtlingspolitik komplizierter wird.