Dina Meza im Gespräch über die »Empörten« von Honduras

»Honduras ist ein Land ohne Justiz«

Eine Korruptionsaffäre erschüttert seit Monaten die Regierung in Honduras unter Präsident Juan Orlando Hernández. Insgesamt geht es um umgerechnet fast 300 Millionen Euro, die aus den staatlichen Sozialversicherungsfonds abgezweigt worden sein sollen. Der Präsident gab im Juni zu, dass seine konservative Nationalpartei (PNH) veruntreutes Geld angenommen habe. Mehrere Verdächtige wurden mittlerweile verhaftet, fast jede Woche wird Anklage gegen weitere involvierte Politikerinnen und Politiker erhoben. Die Regierung geht derweil weiter repressiv gegen kritische Journalisten und soziale Bewegungen vor. Die Jungle World sprach über die Lage in Honduras mit Dina Meza. Die Journalistin und Menschenrechtlerin lebt in Tegucigalpa und wird von den Internationalen Friedensbrigaden begleitet, weil sie immer wieder bedroht wird. 2013 musste sie für ein paar Monate ins Ausland fliehen, wo sie an der Universität von York an einem Schutzprogramm teilnahm. Seitdem berät sie auch andere bedrohte Personen in Honduras.

Seit Monaten gibt es jeden Freitag Märsche der indignados, der Empörten, in Honduras. Sie protestieren gegen die Korruption der Regierung. Ist das die Keimzelle für einen gesellschaftlichen Wandel?
Das ist ein Hoffnungsschimmer, denn die Leute haben nicht vergessen, dass es einen Staatsstreich gab (2009 gegen den damaligen Präsidenten Manuel Zelaya, Anm. d. Red.), sie kritisieren die Korruption und das nicht funktionierende Justizsystem. Bis dato sind es keine politischen Organisationen, die die Bewegung dominieren, sondern eher soziale Bewegungen und Menschen, die ihrer Empörung über die Dreistigkeit der politischen Machthaber Ausdruck verleihen wollen. Das ist ähnlich wie in Guatemala, aber da war die Bewegung stärker und deutlich erfolgreicher.
Viele der Protestierenden fordern eine Kommission gegen Straflosigkeit unter Leitung der Vereinten Nationen wie in Guatemala. Wäre das in Honduras sinnvoll?
Ich denke, dass die Organisationen, die sich mit dem Thema beschäftigen, also neben den Vereinten Nationen auch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), sehr vorsichtig sein und sich von der Regierung in Tegucigalpa nicht instrumentalisieren lassen sollten. Sie müssen ihre Unabhängigkeit bewahren und dürfen sich nicht von Präsident Juan Orlando Hernández vereinnahmen lassen. Der will nämlich nur eine Internationale Kommission von Staatsanwälten, nicht mehr. Doch in Honduras geht es um das gesamte System, die Institutionen funktionieren nicht beziehungsweise nur in eine Richtung, denn es findet eine systematische Kriminalisierung von sozialen Organisationen und unliebsamen Journalisten statt.
Die Internationale Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala (CICIG) hat den UN neue Instrumente für die Justizbehörden bereitgestellt, etwa die Einsetzung von Richtern für Kapitaldelikte oder die Ausdehnung der Abhörpraktiken. Diese neuen Instrumente ermöglichten es, den Korruptionsring um den guatemaltekischen Präsidenten Otto Pérez Molina aufzudecken. Wäre ähnliches in Honduras denkbar?
Ich denke, derzeit nicht, denn in Guatemala hat es Staatsanwälte und Richter gegeben, die eigenständig agiert haben. In Honduras ist das gesamte Justizsystem durchdrungen von der herrschenden Elite und den Drogenkartellen. Das sind andere Verhältnisse.
Allerdings gibt es Organisationen wie die »Richter für die Demokratisierung«, die auf die Situation im Justizsektor aufmerksam machen.
Das ist richtig, aber sie werden angegriffen, es wird versucht, sie mundtot zu machen. Im Ausland ist die Organisation vielleicht bekannter als in Honduras, obwohl sie sich für eine Erneuerung der Justiz und für deren Unabhängigkeit einsetzt.
Hat die Regierung denn ein Interesse an einer unabhängigen Justiz?
Nein, denn derzeit können ihre Vertreter tun und lassen, was sie wollen. Die Richter und Staatsanwälte tanzen nach ihrer Pfeife, so dass Mitglieder sozialer Organisationen, Menschenrechtler oder auch Journalisten kriminalisiert werden. Das hat zu einem Niveau an Straflosigkeit geführt, das unglaublich hoch ist. Honduras ist ein Land ohne Justiz, denn 96 Prozent der Delikte werden nicht geahndet.
Ohne die Zustimmung der Regierung haben Kommissionen wie die CICIG keine Arbeitsgrundlage. Dann wären sie kaum sinnvoll.
Das ist richtig und deshalb ist es nötig, dass sich der Druck von unten, aus der Bevölkerung, verstärkt. Es gibt keine Alternative, denn freiwillig werden die Eliten ihre Macht nicht abgeben. Sie haben derzeit fast alles unter Kontrolle.
In Guatemala gibt es neue Medien, die online gut recherchierte, oft investigative Artikel bieten und einen Gegenpol zu den etablierten Medien bilden. Gibt es ähnliches in Honduras?
Es gibt seit dem Putsch von 2009 gegen Präsident Manuel Zelaya eine ganze Reihe neuer unabhängiger Medien wie Criterio HN, Vos El Soberano oder Pasos de Animal grande, die ich selbst mit betreibe. Auf diesen Seiten bekommt man einen anderen Eindruck, was wichtige Themen in Honduras sind und wer wie agiert. Die Zahl der Leser nimmt zu, weil wir etwas anders bieten als die Medien, die sich in der Hand der zehn Familien befinden, die Honduras dominieren.
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Wir brauchen eine unabhängige Justiz, daran führt kein Weg vorbei. Heute gibt es Gesetze, die nur existieren, um die Arbeit von Journalisten zu verunmöglichen. Fast alles kann als für die nationale Sicherheit relevant definiert werden und damit kann die Herausgabe von Informationen an Journalisten verweigert werden. Die Realität in Honduras ist frustrierend, denn die Regierung versucht derzeit, auch auf die sozialen Netzwerke zuzugreifen, und diskutiert, ob Aussagen dort einen Straftatbestand erfüllen können. Wir sind auf dem Weg zu einer neuen Diktatur, denn alle Formen des Protests werden kriminalisiert. Das hat viel damit zu tun, dass Juan Orlando Hernández für eine zweite Amtszeit kandidieren will. Da ist Opposition nicht erwünscht.
Warum gibt es so wenig internationale Aufmerksamkeit für die Lage in Honduras?
Derzeit gibt es so viele internationale Krisen, dass unsere Situation trotz all unserer Bemühungen übersehen wird. Honduras ist nur ein kleines Land.
Mit »Libre« entsteht derzeit eine neue Partei unter Vorsitz des ehemaligen Präsidenten Zelaya. Ist das ein Hoffnungsschimmer?
Es gibt viele Leute, die ihre Hoffnungen in »Libre« setzen, aber die Partei tritt in eine Struktur ein, die es schon gibt, denn sie nimmt an den Wahlen unter den derzeitigen Bedingungen teil, die die Oligarchie seit Jahren begünstigen. Wie kann man so Wahlen gewinnen, frage ich. Wir sind die Mehrheit und wir müssen die Rahmenbedingungen so ändern, dass die Mehrheit auch wieder den Ton angibt.
Sie sind im September von einer Visite im Süden des Landes zurückgekommen. Wo waren Sie?
Ich habe eine Dozentin, die nebenbei als Journalistin arbeitet, im Süden von Honduras besucht, weil sie dort bedroht wird. Ich habe versucht, ihr Tipps zu geben, wie sie sich besser schützen kann. Die Kollegin arbeitet an einer Universität im regionalen Zentrum des Südens, in Choluteca, und wird dort systematisch überwacht. Der Rektor der Universität verhält sich wie ein Autokrat, spioniert und drangsaliert die Mitarbeiter wie ein Gutsherr und jedes Treffen wird kritisch von Wachschutzmitarbeitern registriert und überwacht. Es ist wie ein Überwachungsstaat im Kleinen und die, die sich wehren, werden eingeschüchtert.
Worum geht es genau, um gewerkschaftliche Organisation?
Genau, mehrfach wurden an der Universität Studierende sowie Dozentinnen drangsaliert, weil sie gewerkschaftlich tätig sind.
Wie viele Mitarbeiter der Universität betrifft das derzeit?
Drei Dozentinnen, aber es gab vor einigen Monaten auch einen Mord an einem Professor. Da laufen noch Untersuchungen und mir wurde berichtet, dass das Auto einer der Dozentinnen manipuliert worden sei.
Sie leiten das Programm »Demokratie und Journalismus«, das von der Universität York gesponsert wird. Haben Sie die Dozentinnen im Rahmen dieses Programms besucht und beraten?
Ja, genau. Es geht darum, besonders gefährdeten Gruppen zu helfen, darunter LGBT, Menschenrechtlern, Frauen und Angehörige schwarzer sowie indigener Gemeinden. An der Universität werden progressive Strömungen unterdrückt und Studierende genauso wie Lehrende eingeschüchtert, wobei sogar Berufskiller angeworben wurden. Die Situation dort, südlich von Tegucigalpa, ist schwierig und die Region gilt aufgrund ihrer Nähe zur Grenze auch als gefährlich, weil dort Drogenschmuggler operieren.
Unabhängiger Journalismus ist in Regionen wie Choluteca schwierig zu betreiben. Haben Sie den Kolleginnen und Kollegen dort auch Tipps gegeben, wie sie sich besser schützen und koordinieren können?
Ja, wir haben dort ein kleines Seminar organisiert und ich konnte mich dort leidlich frei bewegen, weil ich in Begleitung von zwei Freiwilligen der Internationalen Friedensbrigaden (PBI) unterwegs war.
Es gab ja auch immer wieder Drohungen gegen Sie persönlich.
Daran hat sich wenig geändert, denn wenn ich viel schreibe und in den Medien präsent bin, nehmen die Drohungen zu; wenn ich weniger publiziere, gehen sie zurück. Daran habe ich mich schon gewöhnt, aber neu sind die Attacken in den sozialen Medien. So läuft gerade eine Kampagne, die mich als korrupt diffamiert. Die andere Strategie ist, mir Trojaner und Viren zu schicken, aber darauf bin ich an der Universität von York vorbereitet worden und ich arbeite auch mit einem Techniker zusammen, der meine Rechner pflegt.