Wer unterhalten werden will, muss sich gruseln

Lieber creepy als flach

Der Horrorfilm vereint all das, wovor ­deine Eltern dich immer gewarnt haben.

Nichts ist flacher als Heiterkeit. Wenn etwa bei romantic comedies das Publikum außer diesem schrecklichen Grundgefühl und dem Taschentuch-Höhepunkt zum Ende des Films nichts mehr zu erwarten oder befürchten hat. Der Horrorfilm hingegen verspricht seit den ersten Stummfilmen das Gegenteil, nämlich Intensität. Manchmal auch Überraschung und psychotisches Kopf­kino. Das meiste, was im Kino nicht trivial daherkommt, trägt Horror in sich. Klassische Beispiele wären von keinem Cineasten angezweifelte Meilensteine wie »Psycho«, »Shining«, »Der Exorzist« – oder auch Indie-Klassiker mit eher räudigem Charme wie »Texas Chainsaw Massacre«, »Dawn of the Dead« oder »Halloween«.
Für Jürgen Kiontke ist selbst Woody Allens »Match Point« im Grunde ein Horrorfilm (Jungle World 51/2005). Und ohne Frage lassen sich die klaustrophobischsten Filme von Roman Polanski (»Ekel«, »Der Mieter«, »Rosemaries Baby«) und David Lynch (»Lost Highway«, »Eraserhead«) keinem anderen Genre besser zuordnen.

Guter Horror hat vor allem eine starke psychologische Komponente. Wichtiger als Blutorgien und Gewaltexzesse ist das schwer Fassbare: Nämlich alles, was »creepy« ist. Der Neuropsychologe Michael Stevens fragt in einem seiner Videoblogs, weshalb das Foto eines Teddybären mit mensch­licher Zahnprothese einen alarmierenden Anblick darstellt. Ist die »kognitive Dissonanz« die Antwort und damit auch Inhalt des antiquiert wirkenden Begriffs »Grusel«? Dass die Worte »terrific/terrible« sowohl verwandt als auch von gegenteiliger Bedeutung sind, erklärt Stevens mit ihrer Gemeinsamkeit, einen Zustand der Alarmierung oder mindestens intensiver Wahrnehmung zu beschreiben.
Eine »intensive Wahrnehmung« bietet allerdings auch der Tiersnuff im unsäglichen Exploitation-Film »Cannibal Holocaust«. Der Zuschauer muss sich erst einmal einlassen. Auf verstörende Filmkunst. Nicht auf die Einbahnstraße von realem Sadismus. Die ersten Horrorfilme, die ich sah, hatten trotz aller Verstörung auch einen beruhigenden Bezugspunkt der Identifikation. Mein erster Horror-Dealer war mein Latein-Nachhilfelehrer und er eröffnete mir im Alter von zehn Jahren den Zugang zur »Nightmare on Elm Street«-Reihe. Diese Filme schafften es nicht nur mit Humor eine Distanz zu den in abstrusen Traumwelten stattfindenden Tötungen herzustellen, sondern luden gleichzeitig zielgruppengerecht auch recht gefühlig zur Empathie mit den betroffenen amerikanischen Vorstadtteens ein. Sie stellten durch die Exklusivität ihrer Pubertät die einzige Opfergruppe dar, während die stets mit sich selbst beschäftigten Erwachsenen das Wissen der Jugendlichen ob der Gefährlichkeit ­ihrer innerpsychischen Prozesse (der Träume) als alterstypische Hysterie belächelten.
Im dritten Teil mordete Freddy Krueger unter den albtraumgeplagten Patienten einer psychiatrischen Einrichtung. Die Todesursache war stets die im Traum ausgeschmückte Version der persönlichen Neurosen der Opfer.

Amerikanische Studien der Achtziger und Neunziger glauben zumindest einen Zusammenhang zwischen Horror-Affinität und dem Persönlichkeitsmerkmal des sensation seeking ausgemacht zu haben. Das Merkmal umschreibt die Wertschätzung von »unkonventionellem Lebensstil« und »sozialer Stimulation«. Gemeint sind also Verhaltensweisen, die im klassischem Slasher-Film als häufigste Todesursache gelten: Promis­kuität, Drogenkonsum und Leichtsinn.
Von diesem Hedonismus weit entfernt ist der österreichische Filmemacher Michael Haneke. 1997 brachte er zum Start seines schwerverdaulichen Films »Funny Games« seine Abscheu gegenüber den Gewaltdarstellungen in US-Produktionen wie »Pulp Fiction« oder »Natural Born Killers« zum Ausdruck, ebenso die schwarzpädagogische Absicht seines eigenen Films: Dessen Zuschauer sollten leiden, anstatt unterhalten zu werden, sich am besten schuldig fühlen für das blutige Schicksal einer Familie in ihrem Ferienhaus, ermordet von zwei Jünglingen, welche nach eigenen Angaben zu viele »Gewaltvideos« gesehen haben.
Amüsant wäre es gewesen, wenn diese moralische Publikumsbestrafung selbst auf dem Index gelandet wäre. Denn in Deutschland kümmert sich die »Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien« seit Jahrzehnten um die Kriminalisierung von »Gewaltvideos«. Und das ebenso energisch wie um die Verfolgung von Volksverhetzung oder Kinderpornographie.
Bis heute auf dem Index steht unter anderem Sam Raimis Genreklassiker »Tanz der Teufel« (»The Evil Dead«), der bei seiner Prüfung vor 31 Jahren in eine Ecke mit dem Holocaust gestellt wurde. Mit Bezug auf die jüngere deutsche Geschichte wurde dem Low-Budget-Film »die Verharmlosung des Umfunktionierens von Gruppen von Menschen in Untermenschen« unterstellt.
Immerhin wurde die »Nightmare«-Serie nach Jahrzehnten vom Index genommen und mittlerweise ab 16 freigegeben. Nach zwei weiteren Kinofilmen und einem Remake startet kommendes Wochenende im amerikanischen Pay-TV eine späte Fortsetzung von »Evil Dead« als Fernsehserie. Antisemitismus ist auch darin nicht zu befürchten. Hoffentlich aber wird es creepy.