Mit einer neuen Methode kann DNA leichter umgeschrieben werden

Genetisches Lektorat

Mit dem neuen Verfahren CRISPR-Cas9 soll die einfache, gezielte und kostengünstige Veränderung von DNA möglich werden. Die Erbinformation von Pflanzen, Tieren und Menschen kann damit grundlegend umgeschrieben werden.

Um eine genetische Information umschreiben zu können, muss man sie erst einmal kennen. DNA sequenzieren und auslesen zu lernen, war ein erster wichtiger Schritt auf diesem Weg. Das menschliche Genom gilt mit dem erst 2003 abgeschlossenen Humangenomprojekt als vollständig sequenziert. Die Kosten für den jahrelangen Entschlüsselungsprozess lagen bei fast 100 Millionen US-Dollar pro Genom. Im vergangenen Jahr brachte der Marktführer Illumina eine Sequenziermaschine auf den Markt, mit der sich die Kosten der Genom-Entschlüsselung angeblich auf 1 000 US-Dollar (730 Euro) pro Genom reduzieren lassen.
Die Bezeichnung Entschlüsselung oder Gendiagnostik suggeriert, nun sei der »Code des Lebens« geknackt. Tatsächlich kann aber lediglich die Sequenz der aufeinanderfolgenden DNA-Basenpaare ausgelesen werden. Die Funktion großer Teile der DNA und ihr Zusammenspiel sind weiterhin unbekannt.

Nun gibt es eine neue Methode, mit der diese weitgehend uninterpretierte Information verändert und umgeschrieben werden kann. CRISPR-Cas9 ist ein antiviraler Abwehrmechanismus von Bakterien, der isoliert werden konnte und nun auch in Zellen anwendbar ist. Der Vorgang besteht darin, dass eine bestimmte Stelle im DNA-Strang mit Hilfe eines RNA-Codes gesucht wird. Dann wird der Strang an dieser Stelle durch das Enzym Cas9 aufgebrochen. Jetzt kann die entsprechende Stelle und damit die dort verortete Information gelöscht oder umgeschrieben werden.
CRISPR ist nicht die einzige Methode, mit der bestimmte Stellen in der DNA gefunden und ersetzt werden können, sie ist aber die bei weitem am einfachsten anzuwendende, billigste und schnellste. Ihre Anwendungsgebiete sind quasi unbegrenzt, Grundlagenforschung, das Entwickeln neuer Materialien und Medikamente und nicht zuletzt das Eliminieren genetisch bedingter Krankheiten wären möglich.
Forscher erhoffen sich Aufklärung über bisher wenig verstandene Genfunktionen. Durch das mögliche systematische Löschen bestimmter Geninformationen und die Beobachtung der Folgen können die Auswirkungen des fehlenden Gens auf die Zelle und den Organismus untersucht werden. Auch durch Wiederholungen einer Abschnittsänderung lässt sich deren Funktion besser verstehen. Darüber hinaus ist die Erschaffung von Energiepflanzen oder anderen nützliche Substanzen produzierenden Organismen denkbar. Pflanzen kann eine Infektionsresistenz eingeschrieben werden, Tiere können bezüglich ihres Wachstums optimiert werden – vorausgesetzt, man weiß, wo die entsprechende Information liegt. Auf die individuelle Genetik zugeschnittene Medikamente und gentherapeutische Verfahren an Körperzellen werden bereits diskutiert. Schließlich verspricht die Methode die Korrektur genetischer Information, dass vererbbare Behinderungen oder Krankheiten überschrieben und so verhindert werden könnten.
Schöne neue Welt? Der Ressortleiter Wissenschaft der Welt, Norbert Lossau, schreibt optimistisch: »Um 2050 spielen genetisch bedingte Erbkrankheiten keine Rolle mehr, alle Nutzpflanzen sind so optimiert, dass ihnen Schädlinge nichts mehr anhaben können und auch der Klimawandel die Erträge nicht schmälert. Eine übernationale Kontrollbehörde wacht darüber, dass die Möglichkeiten der Genchirurgie nicht dazu missbraucht werden, eine neue Menschenart zu schaffen. Denn technisch gesehen wäre der Homo sapiens in der Lage, seine Evolution selber in die Hand zu nehmen.«
Entscheidende Unterschiede zu herkömmlichen Methoden der gentechnischen Veränderung sind zum einem die Zielgerichtetheit des Verfahrens und zum anderen, dass es nach der Anwendung nicht mehr nachweisbar ist. Bei den bisher üblichen genverändernden Techniken kann nicht vorhergesagt werden, an welcher Stelle das neue Gen integriert wird. Dies kann zu unerwünschten Nebeneffekten führen. Der Integrationsort im Genom beeinflusst, wie stark und wie dauerhaft der Effekt ist oder ob die eingefügte Struktur überhaupt gelesen wird. Ein nicht gelesenes Gen kann seine Wirkung nicht entfalten. Andererseits können benachbarte Gene durch das neu integrierte Gen in ihrer Funktion beeinträchtigt werden.
Konventionelle gentechnische Züchtungsmethoden können nachgewiesen werden, da sie in der Regel Erbgutabschnitte von den als Transportmitteln benutzten Bakterien oder Viren hinterlassen. Das ist mit CRISPR-Cas9 oder in ähnlichen Verfahren veränderten Zellen nicht der Fall. Die US-amerikanische Firma Cibus hat jetzt eine neue Rapssorte auf den Markt gebracht, die mit einer der neuen Geneditierungsmethode entwickelt wurde. Cibus versteht diesen Raps nicht als gentechnisch verändert und möchte darum weder ein dementsprechendes Genehmigungsverfahren durchlaufen noch das spätere Produkt als gentechnisch verändert kennzeichnen müssen.

Entscheidend für die Bewertung sind das deutsche Gentechnikgesetz und die europäische Freisetzungsrichtlinie 2001/18. Mehrere gentechnikkritische Gruppen, darunter die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Save Our Seeds und Testbiotech, haben eine Unterschriftenkampagne initiiert, mit der Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) aufgefordert wird, die neuen Pflanzen als gentechnisch verändert zu betrachten und der Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht zu unterwerfen. Über 67 000 Menschen haben den Aufruf bis Mitte Oktober unterzeichnet. In einem offenen Brief fordert ein ähnlich orientiertes Bündnis, darunter der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, das Gen-ethische Netzwerk und das Umweltinstitut München, den Minister auf, sich auf europäischer Ebene für diese Interpretation einzusetzen. »Wenn DNA künstlich außerhalb eines Organismus erzeugt und in diesen Organismus eingeführt wird, so handelt es sich eindeutig um ein gentechnisches Verfahren«, heißt es im Brief.
Das Bündnis hatte eine Studie in Auftrag gegeben, die prüfen sollte, ob die neuen Editierungsverfahren zu gentechnisch veränderten Pflanzen führen oder nicht. Der Rechtswissenschaftler Ludwig Krämer kommt darin zu dem Schluss, die entsprechende EU-Richtlinie sei »prozessorientiert, nicht ergebnisorientiert«. Da das Ziel dieser Verfahren die Veränderung des Erbgutes sei, müssten ihre Produkte als gentechnisch verändert gelten. Die Richtlinie nehme zwar Techniken von der Zulassungspflicht aus, die »herkömmlich« angewandt werden und »seit langem als sicher gelten«. Davon könne bei den neuen Techniken jedoch nicht die Rede sein. Eine Nichtnachweisbarkeit an der späteren Pflanze dürfe keinen Einfluss auf diese Bewertung haben.
Ungeachtet dessen ist der veränderte Cibus-Raps in Schweden und Großbritannien bereits in Feldversuchen getestet worden – ohne Risikobewertung und ohne Beobachtung. Entsprechend sollen Produkte, die mit diesem Raps hergestellt und auf den Markt gebracht werden, auch nicht gekennzeichnet werden. Die Europäische Kommission will bis Ende dieses Jahres ihre rechtliche Einschätzung zu dieser Frage veröffentlichen, die dann für die Mitgliedsstaaten bindend sein wird.

Im April 2015 haben chinesische Forscher Medienberichten zufolge CRISPR-Cas9 an nicht entwicklungsfähigen menschlichen Embryonen ausprobiert. Allerdings habe die Technik keineswegs so zielgenau funktioniert wie allerorten behauptet. Problematisch scheint, dass nur ein Teil der anvisierten Zellen verändert wurde. Außerdem wurde die DNA keineswegs nur da geschnitten, wo es beabsichtigt war. Darüber hinaus kam es im Genom auch zu anderen als den beabsichtigten Veränderungen. Die Methode scheint also mehrere Probleme aufzuwerfen, die eher unter den Teppich gekehrt werden. Zahlen und Statistiken zur Häufigkeit dieser ungeplanten Abweichungen gibt es nicht, weder die Effektivität noch die Spezifität der Methode sind also bisher bekannt. Das hindert die meisten Forscher und Wissenschaftsjournalisten jedoch nicht, von der Genauigkeit der »Genschere« zu schwärmen, wenn es um andere Anwendungsbereiche als embryonale geht. Es ist jedoch höchst unwahrscheinlich, dass die Technik nur bei menschlichen Embryonen plötzlich unzuverlässig wird.
Angesichts dieser Ergebnisse haben Forscher in den renommierten Wissenschaftszeitschriften Nature und Science zu einem freiwilligen Forschungsmoratorium an der menschlichen Keimbahn, also an reproduktiven Zellen aufgerufen. Der freiwillige Verzicht auf dieses umstrittene Forschungs- und Anwendungsgebiet soll ausdrücklich dazu beitragen, die anderen Forschungsbereiche vor Kritik und möglichen Einschränkungen zu schützen. Die an nichtreproduktiven Zellen wie Blutkörperchen angewandte Technik könne revolutionäre Erfolge in der Heilung von HIV, Krebs und diversen Stoffwechselerkrankungen sowie Behinderungen ermöglichen, prophezeien die Forscher. Dies dürfe nicht durch die schlechte öffentliche Meinung über mögliche Designerbabys gefährdet werden.
Etwaige Langzeitfolgen solcher Manipulationen beim Menschen sind jedoch noch genauso wenig absehbar wie solche durch die Veränderung von Lebensmitteln. Derweil fördert das Bundesforschungsministerium Forschungsprojekte zu den ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten der Genom-Editierung mit bis zu 3,5 Millionen Euro.