Racial Profiling in Genzgebieten ist illegal

Staatlicher Rassismus vor Gericht

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat entschieden, dass verdachtsunabhängige Personenkontrollen der Bundespolizei in Grenzgebieten gegen EU-Recht verstoßen. Ein Betroffener hatte gegen eine Kontrolle im ICE nahe der französischen Grenze geklagt. Über Rassismus, den eigentlichen Gegenstand der Klage, wollte das Gericht nichts sagen.

Ilyas Ahadi* trug Anzug, hörte über Kopfhörer Musik und war der einzige Reisende mit dunkler Hautfarbe im ICE-Abteil der ersten Klasse zwischen Offenburg und Baden-Baden. Ahadi wurde in Kabul geboren, spricht Deutsch als Erstsprache und hat einen deutschen Pass. Er arbeitet für die staatliche Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Die Beamten der Bundespolizei forderten ihn in reduziertem Deutsch auf, sich auszuweisen. Als einzigen im Abteil. Sie nahmen seinen deutschen Pass und nahmen einen sogenannten Datenabgleich vor, das heißt, sie prüften, ob der Pass in Ordnung ist und nichts gegen dessen Inhaber vorliegt. Es lag nichts vor. Eine entwürdigende Erfahrung für den heute 30jährigen Ahadi, mit der er nicht allein ist. Wer regelmäßig in Schnellzügen im Grenzbereich der Bundesrepublik unterwegs ist und seine Umgebung beobachtet, weiß, dass meist Menschen mit dunkler Hautfarbe solchen Kontrollen unterzogen werden. Fahrgäste, die so aussehen, wie sich der deutsche Durchschnittspolizist einen Durchschnittsbürger der EU vorstellt, werden nicht behelligt. Ahadi reichte Klage ein. Er fühlte sich rassistisch diskriminiert. Ende Oktober, knapp zwei Jahre nach dem Vorfall, hat das zuständige Verwaltungsgericht Stuttgart nun entschieden, dass die Kontrolle Ahadis rechtswidrig war. Kontrollen dieser Art seien grundsätzlich nicht mit dem europäischen Recht vereinbar, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts, dessen Urteilsbegründung noch nicht veröffentlicht ist. »Das ist eine sehr gute Nachricht«, sagt Vera Egenberger, Geschäftsführerin des Büros zur Umsetzung von Gleichbehandlung e. V. (BUG) der Jungle World. Das BUG hat Ahadi bei seiner Klage unterstützt. Der Verein ist spezialisiert auf die Unterstützung strategischer Prozessführung in Diskriminierungsfällen, wobei Fälle von racial profiling einen Schwerpunkt der Arbeit bilden. Der Europäische Gerichtshof hatte bereits 2010 für einen Fall in Frankreich entschieden, dass verdachtsunabhängige Kontrollen im Grenzgebiet eine faktische Wiedereinführung von Grenzkontrollen bedeuten. Sie seien daher nicht mit dem europäischen Recht vereinbar und folglich unzulässig. »Erstmalig«, so Egenberger, »hat sich in Deutschland ein Gericht auf dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofs berufen.« Das sei keine Kleinigkeit. Danach ist Absatz 3 des Paragraphen 23 des Bundespolizeigesetzes, der verdachtsunabhängige Kontrollen in bis zu 30 Kilometern Entfernung von den Bundesgrenzen erlaubt, grundsätzlich rechtswidrig. Die Identitätsfeststellung von Ahadi war es deshalb auch. Die »Schleierfahndung« – so bezeichnet, weil sie der Polizei ermöglicht, in einem Schleier hinter der Grenze Kontrollen durchzuführen – wurde als Ersatz für die durch das Schengen-Abkommen in den neunziger Jahren nicht mehr zulässigen Grenzkontrollen eingeführt. Genau das beanstandete nun das Stuttgarter Gericht. Die Richter argumentierten, die Praxis verstoße gegen den Schengener Grenzkodex. Der erlaubt Kontrollen lediglich in Form von Stichproben, nicht aber systematische Kontrollen. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Egenberger geht davon aus, dass »sich das Ganze noch etwas hinziehen kann«, weil die Bundespolizei voraussichtlich in Berufung gehen werde. Entscheidend sei, dass die Rechtsgrundlage wankt, auf der die rassistische Diskriminierung fußt. Im Falle einer Bestätigung des Urteils wäre dem racial profiling in Grenznähe eine wichtige rechtliche Grundlage entzogen. Deutlich weniger enthusiastisch klingt Tahir Della von der »Initiative Schwarze Menschen in Deutschland« (ISD). Er begrüßt es, dass das Gericht die Praxis der verdachtsunabhängigen Kontrollen für unzulässig erklärt hat. Urteile wie dieses würden in der Praxis dazu führen, dass die Zahl rassistischer Kontrollen abnehme. Della findet, es gebe ein gesteigertes gesellschaftliches Bewusstsein für das Problem des racial profiling, das sich auch in den Entscheidungen von Gerichten niederschlage. Trotz drohender Anzeigen durch die Polizei wegen Beleidigung waren in den vergangenen Jahren immer mehr Betroffene bereit, sich gegen diese Form von institutionellem Rassismus juristisch zur Wehr zu setzen. Inzwischen ist auch ein Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen, Anwälten und Anwältinnen, die zu Fällen von racial profiling arbeiten, entstanden. Vor diesem Hintergrund ist das Urteil für Della »sicherlich ein Erfolg«. Allerdings führe die europarechtliche Argumentation des Gerichts dazu, dass das zentrale Anliegen des Klägers und der ISD im Urteil nicht behandelt werde. Ziel der Klage sei schließlich nicht gewesen festzustellen, ob der Kläger zu gründlich kontrolliert wurde, sondern ob eine rassistische Kontrolle stattgefunden habe. Weil das Gericht den Fall als eine unerlaubte Grenzkontrolle gewertet habe, musste es sich nicht mit der Frage beschäftigen, ob es sich bei der Praxis der Kontrollen um eine Form von institutionellem Rassismus handele oder nicht. Das sei aber die zentrale Frage. Das Stuttgarter Urteil reiht sich in eine juristische Entwicklung ein, die in Fällen von institutionellem Rassismus auf andere Prozessstrategien ausweicht, um nicht über die grundsätzliche Frage entscheiden zu müssen, ob racial profiling gegen das Grundgesetz verstößt. In Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes heißt es, dass niemand wegen »seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft« benachteiligt werden dürfe. Tatsächlich steht dort der Begriff »Rasse«. Ganz so, als sei es völlig selbstverständlich oder akzeptabel, Menschen analog zu Hunden oder Pferden nach Rassen zu unterscheiden, solange man sie deshalb nicht besser oder schlechter behandelt. Dabei handelt es sich um Rassismus, wenn bei Polizeikontrollen in erster Linie der Phänotyp entscheidet, ob kontrolliert wird oder nicht. Dass solche Praktiken gegen das zitierte Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes verstoßen, stellte zuletzt auch das Deutsche Institut für Menschenrechte in seinem Bericht an den Antirassismusausschuss der Uno fest. Bereits im Februar 2012 war ein deutsches Gericht zu dieser Auffassung gelangt. Das Verwaltungsgericht Koblenz hatte in einem ähnlichen Fall befunden, dass Kontrollen aufgrund der Hautfarbe von Zugreisenden gegen Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes verstießen. An der Kontrollpraxis änderte das nichts, da in dem konkreten Fall kein Urteil gefällt wurde – die Bundespolizei gestand ein Fehlverhalten ein, übernahm die Prozesskosten und der Fall galt damit rechtlich als erledigt. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, kommentierte das so: »Man sieht wieder einmal, die Gerichte machen schöngeistige Rechtspflege, aber richten sich nicht an der Praxis aus.« »Auf Fälle von racial profiling, die auf einer anderen Rechtsgrundlage als der in Paragraph 23 Absatz 1 Nummer 3 des Bundespolizeigesetzes enthaltenen Berechtigung basieren, in Grenzgebieten bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern Personenkontrollen durchzuführen, hat das Stuttgarter Urteil leider keine Auswirkung«, sagt Michael Plöse, Lehrbeauftragter für Staats- und Verwaltungsrecht an der Berliner Humboldt-Universität und Experte für Polizeirecht. Auch wenn das Urteil Bestand habe, blieben andere Regeln des Polizeigesetzes intakt, die racial profiling weiter ermöglichten. Als Beispiel nennt Plöse Paragraph 22, dessen Absatz 1a der Bundespolizei Befugnisse verleihe, die sich für den juristisch ungeschulten Blick kaum von denen des Paragraphen 23 unterscheiden. Er ermächtigt die Bundespolizei, Personen in Bahnhöfen, Zügen und Flughäfen auch außerhalb des Grenzgebietes ohne konkreten Anlass und Einzelverdacht zum Zweck der Migrationskontrolle zu kontrollieren. Sie darf dazu Personen anhalten, befragen und nach der Befragung gegebenenfalls deren Ausweispapiere verlangen sowie mitgeführte Gegenstände in Augenschein nehmen. Diese Konstellation lag sowohl dem Koblenzer Gerichtsverfahren als auch einem weiteren Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln im Jahr 2013 zugrunde. Während die Bundespolizei im Koblenzer Verfahren strategisch geschickt ein Urteil verhindert hatte, war es in Köln das Gericht selbst, das sich um eine Entscheidung zum racial profiling herumdrückte. »Erfolgreich« geklagt hatte hier ein deutsch-iranischer Rechtsanwalt, der die Demütigung, als einziger Reisender kontrolliert zu werden, nicht auf sich sitzen ließ. Da der Kläger nicht zuerst befragt, sondern sogleich und ausschließlich aufgefordert wurde, sich auszuweisen, habe es sich bei der durchgeführten polizeilichen Maßnahme nicht um eine Befragung, sondern um eine reine Identitätsfeststellung gehandelt, so die Richter in Köln. Die Polizei, die ihr Handeln selber auf Paragraph 22 und nicht auf Paragraph 23 gestützt hatte, hätte also die falsche Rechtsgrundlage gewählt. Die Frage, ob die Kontrolle nach rassistischen Kriterien erfolgte, spielte daher im Urteil wieder keine Rolle. Der Kläger gewann zwar den Prozess, bekam aber nicht die gewünschte Anerkennung seiner Behandlung als diskriminierende Kontrollpraxis. Der Jurist Plöse findet es angesichts dessen bemerkenswert, dass die deutschen Gerichte, indem sie partout vermeiden wollen, den gerichtlich ohnehin schwer nachweisbaren institutionellen Rassismus anzugehen, und statt dessen immer strengere Maßstäbe an das polizeiliche Handeln legen, die Rechtsgrundlagen des innerstaatlichen Post-Schengener Grenzregimes »Stück für Stück« aushöhlen. *Name von der Redaktion geändert.