Hajo Funke im Gespräch über die Rechtsradikalisierung der AfD

»Das rechte Netzwerk macht mobil«

Hajo Funke, ein Experte für Deutschlands extreme Rechte, hat sich auf der Demonstration der »Alternative für Deutschland« (AfD) in Berlin umgesehen, die unter dem Motto »Rote Karte für Merkel« stand. Im Anschluss sprach er mit der Jungle World über Populismus, Pegida und den NSU.

Wie war Ihr Eindruck von der AfD-Demonstration?
Es waren vielleicht 4 000 oder 5 000 Teilnehmer, keineswegs nur Rechtsextreme, aber auch Rechtsextreme. Da sie aus ganz Deutschland oder zumindest aus Dresden, Erfurt und Chemnitz gekommen sind, ist das eher ein Zeichen der Grenzen der AfD and die sie auch in Erfurt stößt, wie man an der rückläufigen Zahl der Demonstranten merkt.
Sie haben sich auch mit Teilnehmern unterhalten?
Ein Mann aus Erfurt hatte – und das erlebe ich öfter, wenn ich mit solchen Leuten rede – vor allem Angst ums Geld. Dass Geld verschwendet und dadurch Deutschland gefährdet wird. In schärferen Versionen hat man das als Neid: Die kriegen mehr und anderes als wir. Ein anderer Teilnehmer, der Protest formulieren wollte gegen die Politik Merkels, äußerte sich klassisch rechtspopulistisch: »Wir haben was gegen die Regierung, Merkel muss weg. Und wir haben was gegen den Zustrom von Flüchtlingen.«
Wie analysieren Sie die Reden von Beatrix von Storch und Alexander Gauland?
Storch war eher klassisch rechtspopulistisch – wir sind die Alternative und wissen es besser. Gauland ist dagegen absolut radikalisiert. Das ist nicht mehr rechte CDU und auch nicht mehr rechtspopulistisch. Das ist die Entfesselung des Ressentiments sowohl gegen die Flüchtlinge wie auch gegen die Regierung.
Gauland war auffällig aggressiv – zum Beispiel sagte er, Merkel solle es Brecht gleichtun. Wenn sie sich bei ihrem Volk nicht mehr wohl fühle, solle sie sich ein neues suchen. Übersetzt heißt das doch: Wenn wir an der Macht sind, muss Merkel ins Exil, so wie Brecht vor den Nazis fliehen musste. Beim Hass auf die politischen Gegner verschwimmen auch die Grenzen zwischen Neonazis und besorgten Bürgern. Gaulands Folie war, sozusagen die Gefahren der nationalsozialistischen Geschichte Merkel zu unterstellen – Größenwahn und Sonderweg, der zum Unheil führt, zerstören das Volk. Das ist klar rechtsradikal und wenn man es zusammennimmt mit den Ansichten zu Flüchtlingen auch rassistisch. Er instrumentalisiert die nationalsozialistische Verbrechensgeschichte, indem er sagt, ihr seid größenwahnsinnig und der Sonderweg führt zum Unheil. Es gab auch die rhetorische Figur, dass die etablierten Parteien nicht das Volk repräsentierten.
Wir erleben gerade eine Welle rechter Gewalt in Deutschland. Wie ist denn das Verhältnis der AfD zu Pegida?
Pegida fing vor einem Jahr an und hat das Ressentiment entfesselt, Lutz Bachmann hat Flüchtlinge als »Gelumpe« und »Viehzeug« bezeichnet. Er ist bis heute der Pegida-Chef und hat sich von diesen Äußerungen nie distanziert. Wir haben den klassischen rechtspopulistsichen Dreisatz: Kritik am Establishment der Altparteien, wir sind das Volk, das wir aufrufen und das wir nach unseren Vorstellungen definieren und dessen Wut und Kritik wir aufgreifen, um es gegen die Flüchtlinge, die Deutschland gefährden, anzuführen. Innerhalb von drei Monaten nach dem ersten Auftritt Pegidas gab es eine Verdoppelung der Gewalt gegen Flüchtlingsunterkünfte und Flüchtlinge. Und das ist bezeichnend für die Situation von Rechtspopulisten in Deutschland. Sie werden unterwandert. Pegida wirft einen braunen Schatten aus NPDlern, Anhängern von Parteien wie »III. Weg« und »Die Rechte« und einer Mischszene aus nicht in Parteien organisierten Rechtsextremen und Hooligans. Sie sind präsent auf den Demonstrationen und radikalisieren sie.
Die AfD hat versucht, moderat zu spielen mit Bernd Lucke. Er hat eine Doppeltatktik gefahren, auf der einen Seite nur den Protest formiert, aber zum andern zugelassen, dass viele aus rechtsextremen Parteien in die AfD geströmt sind. Wir haben bei der AfD einen Trend ins Rechtsradikale. Das wird besonders sichtbar am Beispiel von Björn Höcke. Er schafft ein symbiotisches Verhältnis zwischen sich und der Menge. Er radikalisiert die Sprache, indem er von Syrern spricht, die kommen und dadurch Deutschland zerstören. Er sagt, die Syrer bringen ihre Heimat mit – ziemlich infam, diese Formulierung, angesichts der Zerstörung ihrer Heimat – und zeigt zugleich, indem sie sie mitbringen, verlieren »wir« unsere Heimat. Das heißt, er sieht die Tatsache, dass Flüchtlinge kommen, als Ursache für den eigenen »Volkstod« an. Und das ist die Sprache der extremen neuen Rechten, der Gruppe um Götz Kubitschek und andere. Und der ist in Thüringen mitten in der Partei. Wir haben momentan beide Richtungen in der Partei – die vorsichtige rechtspopulistische Linie gegenüber Merkel und der Politik, aber zugleich auch immer die Ablehnung der Flüchtlinge, mal moderater, mal entschieden. Und rabiat und rassistisch, wie Gauland und Höcke.
Was hat sich seit der Spaltung der AfD in der Partei getan?
Es gab eine Radikalisierung. Im Grunde haben wir einen Prozess der Rechtsradikalisierung im Personal, in der Demonstrationspraxis und in der Rhetorik. Der Rechtspopulismus wird von noch weiter rechts unterwandert.
Was ist mit den organisierten Neonazikadern?
Die gehen nicht in die Partei. Die schließen sich mal taktisch einer Demonstration an, mischen mit, heizen an. Was wir sehen, ist, dass sich im Schatten dieser Pegida-Bewegung die Rechtsextremen breit machen. Für die Neonazi-Szene ist das alles natürlich das gefundene Fressen. Die wittern ihre Chance. Jetzt ist es Zeit zu mobilisieren, jetzt ist es Zeit, die nationale Revolution zu versuchen. Das ist wie in den neunziger Jahren.
Der Vergleich wird ja häufig gebraucht. Wie unterscheidet sich die heutige Situation von der in den neunziger Jahren?
Es gibt mehr Differenzen als Ähnlichkeiten. Die Ähnlichkeit bezieht sich auf die Mobilisierung der gewaltbereiten Neonaziszene. Die sehen erneut eine Chance. Die Situation ist ganz anders als in den frühen neunziger Jahren, aber mit ähnlichen Effekten in der Gewalteskalation. Das ist wirklich ein Problem. Die Mehrheit der Gesellschaft ist aber sehr viel demokratischer geworden und Migration wird viel eher akzeptiert. Die Politik ist sich weniger uneins, wenn es darum geht, die Probleme von Bürgerkriegsflüchtlingen ernst zu nehmen und Flüchtlinge aufzunehmen. Die Polizei ist aber nur wenig besser aufgestellt. Gerade in Ländern wie Sachsen zeigen sich die alten Schwächen. Sie haben damals die Neonazis verharmlost und tun das heute wieder. Sie sind nicht einmal in der Lage, die Eskalation in Heidenau zu verhindern: Vier Tage lang haben sie gegenüber rassistischen Krawallen einen völligen Blackout, so dass man annehmen muss, dass diese auch bewusst hingenommen worden sind.
Sollte der Staat repressiver gegen die AfD vorgehen? Eine Beobachtung oder gar das Verbot erwägen?
Manche diskutieren, dass der Verfassungsschutz die AfD wegen der zunehmenden Unterwanderung durch Rechtsextremisten beobachten soll. Verbotsstrategien müssten aber sehr gut durchdacht sein, wenn sie eine Wirkung haben sollen. Sie müssen die Wirkung haben, die Gewalt, die Ideologie und die Hetze einzudämmen. Man muss vor Ort die Sicherheitsbehörden dazu bringen, das Nötige zu tun.
Im Windschatten von AfD und Pegida findet derzeit eine Gewaltesakaltion statt. Die Epizentren sind mehr oder weniger dieselben Gegenden, in denen der NSU schon aktiv war – Bayern, Nordrhein-Westfalen, man denke nur an die Messerattacke in Köln – oder sein Rückzugsgebiet hatte – Sachsen, Thüringen. Ist hier das ganze alte Netzwerk wieder aktiv geworden?
Teilweise natürlich. Das terroraffine rechte Netzwerk ist nicht zerschlagen - das habe ich schon in meinem Buch, »Staatsaffäre NSU« geschrieben, und das hat auch das Antifaschistische Pressearchiv (Apabiz) jüngst sehr gut beschrieben. Es macht mobil. Gerade Gruppierungen wie die Partei »Die Rechte« mit der Anschlagsplanung in Bamberg oder auch die Partei »III. Weg« sprechen dafür. Da, wo man schon mal ist, da, wo man schon etabliert ist und Kontakte hat, wie in Köln, wie in Dortmund, wie rund um Nürnberg, wie in der Gegend um Saalfeld, Jena, Dresden, da kann man schneller wieder starten.
Was muss man tun?
In der großen Politik muss die Show aufhören. Es gibt ein echtes Flüchtlingsproblem und das besteht darin, dass Millionen von Menschen in der Türkei, im Libanon und Jordanien unter entsetzlichen Bedingungen leben. Warum werden die dort dringend benötigten Milliarden nicht aufgebracht? Warum tut man nicht alles, um diesen Krieg endlich zu beenden? Mit dem entsprechenden politischen Willen wäre das machbar.
Und wie sollte mit der AfD umgegangen werden?
Die Politik muss mit der Angst und den sozialen Problemen der Leute umgehen und sich strikt davor hüten, mit Angstmache zu operieren. Die meisten dieser Leute haben echte Probleme, deren Ursache häufig eine andere ist als die, gegen die sie unter irgendwelchen rassistischen Parolen durch die Straße ziehen. Die Verbitterung, Entfremdung und soziale Ungerechtigkeit muss man ansprechen. Auf Verbitterung und Enttäuschung floriert der Neid. Der wird dann mobilisiert und die bestehenden Ängste werden rassistisch aufgeladen. Der Feind sind dann die Flüchtlinge und die Merkel im fernen Berlin. Die Exzesse in der Mobilisierung, der Rhetorik und der Gewalt muss man mit allen Mitteln des Rechtsstaats angehen. Man darf nicht zulassen, dass jemand hetzt, ohne dass die Polizei das unterbindet.
Man muss einschreiten und zeigen: Hier nicht!