Die Halbe Miete kehrt zurück

Berlin Beatet Bestes. Folge 314.

Am Wochenende lud Franky meine Trommel ins Auto und auf ging’s nach Charlottenburg-Nord. Die Halbe Miete hatte mal wieder einen Gig. Die Gegend ist das echte Berlin, nicht das Fantasy-Berlin der Touristen und Zugezogenen. Hier leben hauptsächlich Berliner, also solche, die auch in der Stadt geboren sind. Wer sich so richtig nach dem alten Westberlin vor dem Fall der Mauer sehnt, kann sich das ja mal angucken. Das einstmals isolierte Kreuzberg der Einstürzenden Neubauten mag es nicht mehr geben, hier in Charlottenburg-Nord stehen die alten Neubauten noch. Jedenfalls laufen in der kleinen Einkaufspassage, in der wir spielen sollen, keine Touristen rum und keine Hipster, nicht mal junge Leute. Es ist sehr uncool in der Einkaufspassage, aber darauf ist die Halbe Miete schließlich spezialisiert. Franky hat mit seiner anderen Band sogar schon mal im Altersheim gespielt, einer der interessantesten Auftritte einer Band, die ich je gesehen habe. Glückliche Greise haben zu »Pack die Badehose ein« in den Rollstühlen gerockt.
Jetzt bauen wir erst mal auf, besorgen Verlängerungskabel und holen aus der Apotheke den Strom für Frankys kleinen Verstärker. Wir spielen direkt vor der Apotheke. Es fühlt sich an, als wären wir Straßenmusiker, obwohl dieser Gig gut bezahlt wird. Wir spielen für eine Berliner Wohnungsbaugesellschaft, die sich in verschiedenen Berliner Bezirken sozial engagiert. Heute wird eine Bücherzelle eingeweiht. Die entkernte Telefonzelle ist jetzt vollgestopft mit Büchern und soll Passanten zum Lesen anregen. Das Prinzip: Nimm ein Buch und lass’ eines da. Die Einweihung soll das Viertel auch kulturell ein bisschen beleben, dafür gibt es Livemusik von uns, der Halben Miete. Vor unserem Auftritt werden noch verschiedene kurze Ansprachen gehalten. Alle wollen gewürdigt werden. Man spürt, wie sehr die hier anwesenden, überwiegend älteren Menschen an ihrem Viertel hängen. Es soll nicht veröden. Da soll auch mal was los sein in der Einkaufspassage. Während Straßenmusiker in meinem Kiez eher nerven, weil man eigentlich permanent beschallt wird, wenn man in einem Café sitzt, scheinen sich die Bewohner hier auf unsere Musik zu freuen.
Dann geht’s endlich los. Wir spielen einen Hit nach dem anderen, oder besser, Franky spielt einen Hit nach dem anderen, denn mein Zutun beschränkt sich darauf, ihn rudimentär zu begleiten. Schnell haben wir einen Fan, eigentlich unsere einzige aktive Zuhörerin, eine Frau mit einer leichten geistigen Behinderung, die sich direkt vor uns hinstellt und tanzt. Und auch schon mal versucht mitzutrommeln. Ein Betreuer ist nicht in Sicht, nebenan am Tisch sitzt ihr Freund, auch ein Mensch mit geistiger Behinderung. Er wünscht sich was von Creedence Clearwater Revival und das spielen wir natürlich sofort. Und danach noch die Titelmelodie aus »Wickie«. Kommt sehr gut an. Nach zwei Stunden ist Schluss. Wir packen zusammen und fahren zurück nach Kreuzberg. Das sozial engagierte Musizieren im echten Berlin hat Spaß gemacht.