Die Montagsmahnwachen in Halle

Die Urbevölkerung mahnt

Seit Wochen entwickelt sich die sogenannte Montagsmahnwache in Halle zu einem großen Stelldichein des rechten Milieus der Region.

Bei den sogenannten Montagsmahnwachen in Halle versammelten sich seit Beginn Verschwörungstheoretiker, Reichs- und Wutbürger, Anhänger der Alternative für Deutschland (AfD) sowie politisch anderweitig desorientierte Menschen. Neu ist die regelmäßige Teilnahme von Figuren aus der Kameradschaftsszene sowie dem Hooligan- und Rockermilieu. Auch Anhänger der »Identitären Bewegung« tauchen hin und wieder auf.
Noch zu Beginn des Jahres galten die »Montagsmahnwachen« in Halle als Lachnummer. Die wöchentliche Kundgebung war auf eine niedrige zweistellige Teilnehmerzahl geschrumpft. Insbesondere der Ableger »Engagierte Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas« (Endgame) wirkte in seiner Sektenhaftigkeit skurril. Selbst vom Neonazi Alexander Kurth aus Leipzig ist mittlerweile bekannt, dass er zwar den Antisemitismus von »Endgame« schätzt, deren Anhänger allerdings »vor zehn oder 15 Jahren noch verprügelt« hätte. So galt die Montagsmahnwache längere Zeit als Treffpunkt für ein kleines Häuflein nicht weiter ernstzunehmender Verschwörungstheoretiker.

Im Zuge der bundesweiten Debatte um steigende Flüchtlingszahlen hat sich dies jedoch geändert. In Ermangelung eines Ablegers von Pegida in Halle versammelten sich auch rassistische Wutbürger montags auf dem Marktplatz. Diejenigen, die sich zu früheren Gelegenheiten schon dort getroffen hatten, griffen das Flüchtlingsthema dankbar auf. Sie verweisen seitdem darauf, dass nur auf der Montagsmahnwache die »Flüchtlingsursachen« angesprochen würden: Die Kriege der USA und der Nato würden auf Betreiben von »Finanzeliten« geführt, um »Flüchtlingsströme« auf den europäischen Kontinent und vor allem nach Deutschland zu lenken. Dies solle die europäischen Nationalstaaten und Volkswirtschaften destabilisieren und so den Widerstand gegen die Amerikanisierung brechen.
Bei dem Redner Donatus Schmidt etwa hörte sich das Anfang Oktober folgendermaßen an: »Es ist nur noch eine kleine Elite, die die Macht und das Geld hat, die Menschheit von hier nach da zu schieben, sie so zu beeinflussen, dass sie nicht mal mitbekommt, dass sie ausgerottet wird. Ja, das klingt jetzt vielleicht hart, aber wir werden momentan ausgerottet. Denn die wahre Bevölkerungszahl der Deutschen, der Urbevölkerung dieses Landes, nimmt rapide ab.« Er fuhr fort, es gehe nun darum, »unser Land zu schützen, Europa zu schützen und jedes einzelne Land davor zu bewahren, dass alles zusammenbricht«. Redner der Montagsmahnwachen setzen so den ethnopluralistischen Duktus der französischen »Nouvelle Droite« zwischen diffuser Friedensrhetorik und der Beteuerung, weder »altlinks noch neurechts« zu sein, gezielt ein, um die rechtsextreme Anhängerschaft von »Identitärer Bewegung« bis »Brigade Halle« bei der Stange zu halten.
Um Menschen außerhalb des Milieus der Mahnwachen zu erreichen, dürfte ein weiterer Faktor ganz entscheidend sein: die Vernetzungs- und Öffentlichkeitsarbeit des ehemaligen Kaders von Blood & Honour, Sven Liebich. Mit seinem Online-Auftritt Halle-leaks.de versucht er sich in Anlehnung an Wikileaks als Whistleblower zu inszenieren. Statt wie früher »For Blood & Honour of the White Race« heißt es nun »Werdet Whistle­blower – Helden von heute«. Die Feindbilder sind jedoch dieselben. Bei Halle-leaks.de werden Gerüchte über Flüchtlinge und deren Unterstützer verbreitet. Die Seite ist interaktiv, jede und jeder kann Beobachtungen und Vermutungen einsenden, die dann veröffentlicht und weiterverbreitet werden. So wird beispielsweise aus Baumschneidearbeiten am Straßenrand die Renovierung eines Gebäudes für ein kommendes Flüchtlingsheim oder aus einer Schlägerei zwischen zwei Deutschen vor einer Niederlassung der Zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge ein Doppelmord unter Asylbewerbern. Die Wut des Mobs entzündet sich wie von selbst, Liebich leitet sie zielgerichtet zur Montagsdemonstration weiter.

Der umtriebige Mann war in den neunziger und nuller Jahren eine Führungsfigur der neonazistischen Szene in Halle. Er betrieb mehrere Ladengeschäfte und Versandfirmen mit einschlägigen Waren, war verantwortlich für den »Rundbrief der Blood & Honour-Sektion S.A.« und schrieb gemeinsam mit dem als V-Mann »Corelli« bekannt gewordenen Thomas Richter für den »Nationalen Beobachter Halle«. In einem Artikel der Mitteldeutschen Zeitung wurde er vor zwei Jahren als »rechter Aussteiger« dargestellt. Dabei hat er sich von dieser Szene nie völlig getrennt. Nach dem vermeintlichen Ausstieg Ende der nuller Jahre bot er beispielsweise weiterhin Devotionalien für das Nazi- und Hooliganmilieu an. Auch auf Facebook lassen sich seine Kontakte zu entsprechenden Personen nachvollziehen.
Doch erst seit dem Frühling 2014 betätigt er sich wieder politisch in der Öffentlichkeit. Damals unterstützte er die Montagsmahnwache in Halle mit Ratschlägen bei ihrem Aufbau, hielt sich jedoch zunächst im Hintergrund. Die Montagsmahnwache dürfte ihm als geeigneter Anlass erschienen sein, um weiterhin gegen die alten Feinde zu agitieren. Schon zu Zeiten des Zweiten Irak-Kriegs hatten Nazis um Liebich in Halle, Magdeburg und Dessau an bürgerlichen Friedensdemonstrationen mit der Parole »USA – Internationale Völkermordzentrale« teilgenommen.
Inzwischen zeigt sich Liebich ganz offen als treibende Kraft hinter der Montagsmahnwache. Eine Woche nach der ethnopluralistischen Erweckungsrede von Donatus Schmidt führte er – wie zu alten Zeiten – eine Spontandemonstration durch die Hallesche Innenstadt an. Unter Rufen wie »Wir sind das Volk«, »Lügenpresse« und vereinzelt »Wir wollen keine Asylantenheime« zogen die Kameradschaft »Brigade Halle«, AfD-Anhänger, Hooligans und Wutbürger durch die Straßen. In derselben Nacht brach in einem Café, in dem regelmäßig ein Stammtisch für Flüchtlinge stattfindet und das nicht weit entfernt vom Kundgebungsort liegt, ein Feuer aus. Es gilt mittlerweile als sicher, dass es sich um Brandstiftung handelt. In der darauffolgenden Woche konnten die Bündnisse »No Halgida« und »Halle gegen rechts« erstmalig wieder eine größere Zahl von Menschen zum Protest bewegen. Trotzdem wurde das Café erneut angegriffen, diesmal ging eine Scheibe nach einem Steinwurf zu Bruch. Zudem wurden Demonstranten von Neonazis durch die Straßen gejagt.

Nach diesen Gewalttaten betreiben die Organisatoren der Montagsmahnwache nun Imagepflege. Ein großer Teil der Redezeit wird darauf verwendet, sich von Rechtsextremen zu distanzieren und die eigene Klientel aufzufordern, friedlich zu bleiben. Außerdem werden Redner mit Migrationshintergrund aus westdeutschen Bundesländern eingeladen, um zu zeigen, dass die Mahnwachen nicht rassistisch seien. Im Internet herrscht dagegen weiterhin ein rauer Ton vor: Antifaschistischen werden persönlich verunglimpft, ihre Namen und Adressen veröffentlicht.
Mittlerweile treffen sich regelmäßig etwa 400 Leute zur Montagsmahnwache. Und trotz der Vorfälle übt sie weiterhin Anziehungskraft in die »Mitte der Gesellschaft« aus. Empörte Bürger stehen neben Hippiefrauen, sogenannten Truthern und Esoterikern, zu denen sich wiederum etliche Hooligans, Neonazis und auch Personen aus dem Rockermilieu gesellen. Die Frage bleibt, wie lang letztere sich damit begnügen werden, in der Kälte auszuharren und Reden über den Frieden anzuhören, statt als Mob vor eine Flüchtlingsunterkunft zu ziehen.