Die Neuregelung der Sterbehilfe

Fünf Zeilen für ein Halleluja

Der Bundestag hat die Gesetze zur Sterbehilfe sowie zur Palliativ- und Hospizversorgung neu geregelt. Großer Verbesserungsbedarf besteht weiterhin.

Am Freitag vergangener Woche um 13.30 Uhr war Schluss. Nach zwei Stunden endete die Bundestagsdebatte über eine neue gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe. Ein Jahr lang war ausführlich darüber diskutiert worden. Nun wird die Neuregelung im Gesetzestext nur etwa fünf Zeilen umfassen.
Die Zeilenanzahl lässt in diesem Fall Rückschlüsse auf den Inhalt zu: Es ändert sich wenig. Zu den bestehenden Regelungen kommt lediglich ein neuer Paragraph hinzu, der die »geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung« unter Strafe stellt. Die ersten Reaktionen auf Twitter waren denn auch alles andere als wohlwollend oder zustimmend. »Schon spannend, wie wenig sich eine achtzigprozentige Unterstützung in der Bevölkerung im Bundestag wiederfindet«, twitterte die Nutzerin PL. Offenbar war sie, wie anscheinend viele andere Bundesbürger auch, davon ausgegangen, dass sich etwas Fundamentales ändern würde.

Im zurückliegenden Jahr gab es diverse Vorschläge, die Sterbehilfe in Deutschland zu legalisieren. Einige zielten auf eine Liberalisierung wie in den Niederlanden oder zumindest wie in der Schweiz. Doch davon war die Diskussion im Bundestag von Anfang an weit entfernt. Eine Legalisierung stand nie zur Diskussion, obwohl sich in Umfragen immer wieder bis zu 70 Prozent der Bevölkerung für eine Zulassung der Sterbehilfe aussprechen.
Dass die Abgeordneten dennoch die Meinung der Bevölkerung unberücksichtigt ließen, könnte auch an den Entwicklungen in den Niederlanden liegen. Die dortige liberale Handhabung der Sterbehilfe führt dazu, dass der Personenkreis, der sie in Anspruch nehmen kann, immer weiter ausgedehnt wird. In den vergangenen Jahren erhielten beispielsweise psychisch kranke Menschen und Minderjährige die legale Möglichkeit, ihrem Leben ein Ende zu bereiten.
Am Freitag vergangener Woche hatten die Abgeordneten die Wahl zwischen vier verschiedenen Anträgen. Der Fraktionszwang war aufgehoben, die Delegierten sollten lediglich ihrer persönlichen Überzeugung folgen. Auch die Anträge waren fraktionsübergreifend. Der schließlich angenommene Antrag der Abgeordneten Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) verbietet, wie bereits erwähnt, die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid. Etwas liberaler wollten Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linkspartei) in ihrem Antrag die Sterbehilfe gestalten. Sie wollten nur die »gewerbsmäßigen Sterbehilfe« verbieten, Sterbehilfevereine, die unentgeltlich arbeiten, aber erlauben.
Die Gruppe um Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) wollte einen ärztlich begleiteten Suizid erlauben. Die praktische Umsetzung dieses Vorschlags wäre allerdings sehr schwierig geworden, da viele Ärztekammern die Suizidbeihilfe im Standesrecht explizit verbieten. Und daran, so ließen Ärztevertreter im zurückliegenden Jahr immer wieder erkennen, werde sich auch nichts ändern. Anders als im europäischen Ausland ist die Haltung der deutschen Ärzte in dieser Frage vorerst unverrückbar. Die nationalsozialistischen Verbrechen im Zuge der »Euthanasie« und die bereitwillige Mitarbeit vieler deutscher Ärzte wiegen für die Ärztekammern immer noch schwer, wenn es um die Ablehnung der Sterbehilfe geht.
Einem vierten Entwurf zufolge sollte schließlich sogar jegliche Beihilfe zum Suizid unter Strafe gestellt werden. Er erhielt mit 37 Stimmen die geringste Unterstützung. In der Schlussabstimmung konnte der Entwurf von Brand und Griese immerhin 360 von 602 Stimmen auf sich vereinen.

Also werden sich in Zukunft Personen und Unternehmen, die versuchen, Sterbehilfe geschäftsmäßig zu betreiben, vor Gericht wiederfinden. Das Strafmaß ist mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren recht hoch angesetzt. Der umstrittene Verein »Sterbehilfe Deutschland« (StHD) um den ehemaligen Hamburger Senator Roger Kusch muss sich demnächst also ein neues Tätigkeitsfeld suchen. Auf seiner Homepage sind bereits die ersten Reaktionen nachlesbar. Verlinkt sind unter anderem die Presserklärungen der Vereine Dignitas und Exit, die die Entscheidung des Bundestags ausdrücklich bedauern. StHD selbst hält sich mit der Kommentierung sehr zurück, kündigt aber bereits an, geltendes Recht zu respektieren. Nach dem 30. November wolle man keine Suizidbegleitungen mehr ermöglichen. Vereinsmitglieder müssen sich also sputen. Allerdings hat StHD angekündigt, nach Inkrafttreten des Gesetzes eine Verfassungsklage einzureichen. Zudem hat sich der Verein rechtlich schon vor einiger Zeit zweigeteilt. Dies könnte es ihm erlauben, sein Geschäft weiterhin zu betreiben. Der Ableger »Verein StHD« hat seinen Sitz nämlich in Zürich und kann seine Dienste in der Schweiz legal anbieten.
Positiv reagierten auf den Bundestagsbeschluss die Kirchen und Hospiz- und Palliativverbände. »Das Gesetz stellt sicher, dass nicht nur der auf Gewinn abzielenden, sondern auch der regelmäßig wiederkehrenden, in organisierter Form durchgeführten Förderung der Selbsttötung die Basis entzogen wird«, sagte Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands (DHPV). Dieser hatte in der Debatte des zurückliegenden Jahres immer wieder gemahnt, die Ängste der Menschen vor dem Alleinsein und schlechter Pflege nicht als Aufforderung zu einer Liberalisierung der Sterbehilfe zu verstehen. »Vielmehr brauchen wir eine Kultur der Wertschätzung gegenüber kranken und sterbenden Menschen sowie flächendeckende Angebote der Hospiz- und Palliativversorgung«, so Benno Bolze, Geschäftsführer des DHPV.

Genau bei diesem Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung zeigten sich in Deutschland jedoch lange Zeit große Mängel – kein Wunder also, dass sehr viele Menschen vor einem einsamen und schmerzvollen Tod Angst hatten und haben. Dies scheint auch der Bundestag erkannt zu haben, denn einen Tag vor der Debatte um die Sterbehilfe verabschiedete er mit großer Mehrheit das neue Palliativ- und Hospizgesetz von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Es sieht unter anderem vor, dass Sterbebegleitung ausdrücklicher Bestandteil des Versorgungsauftrags der sozialen Pflegeversicherung wird. In ländlichen Gegenden sollen mehr Angebote bereitgestellt werden und der Zuschuss der Krankenkassen soll von 90 auf 95 Prozent steigen. Das Gesundheitsministerium geht von zusätzlichen Kosten zwischen 200 und 300 Millionen Euro jährlich aus.
Ganz durchdacht ist dieses Gesetz jedoch nicht. Viele Menschen sterben in Pflegeheimen und Krankenhäusern. Das neue Gesetz lasse »die sterbenden Pflegeheimbewohner und die depressiven, alten, kranken Menschen im Stich«, sagte deshalb der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Pflegeheimbewohner werden in den seltensten Fällen noch in ein Hospiz verlegt. Bislang bekommen nach Schätzungen nur etwa 30 Prozent der Sterbenden, die sich nicht in einem Hospiz befinden, eine palliative Versorgung. Es besteht also noch in vielerlei Hinsicht Ausbaubedarf. Und die Schweiz bleibt – gleichgültig wie sich die Lage in Deutschland ändert – nach wie vor ein todbringender Ausweg.